Was ist die Bibel

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Für viele ist die Bibel das diktierte Wort Gottes. Jedes Wort bedeutungsschwanger, jeder Vers aussagekräftig, jedes Kapitel verpflichtend. Wörtlich.

Bibel und Wissenschaft

Über die Zeit entwickeln wir uns weiter. Wir versuchen, die Geschichten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen abzugleichen. Einstein, Relativitätstheorie, Schöpfungsgeschichte. Eine weltweite Flut und geologische Untersuchungen. Wie sehr versuchen wir, die Bibel in ein heutiges Weltbild zu zwingen.

Die Bibel ist wahr, glauben wir, wenn sie kongruent ist mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Dabei ist die Wissenschaft der Teil, der sich bewegt. Und wenn’s nicht passt? Ständige neue Erkenntnis würden schon dafür sorgen, dass die Bibel mehr und mehr bestätigt würde.

Die Quantenphysik scheint aufzuzeigen, dass das Universum nicht monistisch materiell ist, sondern, wenn überhaupt, monistisch spirituell, also nur Geist. Die Stringtheorie bestätigt das Vorhandensein von Dimensionen ausserhalb unseres Wahrnehmungsbereichs – interessanterweise 11 Dimensionen, die Anzahl, welche die Kabbalah entdeckt hat – und nennt die darüber hinausgehenden Dimensionen geistlich.

So materiell das Higgs-Bosom ist, verleitet es die christliche Gemeinschaft wegen seinen Übernamens „Gottesteilchen“ dazu, darin einen Hinweis auf die Existenz Gottes zu sehen.

Paulus hat darauf hingewiesen, dass wir Gott selbst in der Natur erkennen können. Also muss die Wissenschaft gegen das biblische Weltbild konvergieren.

Oder doch Wissenschaft und Bibel?

Es scheint aber eher so, dass die Auslegung der Bibel mehr und mehr gegen die Wissenschaft konvergiert.

Es dauerte lange, aber nach ein paar Jahrhunderten Gegenwehr akzeptierte die Kirche ein helio-zentrisches Weltbild mit der Erde als Kugel.

Vor allem übernahm die Kirche aber mehr und mehr den Wahrheitsbegriff der Wissenschaft. Natürlich war für die Kirche immer noch Jesus die Wahrheit. Ihre Auslegungsmethoden aber orientierten sich nicht daran, sondern an einem aufklärerischen Wahrheitsverständnis: wahr ist, was faktisch und historisch wahr ist.

Die Kirche übersah andere Anforderungen an die moderne Wahrheit geflissentlich: die experimentelle oder empirische Wiederholbarkeit, und die Annahme eines minimalen axiomatischen Systems. Vor allem wollte die Kirche Gott axiomatisch voraussetzen, anders als die Wissenschaft.

Zusätzlich wurde die Bibel in ihrer Gesamtheit untersucht. War ein Teil davon nicht wahr, wackelte das ganze Gebäude. Oft ging man so weit, dass es genügte, eine bestimmte Auslegung ins Wanken zu bringen, um den Glauben an das ganze Buch, ja an Gott zu provozieren und zu Fall zu bringen.

Angriff auf die Schöpfungsgeschichte

Und doch überlebte die Bibel grundlegende Angriffe wie denjenigen auf das Weltbild der Schöpfung. Die Welt als Scheibe mit einem Dom, auf dem sich die Gestirne befinden, und darüber Wasser?

Die meisten Christen glauben, dass dies bei der Schöpfung tatsächlich der Fall war. Das Wasser kam aber bei Noah’s Flut runter, so dass heute da draussen natürlich kein Wasser mehr ist.

Eine andere Erklärung wäre, dass der Schreiber der Schöpfungsgeschichte die Welt phänomenologisch erklärte, d.h. so wie er sie sah und erlebte: Von blossem Auge ist die Erde eine Scheibe, die Sterne sind am Firmament, und der Regen beweist, dass es da draussen Wasser geben muss.

Das Problem mit dieser Erklärung: wieso sollte Gott eine Schöpfungsgeschichte diktieren, die auf den Erfahrungen des Lesers und nicht auf der faktischen Wahrheit beruhte? Warum sollte Gott lügen?

Eine Erklärung dafür ist folgende: Gott spricht mit dem Leser entsprechend dessen Erkenntnisstandes und geht vielleicht ein bisschen darüber hinaus. Wie hätte Moses eine Urknalltheorie verstehen können?

