Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist.
2. Mose/Exodus 20:4
Die Zürcher Übersetzung ist genauer, als es Luther ist: Gottesbild statt Bildnis. Und doch ist beides doppeldeutig und oft falsch verstanden worden.
Es geht hier nicht darum, sich keine Vorstellung von Gott zu machen, sondern keine Statuen aufzurichten, die dann angebetet werden.
Das ergibt sich klar aus der Fortsetzung des Verses: wie können wir auf dieser Erde überleben, wenn wir uns kein Bild machen von dem, was in der Schöpfung ist?
Unser Hirn funktioniert so: es gestaltet aus den elektrochemischen Impulsen der Sinnesorgane ein Bild, das uns die Welt erklärt. Und schon sehr früh begann der Mensch, sich ein Bild dessen zu schaffen, was er nicht sieht. Unter anderem von Gott.
Unsere Vorstellungen von Gott sind das Produkt, aber auch der Ausgangspunkt unseres Glaubens.
Das sehen wir auch in der Bibel. Gott wird immer wieder schemenhaft beschrieben. Er erhält einen Mund, um zu sprechen, Arme, die er bewegt, um damit etwas auf Erden auszulösen. Ein Kleid, dessen Saum den Tempel füllt. Und er sieht aus wie einer, der von Alters her ist.
Er sitzt auf einem Thron im Himmel, hält Gericht. Er hat einen Rat und einen Feind, der die Welt durchforstet, um die Menschen vor Gott zu verklagen.
Das Alles tönt sehr menschlich. Eine Projektion von uns auf Gott.
Aus diesem Bild heraus ergibt sich dann auch so manch theologisches Konzept: der Sohn, der zur Versöhnung zwischen Gott und uns sterben musste, das Gericht, bei dem alle, die nicht glauben, die gerechte Strafe erhalten.
Natürlich ist uns bewusst, dass Gott so viel höher ist und anders ist als wir. Doch wir brauchen diese Tatsache nur, um uns dort zu beruhigen, wo wir das Bild nicht verstehen.
Wie kann ein Gott, der Liebe ist, Völkermorde befehlen? Wie kann ein Gott, der uns lehrt, unsere Feinde zu lieben, den grössten Teil der Menschheit zu ewiger Qual verurteilen? Seine Gerechtigkeit ist halt höher als wir es je verstehen werden.
Jesus kam zur Erde, ging ans Kreuz und starb, und für drei Tage war er im Grab.
Wir haben es so verstanden: Jesus kam, ganz Gott und ganz Mensch, um uns ein Bild für Gott zu geben und als Mensch zur Versöhnung und Vergebung zu sterben.
Ich glaube, es war umgekehrt und anders: Jesus kam, um uns ein Bild für echtes Menschsein zu geben, und als Gott zu sterben, damit unser Rachedurst gestillt wird, aber auch damit unser Bild von Gott sterben kann.
Als Jesus auferstand, erkannte ihn Maria nicht. Erst als er ihren Namen nannte, als er ihre Beziehung ansprach, ging ihr auf, wer da vor ihr stand.
Und später entschwand Jesus, und wieder starb ein Bild, das wir uns von Gott machen. Und Johannes schenkte uns ein neues Bild: die Auferstehung von Jesus als Christus – so haben wir es verstanden. Ab jetzt war Jesus nicht mehr der Mensch, sondern der König, nicht mehr das Lamm, sondern der Löwe.
Wir scheinen unfähig, uns von unseren Gottesbildern zu trennen und sie sterben zu lassen. Gleich, einfach etwas majestätischer.
Und doch bin ich überzeugt, dass Gott uns durch Zeiten schickt, in denen unser Gottesbild stirbt. Es folgt die dunkle Nacht, die uns Johannes vom Kreuz, der mittelalterliche Mystiker, schön beschrieben hat. Dunkelheit, Stille, denn auch die Wege, wie Gott kommuniziert, entsprechend dem von uns gemachten Bild, sind gestorben. Und wir sprechen mit Nietzsche: Gott ist tot. Obwohl doch nur unsere Vorstellung von Gott gestorben ist.
Auf der anderen Seite dieser Nacht erwachen wir mit einem neuen Gottesbild, welches näher an der Wahrheit ist, wenn auch nicht wahr, denn jedes Bild ist Stückwerk. Nur ein Abbild, eine Vorstellung.
Wichtig ist, dass unser neues Bild uns näher zu Gott bringt. Christus in uns ist uns doch wesentlich näher als Gott auf dem himmlischen Thron, und doch entspringen sie den gleichen Vorstellungen.
Christus als derjenige, welcher in allem ist und es zusammenhält, der die erste Schöpfung ist, Liebe manifestiert als Materie und Energie. Christus, welcher in Jesus ist, manifestiert als Mensch. Und Jesus ganz Mensch, der erlebt, durchlebt, und gelebt hat, was wir auch können. Dieses Bild ist uns wiederum näher als das vorhergegangene.
Dies führt dazu, dass wir die Bibel aus ganz neuen Perspektiven betrachten:
Könnte die Bibel so formuliert worden sein, wie wir es verstehen, viel mehr aus der Perspektive des Menschen als aus Gottes Perspektive? Könnte sie wahr sein, weil sie uns zu einem Ziel führt, und nicht, weil alles so ist, wie sie es beschreibt?
Lügt eine Primarschullehrerin, wenn sie behauptet, dass eine grössere Zahl nicht von einer kleineren subtrahiert werden kann? Nein, den der eingeführte Zahlenraum, das Verständnis, welches die Kinder von Zahlen zu dem Zeitpunkt haben, erlaubt dies tatsächlich nicht.
Die Welt, die sie kennen, kennt keine negativen Zahlen. Erst durch ein grösseres Weltbild, dem Raum der ganzen Zahlen, ist Subtraktion vollständig definiert. Und dann kommt die Division. Erneut muss sich das Weltbild verändern und vergrössern: rationale Zahlen, dann irrationale Zahlen, dann komplexe Zahlen.
Paulus sagt uns, dass Gott zuerst durch die Schöpfung zu uns sprach, dann durch das Gesetz, später durch die Propheten, und zuletzt – in seiner Zeit – durch den Sohn.
Wir haben diese Reihe problemlos weitergeführt: durch die Gemeinde, durch die Bibel, durch die Tradition (was in der Reformation dann wieder zurückgenommen wurde) und durch den Geist. Und natürlich durch die Erfahrung.
Gott drückt sich uns gegenüber durch das oder die Mittel aus, die wir verstehen. Er sandte seinen Sohn, als die Zeit reif war. Das Potential, dass der Sohn zu mindestens im Ansatz verstanden würde, war jetzt da, was uns das neue Testament beweist. Oder etwa doch nicht, haben wir doch Jesus zu einem dualistischen Mittel gemacht, um abzugrenzen, wen Gott annimmt.
Mein Gottesbild ändert sich. Ich habe eine grosse Gabe erhalten von Gott: ich lasse gerne los und gehe ins Neue. Daher fällt es mir auch nicht so schwer, die Sicherheit des alten Gottesbildes zu verlassen. Glaube ist nicht „sich sicher sein“, Glaube ist nicht Gehorsam, Glaube ist eine Reise mit Zweifel und Vertrauen hin zu einem tiefen Verständnis Gottes.
Wie siehst Du Gott, und was gilt es daran zu ändern?