Ostern: ein aperspetiktivischer Ansatz

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Realisierend, dass Alles nun zur Fülle erreicht und Alles, was geschrieben war, erfüllt war, sagte Jesus: Ich habe Durst.

Joh 19:28

Jesus kannte die Schriften. Damit meine ich vor allem das Alte Testament und ein paar Schriften, aus denen Jesus zitiert hat während seinem Leben, die es aber nicht in den Kanon geschafft haben.

Er wusste, dass die Schriften auf ihn hinwiesen. So sagt er:

Ich habe in Deinem Buch gelesen, was Du über mich geschrieben hast; so bin ich hier, ich bin gekommen, um meinen Ursprung zu erfüllen.

Hebr 10:7

Viel ist geschrieben worden darüber, warum Jesus ans Kreuz gehen musste. Interessanterweise vergingen ein paar Jahrhunderte, bis dies zum Thema wurde im Christentum.

Verschiedene Interpretationen

Ich möchte hier keinen historischen Abriss über die verschiedenen Theorien geben, sondern eine Einordnung in die verschiedenen Weltanschauungen versuchen. Ich möchte aufzeigen, wie jede dieser Auslegungen die Menschheit ein Stück weiter gebracht hat.

Jesus ist gestorben, um uns in die Familie Gottes zu holen.

Beim Tod Jesu geht es um die Familie. Durch seinen Tod dürfen wir uns seine Kinder nennen. Wir sind dadurch Kinder Abrahams, eingepfropft in den ewigen Baum Israels.

Es geht um Blutsverwandtschaft. Darum trinken wir sein Blut. Das hat – und bitte vergebt mir den sehr menschlichen Vergleich, der meinen Kindheitsträumen entspringt – etwas von Blutsbruderschaft.

Wie sagte es Adam: Fleisch von meinem Fleisch.

Durch den Tod Jesu und das Abendmahl dürfen wir jetzt sagen: Blut von meinem Blut.

Zur Zeit Abrahams war Blutsverwandtschaft wichtig. Den Blutsverwandten konnte man vertrauen, auf sie passte man auf. Darum war der Wegzug aus Ur eine so grosse Sache für Abraham. Darum rettete er Lot aus den Händen seiner Feinde.

Darum wurden Bünde mit Blut geschlossen.

Was Jesus am Kreuz tat: er nahm uns durch einen Blutsbund in die Familie auf. Wer auch immer zwischen den Hälften des Bundeszeichens hindurchging, war Bündnispartner auf ewig.

Durch seinen Tod war Gott sowohl Bündnispartner als auch Bündnisopfer. Wenn wir nun durch diesen Tod mit Jesus gehen in unserem Zeugnis und der Taufe, sind wir Bündnispartner mit ihm.

Dies gibt uns Schutz. Gott wird sich für uns einsetzen wie Abraham, als er Lot befreite. Er wird sich nicht gegen uns wenden, und er wird sein Zuhause mit uns teilen, denn wir sind Familie. Meschpuke.

Jesus ist gestorben, um die Wut Gottes über den Ungehorsam der Menschen zu stillen.

Als Mose nach Ägypten ging im Namen seines Gottes „Ich bin“, erlebten die Israeliten und Ägypter in ihren Augen einen Kampf von Power-Göttern: Jahwe gegen die Götter Ägyptens.

Viele Menschen haben heute noch dieses Bild von Gott, auch wenn sie rein intellektuell natürlich von dem einen Gott sprechen – oder doch von dem einen wahren Gott, was ja schon etwas Spielraum lässt für die Existenz Gott-ähnlicher Geschöpfe.

Ein solches Wesen ist in ihren Augen der Teufel. Er wird zum Vater, zum Gott all derer, die sich nicht bewusst für Jahwe entscheiden.

Als eifersüchtiger Gott ist Jahwe wütig über jeden, der sich nicht für ihn entscheidet. Irgendwie scheint der Teufel sogar etwas mächtiger in den Augen dieser Menschen, da ja jeder automatisch dem Teufel gehört, der sich nicht für Gott entscheidet.

Als Gott dieser Welt scheint der Teufel mit seinen Kohorten auch für das Meiste verantwortlich zu sein, was hier geschieht.

Aber zurück zu Gott: er ist also wütend auf die Menschheit seit Adam und Eva. Die Opfer des alten Bundes konnten ihn nicht richtig besänftigen und hielten jeweils für ein Jahr hin.

