Vier Weltsichten

Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend.

Apostelgeschichte 9:18

Paulus hat eine neue Weltsicht, nachdem er auf der Strasse nach Damaskus Christus begegnet, und er ist drei Tage blind, unter anderem damit er sich bewusst wurde, wie blind er vorher war.

Ich bin der Überzeugung, dass wir alle immer wieder solche Phasen durchmachen. Diese sind nicht unbedingt dadurch bestimmt, dass wir umkehren und vom Verfolger der Christen zu einem Apostel Christi werden.

Vielmehr geht es meist darum, die Welt mit einem besseren Verständnis und einer tieferen Sicht wahrzunehmen.

Gott ist so viel grösser, herrlicher, facettenreicher, als wir als Mensch wahrnehmen können. Und trotzdem möchte er uns begegnen.

Wie machen wir das mit unseren Kindern? Wir begegnen ihnen sogenannt stufengerecht. Wir erklären die Welt einem Dreijährigen in weniger komplexen Geschichten und Bildern als einem Teenager.

An anderer Stelle habe ich die Stufen von Spiral Dynamics angeschaut und aufgezeigt, wie ein jeder von uns diese durchläuft. Das möchte ich hier nicht wiederholen.

Aber teilweise parallel dazu entwickeln wir ein Weltbild, welches uns erklären soll, wie jetzt eigentlich diese Welt funktioniert.

Diese Weltbilder sind nicht unbedingt den Wertesystemen von Spiral Dynamics zuzuordnen, auch wenn es für gewisse davon einer grundlegenden Fähigkeit für komplexes Denken braucht.

Die meisten von uns sind dem grundlegendsten dieser Weltbilder entwachsen, das der Beobachtung durch das menschliche Auge ohne Hilfsmittel entsprang: dem ursprünglichen biblischen Modell der flachen Erde mit einem Dom, der die Erde überspannte und an dem die Himmelskörper festgemacht waren, mit Wasser darüber – den von irgendwo musste der Regen ja kommen – und darunter.

Seither wurden komplexere Modelle entwickelt. Ich möchte hier nicht einmal so sehr auf die Kosmologie eingehen. Die meisten von uns sind sich einig, dass wir uns in einem sich erweiternden Universum mit Milliarden von Galaxien innerhalb der Milchstrasse auf einem kleinen Planeten befinden, der an und für sich kaum etwas Spezielles an sich hat. Ausser dass es hier Leben gibt.

Im Moment aber ist mir das noch grössere Bild wesentlich wichtiger.

Es gibt vier grundlegende Arten, diese Welt zu betrachten.

Das materialistische Weltbild, welches in der Modernen durch die Wissenschaft geprägt wurde, sagt uns, dass alles Materie ist. Es gibt nur Materie, und was wir als Geist erfahren, ist ein Produkt eben dieser Materie. Bewusstsein entspringt der Materie, sofern diese eine hohe Komplexität erreicht.

Das spirituelle Weltbild dagegen kennt zwei Welten: die materielle und die spirituelle. Dabei hat ganz klar die spirituelle Welt den Vorrang. Für sie ist der Geist, das Bewusstsein die wesentliche Welt, die sich hinter der Manifestation, der Erscheinung im Materiellen verbirgt. Diese Weltsicht liegt den meisten Religionen zu Grunde und mündet oft in einer Verachtung der materiellen Welt, der man so schnell als möglich entrinnen möchte. Insofern ist sie eigentlich zutiefst gnostisch.

Das priesterliche Weltbild ist das andere, welches von Religionen geglaubt wird. Hier gibt es spezielle Menschen, welche erklären können, wie sich Geist und Materie zueinander verhalten. Daraus ergibt sich eine Werte-Abstufung, ein Kastensystem. Auf der anderen Seite werden wertvolle Hinweise erarbeitet, wie Materie und Geist zusammengehören. Es wird davon ausgegangen, dass die beiden wieder zusammengeführt werden müssen, durch Religion – Zurück-Verbindung.

