Ein erwachendes Bewusstsein

Lesedauer 7 Minuten

Wir sind hier mitten in einem Reisebericht, und dies ist schon der vierte Artikel. Ich empfehle Dir, am Anfang zu beginnen, wenn Du das noch nicht gemacht hast.

Alle bereit? Es geht los.

Das Leben

Kannst Du Dich noch erinnern, wie das Leben als Baby war? Wenn Du jetzt ja sagst, dann denke ich, dass Du etwas verwechselst. Wahrscheinlich weisst Du all dies aus den Erzählungen Deiner Familie.

Ein Baby ist sich seiner Selbst noch nicht bewusst und unterscheidet nicht zwischen sich und anderen. Ich wage zu behaupten, dass ein Baby ein Protobewusstsein hat.

Vor allem hat es nur ein Bedürfnis: zu überleben. Dazu braucht es Nahrung, Wärme, Hygiene, Schlaf und Zuneigung. Und das fordert es auch ein.

Erst langsam entwickelt sich ein Verständnis, dass die Mutter eine andere Person, ein anderes Wesen ist. Noch länger geht es, bis sich das Baby als getrennt von seiner Umwelt, als Selbst wahrnehmen kann. Das Bewusstsein ist erwacht.

Von nun an wächst dieser kleine Mensch in seinen Fähigkeiten der Abstraktion. Komplexere Denkstrukturen sind möglich, neue Werkzeuge werden entdeckt.

Nach dem Bedürfnis nach Überleben folgt das Bedürfnis nach Sicherheit. Das Kleinkind erkennt, dass es in seiner Familie sicher ist. Es vertraut dem Vater, dass er da ist, es auffängt, wenn es springt, und es gegen die Geister und Schlangen unter dem Bett verteidigt.

Dies ermöglicht es dem Kind, auf Entdeckungsreise zu gehen und das Bedürfnis nach Abenteuer und Macht auszuleben. So wird die Welt des Kindes grösser, es zeigen sich neue Gefahren und neue Anforderungen werden gestellt.

Bald wird klar, dass die neuen Werkzeuge – Kraft, Machtausübung, der Kampf – nicht mehr genügen. Zuerst ist es dem Kind egal, wenn andere Schaden nehmen, aber dann lernt es, dass Regeln, Strukturen und Hierarchien ein besseres Zusammenleben ermöglichen. So kann es zu einer Gruppe gehören, die grösser ist als die eigene Familie und nicht durch Verwandschaftsbanden, sondern durch soziale Normen zusammengehalten werden.

Diese Plattform weckt erneut die Neugier und lässt den Jugendlichen forschen. Er entdeckt sich selbst, seine Identität, seinen Wert, seine Leistungsfähigkeit. Sie hat ein Bedürfnis nach Erfolg und Status. Er strebt nach Wissen, denn Wissen ist die neue Macht.

Doch bald entwickelt sich ein soziales Gewissen. Der junge Erwachsene erkennt, dass andere mit ihren Ansichten auch recht haben, und vieles der eigenen Ansichten durch die Erfahrungen geprägt wurden, die man selber gemacht hatte. Er lernt Toleranz. Es geht darum, den anderen stehen lassen und so akzeptieren zu können, wie er oder sie oder es oder * ist. das Bedürfnis nach Selbstaktualisierung kann ausgelebt werden, ich darf mich selber definieren.

Und vielleicht wächst der Mensch weiter und erkennt, wie wertvoll jede dieser Weltanschauungen ist. Ja, dass jede notwendig ist in unserem Leben, und dass jede Stufe die früheren voraussetzt, integriert, nie ganz loslässt, aber leider bis jetzt bekämpft hat.

Die schreckliche Drei, der Hochstuhltyrann – Ausdrücke für Kinder in der Entdeckungsphase. Unreife Rebellen – Teenager, die nicht über diese Phase der Machtausübung hinausgewachsen sind. Primitive Stammeskulturen (wir verwenden normalerweise andere Wörter hier) – herablassende Bezeichnung für stammesorientierte Gesellschaften mit Machtstrukturen.

Rückständige Traditionalisten, verknöcherte Alte, Fundamentalisten, Islamisten – so bezeichnen wir oft Menschen, die auf der traditionellen Stufe leben.

Ausbeuter, Umweltsünder, und Schlimmeres hören moderne Menschen.

Postmoderne auf der anderen Seite sind eine Wohlfühlgesellschaft, Willkommensgesellschaft, die lieber alle zu Wort kommen lassen, als eine Entscheidung zu treffen. Political Correctness Snow Flakes, die Diskussion verhindern und Meinungen unterdrücken, nur um niemanden zu verletzen.