Da Gott aber Liebe ist, gab er seinen eigenen Sohn als Opfer, damit er nicht mehr wütend sein musste. Allerdings hält dieses Opfer auch nicht ewig, denn am Ende der Zeit werden all diejenigen, die sich nicht für Gottes Seite entschieden, mit dem Teufel zusammen die volle Wut Gottes in Ewigkeit zu spüren bekommen.

Diese Sicht der Dinge entspricht dem Denken der Kriegerzeit, dem Recht des Stärkeren, und etabliert Gott als den Starken. Menschen ordnen sich Gott unter, weil er den ewigen Sieg verspricht.

Jesus ist gestorben um unserer Sünde willen.

Mose erhielt in der Wüste das Gesetz. Paulus zeigt uns auf, wozu das Gesetz gegeben wurde: ohne Gesetz keine Sünde, aber auch kein moralischer Massstab.

Plötzlich erhielt die alte Geschichte der Schöpfung eine neue Interpretation. Adam und Eva hatten gegen Gott rebelliert, und diese Rebellion liess Sünde in diese Welt kommen.

Die Menschen um Mose herum hatten gerade den Kampf der Götter erlebt. Jahwe hatte die ägyptischen Götter besiegt. Die Schöpfungsgeschichte erklärte nun aus der Sicht des Gesetzes, warum diese Götter überhaupt Macht über Menschen haben durften. Oder anders gesagt, sie wurde interpretiert als der Fall der Menschheit und die Übergabe des Besitzrechts für diese Welt an den Teufel.

Der Weg zurück ist die Busse, die Umkehr, das Opfer und der folgende Gehorsam.

Der Lohn der Sünde ist der Tod. Jesus starb stellvertretend, damit wir diesen Tod nicht erleben müssen. Tod muss allerdings anders definiert werden, da auch gesetzestreue Menschen wie auch Gläubige den natürlichen Tod sterben.

Tod wird so zum ewigen getrennt Sein von Gott. Dieses wird als Qual empfunden, als ewige Hölle.

Busse, also Umkehr und das Versprechen, nie wieder etwas Falsches zu tun, wird zum Leidensweg, der gerne in Kauf genommen wird, um die ewige Belohnung in der Zukunft zu erlangen.

Jesu Tod nun erlaubt es, diesen Leidensweg in ein frohes Schaffen zu verwandeln, weil die Sünden vergeben sind und Gott uns hilft. Das Gesetz als Vorstufe hat uns gelehrt, dass wir es allein nicht können.

Gott nahm in Jesus die uns limitierende, ja verkrüppelnde Sünde weg, damit wir frei, wenn auch unter Anfechtung der Welt und ihres Gottes, unseren Weg mit seiner Hilfe gehen können. Er schafft die äusseren Bedingungen, unter denen wir es schaffen können.

Gott ist gestorben.

Gott ist tot. So sagt Nietzsche mit Bedauern. Bis anhin hatte Gott eine recht mythische Dimension und erinnerte an ein Wesen ähnlich den Göttern der anderen Völker.

Nicht nur wurden Gott ständig menschliche Charakterzüge wie Wut und Eifersucht zugeschrieben, auch stellte man sich ihn als ein Wesen da draussen vor mit menschlichen Zügen. Wir waren das Ebenbild Gottes. Er hatte Hände, in die wir gezeichnet waren, Arme, die er bewegte, um etwas zu bewegen. Er sah aus wie einer von Alters her.

Dieser Gott musste sterben. Der zornige Gott, der immer noch wütend war auf Adam und seine Nachkommen. Der Familiengott, der zwischen Blutsverwandten und allen anderen unterschied. Der gerechte Gott, der Hingabe erwartete und Gehorsam.

Vor allem aber der Gott, der das erklärte, was wir uns selber nicht erklären konnten. Gott musste hinhalten, wenn etwas Schlimmes geschah, und er wurde gelobt, wenn etwas funktionierte. Der Mensch war ein Wurm, gerettet aus Gnade, und trotzdem das Zentrum des Geschehens. Dies zeigte sich gerade in der Kosmologie, wo die Erde im Zentrum des Kosmos lag.

Gott musste sterben, um dem einzelnen Menschen Wert zu geben. In der Zeit, in der Gott für uns tot war, lernten wir unsere ironischerweise gottgegebenen Fähigkeiten kennen, aber auch unsere Grenzen.