Die vierte Weltsicht sagt, dass Materie und Geist nie getrennt wurden und nicht trennbar sind. Sie heisst die inkarnatorische Weltsicht. Christus, das Wort, manifestierte sich in der Materie, welche selbst wieder den Geist manifestiert. Ineinander verschlungen. Man könnte es so sehen: Materie und Geist sind Aggregatzustände ein und derselben Substanz. So ist Eis fest, und unser Körper kann nicht durch Wände gehen.

Einstein begann durch seine Formel e=mc2, das materialistische Weltbild zu schwächen, indem er Energie und Materie gleichsetzte. Die Quantenphysik geht noch etwas weiter, indem sie Welle und Materie, z.B. Licht und Teilchen gleichsetzt.

Extrem vereinfachend könnte man sagen, Materie ist verfestigter, verlangsamter Geist – mit der Zwischenstufe Energie. Ich erhebe darauf natürlich keinen wissenschaftlichen Anspruch. Dies soll ein mystisches Bild darstellen zur Veranschaulichung der inkarnatorischen Weltsicht.

Christus wurde Fleisch, wurde Materie. Er ist in allem, das existiert. Jesus wurde Mensch und lebte selbst in Christus. Zuerst sprach Gott zu uns durch die Schöpfung, am Ende durch den Sohn, sagt Paulus. Seither durch die Gemeinde und die Bibel, die es ja erst seit Kurzem gibt.

Die inkarnatorische Weltsicht sieht also keine Reise von der materiellen Welt in die geistliche vor, noch leugnet sie die Existenz der Geistes. Sie sieht das Leben als ein Erwachen. Erwachen ist wichtiger als Entscheiden. Wachstum, Bewusstsein und Liebe wichtiger als Priester, Schriften, Rituale, Moral. Wachsen wichtiger als Gehorsam.

In der materiellen Weltsicht gibt es keinen Sinn, wobei Sinn von indogermanisch sent abstammt, was soviel bedeutet wie „reisen, gehen, fahren“. Man ist, und dann ist man nicht mehr.

In der spirituellen Sicht besteht der Sinn des Menschen, geistlich zu werden. Diese Reise beginnt mit einer Entscheidung. Im Christentum wird jeder, der diese Entscheidung nicht trifft, in der geistlichen Welt verdammt sein.

Genau so sieht es die priesterliche Weltsicht, welche im Christentum auch weit verbreitet ist. Die beiden unterscheiden sich in wichtigen Aspekten: in der spirituellen Weltsicht wird alles in der Geisteswelt aufgehen, während in der priesterlichen Weltsicht die beiden zusammengeführt werden.

In der inkarnatorischen Weltsicht aber ist alles bereits Geist. Alles ist in Christus. Durch ein Erwachen wird dies einem bewusst, und man wird zur Fackel, zum Licht der Welt, welches den Menschen erlaubt, zu sehen. Licht selbst kann man nicht sehen, aber es macht alles sichtbar.

Als moderne Menschen werden wir verschiedene Phasen auf unserem Weg, unserer Sinnsuche durchwandern. Ob wir traditionell in einem priesterlichen, gehorsamsorientierten, hierarchischen Modell mit speziell gesalbten Menschen beginnen, die Materie und Geist verstehen und erklären sollen, oder in einem modernen materiellen Modell, welches dem Geist die Existenz vollständig abspricht, oder in einem oft post-modernen, aber auch traditionell vorhandenem spirituellen Modell, welches von mir verlangt, allem Materiellen abzuschwören – ich hoffe, dass wir durchdringen zu einem inkarnatorischen Modell, in welchem Materie und Geist gleichberechtigt sich gegenseitig manifestierend nebeneinander bestehen.

Dies hat uns Jesus zugesprochen, als er sagte: Ihr seid das Licht der Welt. Dies meint Paulus, wenn er von „in Christus“ spricht.

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