Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 1. Mose 22:2
In den letzten Tagen erzählte mir ein Pastor, dass ein Mann nach dem Gottesdienst auf ihn zukam und Folgendes sagte: „Heute hast Du mich zum Denken gebracht. Tu das nie wieder.“
Diese kleine Geschichte hat mich tief getroffen und entsetzt. Suchen wir in der Gemeinde nur noch das Wohlfühlelement? Sind wir nur noch da, um Bestätigung zu erhalten für das, was wir bereits wissen, glauben, verinnerlicht haben? Geht es nur noch darum, unsere Ohren gekitzelt zu kriegen? Wie ist es dann möglich, dass wir wachsen und uns weiterentwickeln? Was nutzt es dann, wenn Gott etwas Neues verspricht.
Wir hatten eine Zunge mit Auslegung in der Gemeinde:
Ihr dürft zurückschauen, aber schaut nicht wehmütig zurück und denkt nicht, oh, wenn es nur wieder so wäre wie früher. Nein, nein, es ist eine neue Zeit und in dieser neuen Zeit bin ich drin. In dieser neuen Zeit werde ich Euch segnen. In dieser neuen Zeit werde ich Euch führen und füllen für den Dienst, von dem ich will, dass Ihr ihn ausführt. So habt Mut, schaut nach vorne und ergreift, ergreift den neuen Tag, ergreift den neuen Tag im Herrn und lebt ihn aus, lebt ihn aus zum eigenen Segen, lebt ihn aus für die Menschen, die um Euch herum leben. So schaut nach vorne, schaut hinauf und schaut zu mir, Halleluja, und ergreift den neuen Tag.
Ein solches Wort ist wertlos und umsonst, wenn Menschen sich nicht darauf einlassen.
Ich habe mir Gedanken gemacht, wie wir uns darauf einlassen können. Die folgenden Geschichten aus der Bibel sollen uns ein paar Optionen aufzeigen.
Abraham lebte in einer Kultur, in der man glaubte, dass die Machtgötter sich durch Opfer besänftigen liessen – und dies auch verlangten. Zu Beginn waren es Früchte, doch bald funktionierte ein solches Opfer nicht mehr und die Katastrophe kam trotzdem. So wurden Lämmer, Kühe, und als dies nicht mehr reichte, Menschen geopfert, bis zuletzt das grösstmögliche Opfer notwendig wurde: der eigene Sohn.
Abraham lebte 75 Jahre in seiner Vaterstadt, danach wanderte er umher, bis nach Ägypten und Israel, und wartete auf die Ankunft seines versprochenen Sohnes. Und als dieser irgendwo zwischen 13 und 30 Jahre alt war, kam die Aufforderung von Gott, Isaak zu opfern.
Gott holte Abraham da ab, wo er sich befand. Wir wissen nicht, ob Abraham an diesem Glaubenssatz, an der Richtigkeit von Menschenopfern gezweifelt hat oder nicht, die Bibel sagt es uns nicht. Ich glaube, dass wir noch so bereit sind, Abraham diesen Zweifel anzudichten, weil es aus unserer humanitären Sichtweise so sein muss. Der Vater des Glaubens kann nicht an Menschenopfer geglaubt haben.
Und doch muss Gott Abraham genau hier abholen. Durch die Geschichte zeigt Gott dem Abraham auf, dass er so nicht ist.
Als diese Geschichte, wohl basierend auf früheren Niederschriften, von den Schreibern im babylonischen Exil aufgeschrieben wird, erkennen sie eine andere moralische Ebene entsprechend ihrer Bewusstseinsstufe, ihrer komplexesten Art Denkfähigkeit. Abraham war gehorsam und hatte Gott geglaubt, darum wurde er zum Vater des Glaubens.
Gehorsam – zu der Zeit auch Gesetzestreue – war oberste Prämisse. Opfer waren Teil des Rituals, Gesetzesverstösse zu sühnen. Daher war Gehorsam besser als Opfer, da er die Notwendigkeit von Opfern vermied.
Abraham hatte noch keinen Zugang zu diesem Denken. Das Gesetz war noch nicht gegeben. Wie sagt Paulus? Sünde gibt es erst durch das Gesetz.
Eine andere Geschichte ist diejenige von Mose. Er kannte die Sagen seines Volkes. 400 Jahre würden sie in Ägypten in Knechtschaft leben, und dann befreit werden, um zurück in das verheissene Land zu kehren. Seine Mutter hatte ihm alles erzählt. Gott hatte ihn bewahrt und an den Hof des Pharao gebracht, so dass er die weltbeste Ausbildung geniessen konnte. Zählte er 2+2 zusammen und erkannte, dass er das Volk aus Ägypten führen würde? Und dann entschied er selbst, wann die Zeit dafür gekommen war, und erschlug einen Ägypter.
Diese Geschichte unterscheidet sich in zwei Dimensionen von der vorherigen:
Abraham wusste nicht, was Gott tun wollte. Mose wusste es.
Gott bestimmte den Handlungszeitpunkt mit Abraham, während Mose die Dinge selbst in die Hand nahm.