Unsere Vorurteile gegenüber den anderen waren gemacht. Doch nun entdeckt der Mensch den Wert einer jeden Stufe und lernt sie zu integrieren.

Und ich bin mir sicher, dass es weitergehen wird. Wir werden fähig sein, immer komplexer zu denken, zu abstrahieren.

Das Gottesbild

Die verschiedenen Entwicklungsstufen des Menschen gehen einher mit einem entsprechenden Gottesbild. Dabei sollte nun klar sein, dass dieses Gottesbild wesentlich mehr von den momentanen Abstraktionsfähigkeiten des Menschen abhängt, als vom wirklichen Wesen Gottes.

Das Baby unterscheidet nicht zwischen Gott und sich selbst. Es ist nicht fähig dazu. Es „läuft“ mit Gott im Garten umher.

Das Kleinkind beginnt, andere Menschen als eigenständige Wesen wahrzunehmen. Das ermöglicht es ihm, sich einen Gott vorzustellen, der die Form seiner selbst und der Menschen in seinem Leben hat. Zuerst in Form seiner verstorbenen Verwandten, den Ahnengöttern. Dann als Machtgott im Kampf mit den anderen Göttern anderer Stämme – und dem Menschen. Dann als alten Mann im Himmel, der straft und belohnt, je nach Gehorsam.

Die nächste Stufe, die Moderne, fokussiert sich vor allem auf sich selbst und scheint mit Nitzsche zu beweisen, dass Gott tot ist. Oder sie erkennt Gott in sich selbst.

Doch es erwacht eine neue Spiritualität, und im Einklang mit der neu entdeckten Quantenphysik zeigt sich Gott in allem, als Energie, als Kraft. Esoterik, Pantheismus, Panentheismus.

Und schliesslich die Erkenntnis: Gott hat drei Gesichter.

Gott ist unerklärbar, unbegreifbar, und jeder Versuch der Erklärung begrenzt ihn und macht ihn klein. Das erste Gesicht.

Gott möchte uns begegnen. Er ist das ewige Du, unser Gegenüber. In diesem zweiten Gesicht erscheint er uns so, dass wir ihn erkennen können. Heute würde man sagen: stufengerecht. Dem einen als Machtgott, dem anderen als einziger, normsetzender Gott, dem dritten als allumfassende Energie.

Gott bin ich. Ich bin in seinem Ebenbild geschaffen. Ich bin. Das dritte Gesicht.

Ich darf von Gott als Es, als Du und in der ersten Personalform als Ich sprechen. Hier sind wir angekommen in der Einheit, die ich in meiner frühen Vision oder Erfahrung wahrgenommen habe.

In der Geschichte

Historisch können wir das auch nachvollziehen. Davon handelt für mich die Bibel. Wir kommen nun also dem Titel näher: was ist für mich die Bibel?

Die Bibel ist eine Sammlung von Gedichten, Geschichten, Berichten, Weisungen, Sprüchen, Liedern und so weiter, welche inspiriert durch das Ewige Du, ausgedrückt vom Göttlichen Ich des Schreibers, das Handeln des Unbegreiflichen Es mit dem Menschen beschreibt.

Wenn dieses Ewige Du sich also entsprechend der momentanen Entwicklung und Fähigkeiten des Göttlichen Ichs offenbart, dann ist diese Erfahrung und Offenbarung geprägt durch das Verständnis des Schreibers.

Das kennen wir heute ja sehr genau. Es ist eine Erkenntnis der Postmoderne, dass Wahrheit subjektiv ist. Der Fehlschluss ist oft, dass es keine objektive Wahrheit gäbe. Der Rückschluss ist nur, dass wir in unserer Begrenztheit, unserer dualistischen Weltsicht, und wegen unserer Prägung und unserem Wesen diese objektive Wahrheit immer nur subjektiv wahrnehmen können.

Anders ausgedrückt: spricht das Ewige Du zu meinem Göttlichen Ich, durchwandert die Botschaft mehrere Filter, bis sie mir bewusst wird, und kann so nur noch subjektiver Natur sein. Sei das die Bibel, ein Thema, oder die Aussage eines anderen Menschen. Beweis: die unterschiedlichen Auslegungen der Bibel und die vielen Missverständnisse zwischen Menschen.

Interessant ist, dass sich die Gottesbilder, also die Offenbarung des Ewigen Du gegenüber uns Menschen, wie ich sie für die Entwicklungsstufen des Individuums gezeigt habe, in der Geschichte der Menschheit wiederholen.