Wir erforschten alles, von der Tiefsee bis zum Weltall, vom Subatomaren bis zu den Multiversen. Wir entdeckten die fraktalen Eigenschaften der Schöpfung in ihrer Selbstähnlichkeit, und das Zusammenbrechen jeder Logik im subatomaren Bereich.

Wir waren unbesiegbar. Natürlich hatten wir Moral gelernt, aber sie wurde nun beugbar und abhängig von der Meinung der Mehrheit. Alles war machbar.

Ostern, Jesu Tot am Kreuz zeigte uns unsere eigene Macht und Ohnmacht, unseren Wert und unsere Abhängigkeit. Unsere beschränkte Gottähnlichkeit.

Jesus ist für die Schwachen und die Opfer gestorben.

Wir lernten, dass mit all unserem Streben viele am Strassenrand liegen blieben.

Gott war schon immer ein Gott der Unterdrückten und der Verlorenen. Ein Gott, der sich für Sklaven einsetzte, ja vorher schon für Abel.

Wie sagte Jesus? Ich bin gekommen für die Kranken, denn der Gesunde braucht keinen Arzt.

Gott starb, damit wir leben konnten. Jesus gab sein Leben für den Bedürftigen, den Randständigen, den Verfolgten, die Minderheiten.

Wir waren die Monster, die Unterdrücker.

Er befreit uns von unseren Schuldkomplexen. Jemand musste sterben für unsere Schuld. Nicht weil Gott damit ein Problem hat, sondern weil wir der Überzeugung sind, dass jemand für all das büssen muss.

Jesus erfüllte die Berufung der Schöpfung und zeigte den Weg.

Das von Gott geschaffene Prinzip des Empfangens und der Reflexion wählte das egoistische Empfangen nur für sich selbst. Adam entschied sich für den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, weil erlaubte, dass Gott ihm etwas vorenthalte.

Liebe hatte diese Entscheidung notwendig gemacht, den Liebe kann nur freiwillig sein. Gott musste das Risiko eingehen, aber er hatte einen Plan.

Der zweite Adam entschied sich für die ihm zugedachte Aufgabe und führte so die Menschheit in ihre Bestimmung.

Der Tod Jesu ist nur ein Teil des Ganzen, viel wichtiger ist sein Leben. Konsequent lebte er den Auftrag, von Gott, dem Geber, zu empfangen und ihn zu reflektieren. Bis hin zum unausweichlichen Tod und zur Auferstehung.

Die Auferstehung ist der Aufruf an uns alle, Christus, das Prinzip des Empfangens und der Reflexion, auszuleben.

Sie ist der Ausdruck des Prinzips vom Baum des Lebens. Unsere Augen werden geöffnet für den Baum des Lebens, für die Wahrheit, dass Gott nichts von uns zurückhält, und es nie tat.

Wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn erwartet er nichts von uns. Alles, was ihm gehört, gehört uns. Bedingungslos.

Wer hat nun recht?

Bis jetzt habe ich verschiedene Perspektiven aufgezeigt, wie die Ostergeschichte interpretiert werden kann und von vielen Menschen in der Geschichte, aber auch heute interpretiert wird.

Der Anspruch der Meisten wird jetzt sein: ja, was ist nun die wirkliche Bedeutung dieser Geschichte? Mit anderen Worten: wer hat recht?

Alle. Alle haben recht.

Jede dieser Interpretationen hat für die Menschheit und viele Individuen zu gewissen Zeiten genau das erreicht, was sie sollte. Sie hat die Menschen näher zu Gott gebracht.

Und jede dieser Interpretationen hat viele davon abgehalten, Gott näher zu kommen.

Jede Interpretation für sich ist nur ein Bruchstück des Ganzen und kann beides erreichen: Anziehen und Abstossen.

Alle Interpretationen zusammen, zur rechten Zeit, sind ein Pfad, ein Weg, selber bruchstückhaft, fast wie eine mit einzelnen Pflastersteinen gepflasterte Strasse zu Gott.

Wir werden noch viele Interpretationen entdecken. Wenn sie jemanden näher zum Gott bringen, sind sie lebensspendend, auch wenn andere sie als grundsätzlich falsch und schädlich empfinden.

Ein subjektivistisches JeKaMi? Jedem so, wie er es will?

Nein, ein liebender Vater und Gott, der jedem so begegnet, wie er es braucht und versteht.

Auch und gerade an Ostern.

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