Ich habe Schwierigkeiten, meine Gedanken in Worte zu fassen.
Nein, nicht in dieser Geschichte. Im Allgemeinen.
Diese Schwierigkeiten zeigen sich auf zwei Ebenen: erstens soll ich in Worten ausdrücken, was ich denke, und dann noch so, dass es mein Gegenüber versteht.
Ich denke systemisch. Mein Denken ist geprägt von Metaphern, Zusammenhängen, Vergleichen. Ich kann mich nur beschränkt mit Teilsystemen befassen – nur, wenn ich sie als Problem oder tragendes Element für das grössere Bild erkenne und betrachte. So hat das Kreuz Christi einen weit höheren Zweck, als mich von meinen Sünden zu befreien, oder die Herrschaft des Königs aller Könige wieder aufzurichten.
Es ist der Wendepunkt in der Evolution des Menschen vom Jäger und Sammler, der im Sündenfall seine eigenen (Über-)Lebensbedürfnisse, so wie er sie wahrnahm, über eine Beziehung mit Gott stellte, sich Stammesgöttern und Götzen hinwandte und selbst Gott als einen unter vielen verstand, um diesen Gott später als Beschützer seiner Eroberungszüge und Abenteuer zu sehen, bevor er in der Ordnung und Gemeinschaft eines Volkes den einen, einzigen Gott erkannte.
Die Zeit war gekommen für Gott, sich als Mensch für den Menschen zu opfern. Dies erlaubte die individuelle Beziehung zum Vater im Himmel, nicht nur zum Gott des Gesetzes. Das Bewusstsein erweiterte sich, individuelle Leistung, Forschung, Entwicklung, Technik – all dies enthält die Gefahr der Selbstüberschätzung des Menschen. Der Mensch reagiert auf die Folgen mit dem Wunsch der Egalité. Ein erstes Mal, als diktatorische Könige abgeschüttelt werden, und wieder, als die Marktwirtschaft ähnlich oligarchische Systeme entstehen lässt. Der Ausbeutung folgt der Schutz der Natur, dem Diktat der Konsens um jeden Preis. Die individuelle Beziehung zu Gott wird ergänzt durch die gemeinschaftliche, gabenorientierte Ergänzung eines jeden einzelnen durch seinen Nächsten.
Und doch ist hier nicht Schluss.
Die Bibel spricht vom Leib Christi, er das Haupt und wir der Körper. Ein Körper ist weit mehr als die Erkenntnis, dass jeder seinen Platz hat, dass wir spezielle Aufgaben wahrnehmen. Er ist die hochkomplexe Zusammenarbeit von Atomen, Molekülen, Zellen, Organellen und Organen, mit verschiedenen Bewusstseinsstufen auf jeder Ebene.
Betrachten wir uns als Atome: es geht um mich, mein Überleben. Als Moleküle stehen wir als Sippen zusammen, decken unseren Rücken ab. Als Zellen sind wir lebensfähig und entwickeln ein erstes System der Vervielfältigung. Doch erst der Mensch als Ganzes hat Bewusstsein.
Der einzelne Mensch als Baustein des Tempels, wie es Petrus beschreibt. Jede neue Organisationsstufe bringt ein neues Bewusstsein hervor. Systemisches Denken ermöglicht die Braut Christi. Zusammen sind wir mehr als die Summe der Einzelteile. Und doch ist es nicht gut, wenn der Mensch – die Gattung Mensch, der eine neue Mensch – allein bleibt. Erst holistisch, erst in der Verbindung werden wir ein Ganzes. In Christus. Der Körper Christi. Wie der Mann und die Frau eins werden, so wird der neue Mensch mit Jesus zu Christus, dem Gesalbten. Das Ziel: die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott.
Frei nach Friedrich Schiller in “die Bürgschaft”: Gewähret mir die Bitte: in Eurem Bund der Vierte.
Ist es dies, wenn Gott sagt: “Meine Gedanken sind so viel höher als Eure Gedanken”? Und ist das Ziel, das Denken, Fühlen, Wollen Christi so viel mehr als die Teilnahme an einem Gottesdienst, die Befolgung von Regeln, die Achtung derjenigen, die uns vorausgingen, die Unterordnung unter die Berufenen, meine Gerechtigkeit durch das Kreuz, die gegenseitige Höher-Achtung?
Ist das Denken Christi eine neue Bewusstseinsstufe, nur erreichbar als neue Schöpfung, der eine neue Mensch, der zweite Adam? Zusammen?
Könnte es sein, dass Gott ähnliche Schwierigkeiten kennt wie ich?
Nicht, dass er seine Gedanken nicht zum Ausdruck bringen könnte. Aber wie steht es mit unserem Verstehen?
Je nachdem, wo wir uns auf der Reise befinden – ob im kleinkindlichen Frühstadium des reinen Überlebens oder im reiferen Stadium der gegenseitigen Ergänzung – sind unser Verstehen, Lesen, Tun, Begreifen geprägt von unserer Weltanschauung. Diese entwickelt sich ständig, aber nicht stetig. Auf und ab. Introspektive, oft als egoistisch missinterpretierte Phasen, wechseln sich mit nach Aussen, zum Mitmenschen gerichteten Phasen ab. Wie oft hat der Einzelne, wie oft die Kirche ihre Auslegung des Wortes Gottes überdacht. Unter der Führung des Heiligen Geistes wurden tiefere Bedeutungsschichten erkannt, die erst ermöglicht wurden durch neue Lebensstrategien und Konzepte. Erst die Geburt des Individualgedankens ermöglichte die persönliche Beziehung mit Gott nicht nur als Teil des Ganzen, des Volkes, oder durh das Stellvertretertum des platonischen Kastendenkens mit Berufenen und Laien.
Eine Herausforderung: ein sich entwickelnder Text, der über mehrere Jahrhunderte entstand, dann kanonisiert wurde und als Grundlage dient und dienen soll für die weitere Entwicklung des Menschen hin zu Christus, Jesus der Kopf und wir der Körper. Ergänzt, erklärt, immer wieder neu interpretiert durch den Heiligen Geist, das prophetische Rhema. Und das mit einem Menschen, der nichts so hasst wie Veränderung. Der meint, alles verstehen zu können mit den Methoden des letzten Zeitalters. Dem Menschen, der das Hinterfragen lieb gewonnener Auslegungen des Wortes Gottes als Affront, ja als Blasphemie versteht, Christentum als bewahrenden Wertkonservativismus.
Ein heikles Unternehmen. Die Wahrheit Gottes für diese Zeit zu enthüllen. Allein schon der Gebrauch dieser Phrase “für diese Zeit” rüttelt am Verständnis einer ewig gültigen, absoluten Wahrheit. Doch geht es nur darum, unsere Auslegung der Schrift, der Worte zu raffinieren, zu verfeinern, die uns die Wahrheit aufzeigt. Die Wahrheit, wie Gott sie uns wunderbarerweise in einem Text mitgegeben hat, der so vielschichtig ist, dass wir mit grösserem Verständnis und anderer Sichtweise neue Schätze entdecken – und sie zu den alten hinzufügen können.
Wir werfen nicht die Schätze fort, nur unser eingeschränktes Verständnis über diese Schätze – und den grössten Schatz, Jesus Christus.
Wie Jesus es tat, wenn er sagte: Ihr sagt, und ich sage Euch. Wie Luther und Zwingli, die Heilungsevangelisten, die Menschen des Latter Rain es taten, und so viele mehr.
Schritte zu einem neuen Menschen, der wir bereits sind – nur erkennen wir es noch nicht.
Was denkst Du?