Diese beiden Geschichten spannen eine Fläche auf, in der wir die verschiedensten Geschichten wiederfinden. Mal hat man eine Ahnung von dem, was Gott tun will, mal ist es sonnenklar, mal absolut überraschend. Mal hat man die Geduld zu warten, mal prescht man vor.
Die zweite Geschichte übrigens hat wohl mehr Handeln Gottes verhindert als dass Menschen zu schnell gehandelt hätten. Wir neigen dazu, andere mit genau dieser Geschichte zu stoppen. Dazu ist die Gemeinde mutlos und handlungsfaul, und diese Geschichte liefert eine willkommene Ausrede. Doch dies nur am Rande.
Jesus hat übrigens beides getan: er tat nur, was er den Vater im Himmel tun sah. Dann wieder überraschte ihn der Vater, wie er Abraham überrascht hatte. So glaubte Jesus, dass er nur für die Israeliten gekommen war, aber die phönizische Frau belehrte ihn eines Besseren. Dann wieder initialisierte Jesus etwas Neues, als er sagte: Danke, Vater, dass Du mich erhört hast. Und erweckte Lazarus von den Toten. Bei der Erhörung kommt das Gebet, der Wunsch vor der Erhörung.
Paulus plante, blieb aber korrigierbar. So wollte er nach Galatien, wurde aber von Gott durch einen Traum nach Mazedonien gelenkt.
Eine weitere Dimension ist es, wie wir handeln, wenn das Neue da ist.
Die Geschichte vom verlorenen Sohn hat in unserer Vorstellung eine feste Bedeutung: Gott liebt uns und nimmt uns wieder auf, ganz gleich, was wir getan haben.
Vergessen wir diese Auslegung für einen Moment und betrachten das Ganze aus einer anderen Perspektive:
Der Sohn möchte etwas Neues tun. Er geht fort, um einen anderen Beruf zu erlernen (z.B. ans College). Das College-Leben, seine schlechten Entscheidungen, die Umstände testen seine Bereitschaft, durchzuhalten, und er steht vor einer Entscheidung: ziehe ich das Neue durch, oder gehe ich zurück ins Alte.
Er entscheidet sich dafür, zurück ins Alte zu gehen. Zuerst fern der Heimat. Er geht zu einem Bauern, merkt aber bald, dass nicht alle Bauern so gut für ihre Arbeiter sorgen wie sein Vater. Also zurück zum Vater.
Natürlich wird es nicht mehr so wie früher. Er muss Sühne tun für sein Versagen – meint er.
Aber der Vater nimmt ihn noch so gerne wieder auf. Es gibt diejenigen im alten System, die neidisch waren oder zu mutlos, um das Neue in Angriff zu nehmen. Diese sehen sich bestätigt und sind erleichtert, dass sie von Anfang an recht hatten.
Andere mussten ihre Mutlosigkeit vor sich selbst rechtfertigen. Sie können den Rückkehrer jetzt nicht mehr akzeptieren, weil sie aus Treue Verzicht geleistet hatten. Warum sollte derjenige, der dies nicht tat, die gleichen Rechte besitzen wie sie? Sie verändern sich – wie der ältere Bruder – nur innerhalb des alten Systems, steigen in der Hierarchie etwas auf, haben etwas mehr Einblick in das Funktionieren des Systems.
Jesus hat sich ganz anders verhalten. Als es schwierig wurde, entschied er sich im Garten Gethsemane dafür, im Neuen zu bleiben. Er hätte zurückgehen können zum Vater, und wir Menschen hätten weiter unter dem Gesetz gelebt. Er verstand auch, dass der Vater ihn mit offenen Armen empfangen würde.
Er aber zog es durch. Mein Vater, mein Vater, warum hast Du mich verlassen? Und er brachte den Vater dazu, in das Neue hineinzukommen, als der Vorhang im Tempel zerriss und als der Heilige Geist im Obergemach fiel.
Gott möchte etwas Neues tun. In unserer Gemeinde, welche seit 15 Jahren besteht, ist dies ein wiederkehrendes Wort für die letzten – 15 Jahre. Viel geschehen ist nicht. Die Doktrin hat sich etwas verändert, das Gemeindeleitungssystem ein wenig angepasst, der Versammlungsort ein paar Mal gewechselt, und Menschen sind gekommen und gegangen.
Es ist Zeit, dass das Neue geboren wird. Es ist Zeit, dass Gott seine Pläne konkretisieren kann und darf.
Wie reagieren wir? Einige werden überrascht werden wie Abraham. Aber ist es auch nach 15 Jahren noch möglich, dass wir zu früh losstürmen? Klar, aber viel wahrscheinlicher ist es, dass Gott auf uns wartet. Ich möchte vorgehen wie Paulus: planen und korrigierbar, lenkbar bleiben, aus der Beziehung zu Gott.
Wenn das Neue tatsächlich kommt, packen wir es, oder bleiben wir im Alten wie der ältere Bruder? Ziehen wir es durch, oder geben wir auf wie der jüngere Sohn? Machen wir es wie Jesus, bis Gott im Neuen in seiner ganzen Macht erscheint.