Das Problem damit: sei es eine Schöpfungsgeschichte oder der Urknall, beides sprengt den Rahmen des Erkenntnishorizontes der Menschen zu dieser Zeit, und auch der Urknall kann durchaus einfach dargestellt werden.

Vielleicht ging es ja gar nicht um eine historische und faktische Darstellung der Schöpfung, sondern um Prinzipien, welche Gott uns mitteilen wollte?

Eine andere Auslegungsmethode

Die Zeit, in der die ersten Bücher der Bibel verschriftlicht wurden, war eine Zeit des Mythos, und das Volk, welches dies tat, war ein Volk von Geschichtenerzählern.

Ich glaube, dass eine Erklärung zu kurz greift, welche ein Diktat der Geschichte in aussergewöhnlicher Klarheit voraussetzt.

Wenn ich mir die heutige Zeit anschaue, dann gehen wir davon aus, dass Gott immer noch zu uns spricht. Er tut dies oft in relativ wagen Aussagen, über Empfindungen und Gefühle wie Frieden oder Unruhe, durch Visionen und Träume, welche wir interpretieren, durch Parabeln und Metaphern. Bilder und Geschichten eben.

Ja sogar die Schrift interpretieren wir, ist sie doch keinesfalls in eindeutigen mathematischen Formeln geschrieben, sondern in Gedichten, Geschichten, Augenzeugenberichten, Geschichtsschreibung, Parabeln, und wenigen Gesetzestexten.

Gehe ich davon aus, dass Gott mit diesen Menschen sprach, wie er heute mit uns spricht, dann erkenne ich in der Bibel einen über Jahrhunderte dauernden Bericht aus Sicht des Menschen, wie Gott mit uns umgeht.

Es ist die wachsende Erkenntnis Gottes aus gemeinschaftlichen Beobachtungen, Erfahrungen, Begegnungen. So ähnlich einer modernen Predigt: mehr oder weniger inspirierte Auslegung eines biblischen Themas durch den Pastor, basierend auf seiner Ausbildung, seiner Geschichte, seinen Eindrücken, geprägt durch seinen persönlichen Kenntnisstand und Erkenntnishorizont.

Eine andere Auslegung

Die Schöpfung zeigt uns auf, dass Chaos und Ordnung zusammenspielen. Am Anfang war das Chaos, und Gott ordnete es. Trotzdem blieb ein Anteil Chaos, ja es wurde geradezu wiederbelebt in der Geschichte des Falls.

Diese Geschichte des Falls zeigt den Menschen in einem ummauerten Garten, also dem gezähmten, geordneten Chaos. Der Mensch wurde in Gottes Ebenbild geschaffen, was ihm einen grossen Wert gibt, ja eigentlich das Einzige ist, was ihm Wert gibt.

Der Mensch lernt in der Benennung aller Tiere, wie wichtig die Sprache ist, die uns von allen anderen natürlichen Lebewesen unterscheidet. Die Sprachfähigkeit, welche Gott verwendet hat, um die Welt zu schaffen.

Der Mensch ist ein hoch visuelles Wesen. Der Sehsinn ist darauf ausgerichtet, Feinde zu erkennen, und der herausragendste Feind ist die Schlange, da schlecht erkennbar. Ebenso sieht der Mensch in Farbe, um Früchte am Baum zu erkennen. Die Schlange und die Frucht sind also prägend für den Menschen.

Der Fall beschreibt, wie der Mensch über das Protobewusstsein der Tierwelt hinauswuchs. Er wurde sich selbst bewusst – „und sie erkannten, dass sie nackt waren“.

Auswirkung auf die Bibel

Ist es möglich, dass die biblischen Geschichten in verdichteter Form wiedergeben, was der Mensch erlebt hat über Generationen? Wie er sich Gott vorgestellt hat, destilliert aus Jahrhunderten und Jahrtausenden von Träumen und Erlebnissen?

Die Bibel könnte so im Extremfall reduziert werden auf ausgefeilte, mythische Beschreibungen des kollektiven Bewusstseins der Menschheit über die Zeit, und der immer komplexeren Erkenntnisfähigkeit des Menschen, bis er in der Wissenschaft die grundlegenden Prinzipien mit Fakten und tatsächlichen Hergängen belegen konnte.

Auch dies greift zu kurz. Doch mindestens ermöglicht diese Definition dem modernen Menschen, die Bibel nicht zu verdammen oder zu pensionieren.