Am Anfang geht es ums pure Überleben. Das zeigt sich in den Namen Gottes: Jahwe Jireh, der Gott der sieht. El Shaddai, Dein Versorger.

Das grosse Erwachen symbolisiert den Anfang des Übergangs zur Stammeskultur, dem Familienclan. Man ist sich des anderen bewusst, und Gott ist ein nicht mehr sichtbares Familienmitglied, dem es zu opfern gilt. Dies ist so von Kain und Abel bis hin zu Abraham und die Stämme zur Richterzeit. Hier ist Gott der Gott von Abraham, Isaak und Jakob.

Abraham wagt es, aus Ur wegzuziehen, Mose vollbringt die zehn Plagen und befreit Israel, Josua führt sie ins verheissene Land, David ist ein Kriegerkönig. Jahwe Nisse, Gott, Dein Banner. Jahwe Zebaoth, der Gott der Heerscharen. Ganze Völker werden im Namen Gottes ausradiert – so verstanden die Menschen zu jener Zeit ihren Gott.

Mose gibt das Gesetz, die Propheten fordern es ein und fördern das Verständnis. Gott wird zum Elohim ächad, dem Einzigen Gott. Es gibt keine Götter ausser ihm. Jesaja nennt andere Götter reine Menschenwerke, Holzstücke, deren eine Hälfte man zu Gott erklärt, und deren andere Hälfte man verbrennt, um warm zu haben.

Jesus und Paulus erklären uns die Wichtigkeit der persönlichen Beziehung, der eigenen Identität. Aber erst Luther, Zwingli und Konsorten verhelfen diesem Gedanken zum halbherzigen Durchbruch. Gott wird zum persönlichen Gott, zum Vater. Leider gelingt einem grossen Teil der Kirche der Schritt in die Moderne nicht.

Es sind wiederum Jesus und Paulus, welche uns die Wichtigkeit der Einzigartigkeit, des persönlichen Wachstums, der Zusammenarbeit, der gegenseitige Akzeptanz weit über unsere Grenzen hinaus zeigen. Denken wir an die phönizische Frau oder den barmherzigen Samariter, wo nationale Grenzen gesprengt werden. Die Pfingstbewegung, die sogenannte Ausgiessung des Heiligen Geistes, und der Later Rain waren Momente, in denen sich das Ewige Du in neuer, grenzüberschreitender, toleranter Form offenbarte, ausgegossen auf „alles Fleisch“. Wieder konnte die Gemeinde den Schritt im Allgemeinen nicht tun.

Konsequenz

Mein Denken hat sich durch all diese Gedanken verändert. Es scheint als ob sich das Leben eines jeden Einzelnen und die Menschheit als Ganzes sich in parallelen Bahnen entwickeln und sich das Ewige Du dazu stellt, indem es jedem Menschen innerhalb seines momentanen Erkenntnisstands anders erscheint.

Dies ist für mich ein Modell des Planes Gottes. Wie George Box es sagte: jedes Modell ist falsch, aber manche sind sehr nützlich. Dieses Modell ist momentan für mich das nützlichste, mein Verständnis der Bibel, mein Gottesbild, meine Erfahrungen, meinen Erfahrungshorizont, und mein Sein zu erklären.

Aus diesem Modell erwächst für mich eine grosse Liebe und Achtung vor der Bibel.

Sie ist die gesammelte Erfahrung von Generationen von Menschen, die uns erzählen, wie ihr Göttliches Ich das Ewige Du erfahren hat.

Sie ist die Ermutigung, dass uns dieses Ewige Du begegnet, wo wir sind. Es offenbart sich auf jeder Entwicklungsstufe des Menschen. Und wenn wir uns auf seinen Plan einlassen, dem Ewigen Du also näher kommen, verspricht es uns, dass es uns näher kommt. Damit sind keine geographischen Distanzen gemeint. Es entspricht dem, was gemeint ist, wenn die Bibel sagt: Christus ähnlicher. Unser Göttliches Ich bricht mehr und mehr durch unsere Prägung, unsere Verletzungen, unser Falsches Ich hindurch. Bis ich zum Schluss mit ganzem Herzen sagen kann: Ich bin.

Vielleicht liest Du jetzt noch einmal meinen ursprünglichen Artikel. Vielleicht macht er jetzt Sinn. Wenn nicht, macht es auch nichts. Wichtiger ist es, zu leben. Wirklich zu leben. Auf das Du sagen kannst: Ich bin.

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