Glauben und Vertrauen

Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Markus 9:24

Was sagt dieser Vater? Ich glaube zu 85%, dass Du meinen Sohn heilen wirst. Bitte hilf mir mit den restlichen 15%?

Oder: Ich habe ein Mass an Glauben, den Muskel gestärkt, aber für diese Situation reicht es nicht. Bitte gib mir mehr Glauben.

Genau das haben wir aus diesem Satz oft gemacht in unseren Gemeinden.

Glauben hat bei uns zwei grundsätzliche Bedeutungen:

Erstens ist es die Anerkennung der Existenz Gottes, seines Interessens an uns und seiner Tat am Kreuz. Anders gesagt, die Anerkennung der grundlegenden christlichen Dogmen.

Zweitens ist es eine Substanz, die wir brauchen, um die Versprechen Gottes in die reale Welt hinüberzuziehen. „Dein Glaube hat Dich geheilt“ wird zu „wenn Du nicht geheilt bist, dann nur, weil Du zu wenig von der Substanz Glaube hast“.

Beides sind natürlich Bestandteile von Glauben, wenn auch nicht in der angesprochenen Form.

Glaube ist kein Wissen, was richtig und falsch ist, was man glauben muss, um gerettet zu sein. Glaube ist auch kein Gefühl. Glaube ist weder im Kopf noch im Herzen. Auch nicht im Bauch.

Glaube ist aber auch kein Zaubermittel, um die Wunder Gottes zu erzwingen.

Glaube ist zuallererst einmal eine schreckliche Übersetzung.

Man glaubt etwas, oder man glaubt an jemanden. Und das ist der Fehler.

Es geht nicht darum, etwas zu glauben, sondern jemandem zu vertrauen. Was für ein Unterschied.

„Ich vertraue Gott“ ist eine so viel stärkere Aussage als „Ich glaube an Gott“. Wie hat es Jakobus gesagt? Das zweite tun auch die Dämonen.

Was also hat der Vater in unserem Vers gesagt?

Ich vertraue Dir, aber da ist ein Rest, der mir sagt, dass ich doch der Vater des Kindes bin, dass ich eine Verantwortung trage, dass ich die Lösung sein sollte. Meine Aufgabe ist es doch, für das Wohl meines Kindes zu sorgen. Und bis zu einem gewissen Grad kann ich das nicht loslassen. Hilf mir dabei.

Ich versteh den Mann sehr gut.

Vor 14 Jahren hatte mein Sohn einen Autounfall in Kanada. Er schrammte mehrfach am Tod vorbei und war mehrere Wochen im Koma, halbseitig gelähmt, mit einem Schädel-Hirn-Trauma. Niemand wusste, ob er je wieder sprechen oder gehen könnte. Sogar Schlucken musste er wieder lernen.

Der Teil in mir, der nicht Gott vertraute, machte sich Vorwürfe. Hätte ich ihn nicht nach Kanada gehen lassen sollen? Warum war ich nicht bei ihm?

Der Teil in mir, der nicht Gott vertraute, machte anderen Vorwürfe. Warum waren die Schlitten im Bus, und mein Sohn in einem Privatauto unterwegs, ganz entgegen den Bestimmungen der Schule und der Versicherung?

Dieser Teil, das darf ich mit bestem Wissen sagen, war verschwindend klein. Eigentlich kamen diese Gedanken erst auf, als nach acht Jahren endlich der Gerichtstermin feststand, es aber auch sicher war, dass mein Sohn überleben und ein fast normales Leben führen würde.

Der Rest war Vertrauen.

Und dies dank und trotz der Bibel.

Wir sehen in der Bibel, wie Gott seine Versprechen hält und bricht. Verspricht er doch, dass alle, die an ihn glauben, gesegnet sein werden (5. Mose 28). Und dann sehen wir Hiob, der – so attestiert ihm Gott selbst am Ende – alles richtig gemacht hat. Und trotzdem hatte er Geschwüre von Kopf bis Fuss, was wörtlich bei den Flüchen im 5. Mose steht. Und das ist nicht der einzige, wenn auch ein extremer Fall.

Auf der anderen Seite haben wir all die positiven Beispiele.

(Natürlich ist dies eine überaus traditionelle Art, die Bibel zu betrachten. Unser Verständnis von Gott ist gewachsen – oder so hofft man doch.)

Paulus spricht immer wieder vom Glauben an Christus. Die neuere Literatur- und Sprachforschung hat nun gezeigt, dass diese Art der Übersetzung des Genetivs (Glaube Christi) im ersten Jahrhundert vor Christus aber noch nicht üblich war.

Eine bessere Übersetzung ist der Glaube des Christus.

Was für ein Unterschied. Paulus spricht gar nicht davon, dass wir an Christus glauben müssen, sondern dass wir den Glauben haben dürfen, den Christus hat.

Wer aber ist Christus? Derselbe Paulus gibt uns einen, wenn auch zu kurz greifenden, Eindruck davon, wenn er sagt, dass wir der Leib Christi sind. Jesus das Haupt, und wir die Glieder. Zusammen Christus.

Die Schöpfungsgeschichte zusammen mit einem anderen Lieblingsausdruck von Paulus, en Christos, in Christus, zeigt uns ein grösseres Bild: alles ist in Christus geschaffen, in allem ist Christus. Die Schöpfung ist Christus, beinhaltet Christus und wird umschlossen und zusammengehalten durch Christus.

Diesen Glauben, den Glauben, der die Schöpfung kreiert und zusammenhält, diesen Glauben dürfen wir in Anspruch nehmen.

Dieses Vertrauen.

Wie drückt sich dieses Vertrauen aus? Natürlich darin, dass wir uns keine Sorgen mehr machen. Genauso wie die Lilien auf dem Feld und die Spatzen sich gar keine Sorgen machen können, denn die Lilien haben nicht einmal ein Spatzenhirn – und das der Spatzen reicht nicht so weit, dass sie sich um später Sorgen machen. Auch wir, haben wir den Glauben des Christus, können uns keine Sorgen mehr machen.

Wir vertrauen auf Gott – nicht fatalistisch -, dass er genau weiss, was er tut. Nehmen wir uns ein Beispiel an seinem Umgang mit uns: er vertraut uns so sehr, dass er uns machen lässt. Gott ist kein Helikoptervater, kein Micro-Manager. Er lässt uns Jahre lang tun, was wir so tun.

Thomas Merton sagt sinngemäss: Ich weiss nicht, ob ich in Deinem Willen wandle, kann es gar nicht wissen, aber ich hoffe, dass mein Wunsch, mein Bestreben, Deinen Willen zu tun, genügt. Vielleicht leitest Du mich ja still auf Deinem Weg, ohne dass ich es merke.

Vertrauen in Gott, dass er mit jedem Menschen seinen Weg hat. Dann muss ich weder verurteilen noch ausgrenzen. Dann darf ich den Homosexuellen, den Ehebrecher, den Mörder genau so behandeln wie jeden anderen. Gott wird das Seine tun. Es ist nicht an mir. Vertrauen heisst, nicht zu richten.

Peter Enns sagt, dass er, wäre er König des Christentums, sofort Predigten verbieten würde, die länger als 10 Minuten dauern, und jedes Vorkommen des Wortes Glauben in unseren Bibel durch Vertrauen ersetzen liesse.

Ich wär dabei. Ich würde darauf vertrauen, dass Gott das Seine tut.

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