Doch in der Postmoderne erwacht eine weitere Ebene der biblischen Geschichten zum Leben: die persönliche Entwicklung. Eine persönliche Beziehung mit Gott, welche weit über moderne, protestantisch-evangelikale Leistung hinausgeht. Anstatt sich etwas verdienen zu müssen, gehört es uns. Einfach so. Aber es ist ein Prozess, es anzunehmen – und den anderen anzunehmen, der anders ist.

Wahrheit

Wahrheit ist in der Postmodernen subjektiv. Dies ist natürlich richtig, denn wir erleben, begreifen und interpretieren die Welt und Gott basierend auf unserer einzigartigen Persönlichkeit, Geschichte und Herkunft sehr unterschiedlich, auch wenn wir archetypische und kulturelle Muster teilen.

Könnte dieser Wahrheitsbegriff ebenfalls falsch sein, auch wenn er stimmig scheint? Ja, denn die Interpretation und der Umgang mit dieser Subjektivität greifen zu kurz, wenn die Vereinbarkeit der verschiedenen Weltanschauungen nur auf gegenseitiger Toleranz beruht. Die eigene Wahrheit wird nicht mehr überprüft. Das Individuum erhebt sich narzisstisch zur Quelle und zum Mass der eigenen Wahrheit.

Wenn die Wahrheit, das Weltbild eines jeden Einzelnen, inklusive der Widersprüche, aber in Bezug gestellt wird als sich ergänzendes Ganzes – wir erkennen nur in Stücken – und zur gegenseitigen Schärfung, ergibt sich ein besseres Bild.

Es ist wie mit einem Hologramm. Wird ein normales Bild entzwei geschnitten, erhält einer die obere Hälfte, der andere die untere. Ohne die andere Hälfte ist es sehr schwierig, das ganze Bild zu erkennen.

Bei einem Hologramm funktioniert das anders: wird ein Hologramm halbiert, zeigen beide Hälften das ganze Bild, einfach weniger scharf als das Ganze. Jeder einzelne sieht also ein unscharfes Bild des Ganzen, und zusammen wird das Bild immer schärfer und detailreicher.

Eine weitere Definition

Die Bibel als Erzählung der gesammelten Menschheitserfahrungen, basierend auf göttlichen Offenbarungen in Träumen, Visionen, Ahnungen und Worten, über Jahrtausende destilliert, mythisch erzählt, vielfach und persönlich interpretiert, und zusammengetragen, um ein ganzes Bild zu erhalten, welches sich über die Zeit und im Austausch miteinander schärfer und detailreicher darstellt.

Gott offenbart sich dem Menschen so weit, wie es der Mensch zu jeder Zeit verstehen kann. So wächst der Mensch, so wachsen Gott und Mensch zusammen.

Noch einmal von vorn

Am Anfang war der Mensch sich selber nicht bewusst. Seine Bedürfnisse waren einfach, instinktiv, archaisch: überleben.

Doch genau diese Überlebensfunktionen veränderten den Menschen. Er musste Feind und Nahrung erkennen und entwickelte daher Mustererkennung und das Sehen von Farben. Dies liess das Gehirn wachsen.

Anstatt nur die Schlange wahrzunehmen, konnte der Mensch die Zukunft antizipieren: das Schlangennest auszuheben verhinderte in der Zukunft das Vorhandensein von Schlangen. Arbeit ermöglichte Nahrung in der Zukunft.

Der Mensch entwickelte Bewusstsein, dargestellt im Fall von Adam und Eva. Die Frau weiss, dass eine Geburt weh tun wird, und wird trotzdem schwanger, wegen des Preises, dem Kind. Der Mann kennt die Mühen der Arbeit und tut sie trotzdem, um das Überleben auch morgen zu sichern. Die Gemeinschaft der Familie, des Stammes erlaubt für grössere Sicherheit und grössere Überlebenschancen.

Abenteuerlust und Herrschaft

Die Fähigkeit, die Zukunft in seine Überlegungen mit einzubeziehen, lässt den Menschen über sein angestammtes Gebiet hinausgehen. Vorher warteten hinter dem Horizont die Schlangen, die Feinde, die Dämonen. Jetzt kann er sich ihnen stellen. Im Dialog mit anderen verfeinert der Mensch seine Geschichten am Lagerfeuer. Die zusammengetragenen Träume und Erlebnisse schärfen die Geschichten und lassen sie archetypisch werden.

Kulturbildung durch Schrift und Regeln

Eine weitere Evolutionsstufe des Bewusstseins ist erreicht, als der Mensch diese Geschichten zu verschriftlichen sucht. Die längst gelebten Regeln werden aufgeschrieben, die Geschichten zu einem Ganzen verwoben, welches Herkunft, Sinn, Struktur, Ordnung und Ziel beschreibt. Als einziges Lebewesen ist sich der Mensch bewusst, dass er sterben wird. Daher sind diese Fragen von äusserster Wichtigkeit.

Rationales Selbstbild

Doch der Mensch entwickelt sich weiter. Das rationale Denkvermögen und die Erkenntnis des Individuums stehen im Gegensatz zum bisherigen Gottesbild, das sich vom Nichtbewusstsein über Ahnengeister zu Machtgöttern bis zum monotheistischen Gott mit den humanoiden Zügen eines Super-Menschen entwickelt hat.

Für eine Weile steht nicht mehr Gott im Zentrum des Geschehens, sondern der Mensch selber. Der Mensch muss sich seiner Einzigartigkeit, seiner Individualität, seines Wertes bewusst werden. Der Mensch dient nicht nur der Gemeinschaft und Gott, er ist aus sich heraus und für sich allein ein ganzes Universum. Glücklich, wer Gott in dieser Zeit nicht tötet. So kann der Mensch ein Gottesbild erarbeiten und erkennen, welches nicht mehr einem Supermenschen gleicht, nicht mehr mythisch ist.

Gott erlaubt es, nachdem er selber sich der Menschheit offenbart hat, so dass der Mensch begriffen hat, dass es nur einen Gott gibt, dass der Mensch seinen Blick nun auf sich selber richtet und mehr über sich selbst erfährt.

Das neu entstehende Gottesbild des sich in den kollektiven Mythen, Träumen, Visionen, Gedanken und Erfahrungen offenbarenden Gottes zeigt, wie sehr Gott der eigene Wille des Menschen, dessen Erkenntnisfähigkeit und die Zusammenarbeit wichtig sind. Gott schafft eine Umgebung von Chaos und Ordnung, eine Kommunikation der Partnerschaftlichkeit und der Suche, um den Menschen reif werden zu lassen. Er nimmt sein Geschöpf ernst.

Öffnung des Weltbilds

Jetzt geht es darum, den Wert des Nächsten in die Gleichung hineinzubringen. Es war bisher notwendig, sich vom Anderen zu distanzieren, weil er nicht das Gleiche glaubte, wie man selbst. Kain und Abel sind die archetypische Geschichte dazu.

Früh war dem Menschen bewusst, dass seine eigene Familie wichtig war für das Überleben. Später weitete sich das aus auf Interessengemeinschaften, Nationalstaaten, Kirchen etc. Und doch grenzten wir ab, war Dualität wichtig: wir gegen sie. Darum existierten Regeln für den Umgang mit dem Nächsten, mit dem Fremden. Diese wurden speziell wichtig, als sich der Mensch sich selbst zuwandte.

Jetzt erkennt der Mensch, dass sein Weltbild durch seine eigenen Sinneserfahrungen und Vergangenheit beeinflusst und daher subjektiv, relativ ist. Er lernt, andere Weltbilder zu tolerieren, auch wenn ihm dies nicht richtig gelingen will und er immer noch Menschen ausschliesst, die noch nicht diese Toleranz erlernt haben.

Integration und Hologramm

Erst die Integration der erlernten Weltbilder und subjektiven Erkenntnisse zu einem Ganzen erlauben es, einen Blick auf das vollständige Bild zu erlangen. Ab nun wird sich dieses Hologramm weiter schärfen, bis die Wahrnehmung mit der Wirklichkeit übereinstimmt und Gott mitten unter uns lebt.

Die Bibel ist ein inspiriertes Buch der gesammelten menschlichen Erfahrungen, welches den Menschen über sich hinauswachsen lässt. Sie ist der Ausfluss und Ansporn der Zusammenarbeit Gottes mit dem Menschen.

Sie ist ein Werkzeug. Sie hilft dem Menschen, reif zu werden. Wichtig aber ist die wachstümliche Beziehung zu Gott, der auch heute noch schöpferisch tätig ist. Wir waren rein in  Adam im Paradies, rein wie ein Baby. Wir werden reif durch den Prozess, bis wir zu wahren Söhnen Gottes herangereift sind. Stehen wir dem Prozess im Weg, oder erneuern wir unser Denken?

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