Lasst nicht zu, dass die gegenwärtige religiöse Tradition euch in ihr Muster der Argumentation umformt. Achtet wie ein inspirierter Künstler auf den Teil von Gottes Wunsch, der in euch Ausdruck finden möchte.
Römer 12:2a MIR
Wir haben gelernt, mit dieser Welt umzugehen, sie zu erklären. Das ist notwendig, weil wir mit ihr interagieren dürfen, müssen, sollen.
Wir haben unseren Körper trainiert, unsere Umwelt zu manipulieren und nutzbar zu machen. Manipulieren im erst ganz wörtlichen Sinne, von manus und plere, die Hand füllen.
Später haben wir gelernt, Werkzeuge zu benutzen, und unsere Manipulation wurde mächtiger und folgenreicher.
Wir haben ein gut funktionierendes Modell der Welt, mit dem wir bestens umgehen können. Und wir haben gelernt, dass wir etwas nie tun sollten: never change a running system.
Ähnlich geht es uns mit unserm Glauben. Wir haben ein Modell der Welt und der Himmel, das funktioniert und uns Erklärungen liefert, die genügen, um entsprechend unseres Modells zu leben.
Es gibt ein paar Fragen, die wir nicht beantworten können. Doch die ignorieren wir mit dem Hinweis darauf, dass Gottes Denken so viel höher ist als unser Denken, dass es an uns ist, zu glauben und nicht zu wissen, dass Zweifel das Gegenteil sei von Glauben.
Andere grosse Fragen sehen wir schlichtweg nicht.
Anomalien werden wegerklärt oder übersehen.
Wir wissen, wie die Welt funktioniert. Wir wissen, was die Bibel bedeutet. Wir können uns in dieser Welt bewegen, ja wir können diese Welt manipulieren.
Wachstum bedeutet für uns, dass wir besser werden in dem was wir bereits tun, von anderen lernen, wie das System funktioniert, verfeinern, was wir bereits machen. Wachstum bedeutet, meinen Glauben zu investieren, um Anomalien auszublenden, damit kein Zweifel aufkommt. Wachstum bedeutet, Antworten zu haben, statt Fragen zu stellen.
Wir versuchen, etwas gerecht zu werden. Wir versuchen, ein Muster zu erfüllen. Wir lernen ein Weltbild und eine Argumentation. Wir leben ein ärmliches, ja erbärmliches Leben.
Ein Meister hatte eine Gemeinschaft aufgebaut, die wunderbar kreativ und lebendig war, individuell und überraschend reagierte, wachstümlich und bunt.
Ihm wurde bewusst, dass er einen Gesandten brauchte, um alle anfallenden Arbeiten ausführen zu können. Er wollte sich auch auf seine Stärken, den künstlerischen Ausdruck, die Kreativität, die Lebendigkeit konzentrieren. Die Grösse der Gemeinschaft aber machte einiges an Administration notwendig.
Er setze einen Gesandten ein (auf Griechisch: Apostolos). Dieser Gesandte war hochintelligent und organisatorisch grossartig, aber er wusste nicht, was er alles nicht wusste.
Bald dachte er, besser zu wissen als sein Meister, wie Gemeinschaft gebaut würde, und er manipulierte die anderen, den Meister zu verbannen. Und seither verwaltet er die Gemeinschaft zu Tode.
Der Gesandte wurde zum Meister, aber nur durch Position. Sein Denken veränderte sich nicht. Und weil er nicht wusste, was er alles nicht wusste, unterdrückte er jeden inspirierten Künstler, der ihn ergänzen wollte.
Der ursprüngliche Meister musste Aufgaben abgeben, der Gesandte handelte gemäss seinen Fähigkeiten. Zusammen hätten sie etwas wunderbares geschaffen und verwaltet. So aber war es ein Entweder/Oder, das zum Tode führte.
Wir Menschen machen dasselbe in unserem Gehirn. Die rechte Hirnhälfte ist der Meister, die linke der Gesandte.
Jetzt ist es nicht so, dass sich die Hirnhälften auf etwas spezialisieren. Früher hat man angenommen, dass rechts die Kreativität und links die Logik beheimatet wären. Heute weiss man, dass beide Hirnhälften in allem involviert sind, aber eine unterschiedliche Weltanschauung haben.
Die linke Hemisphäre konzentriert sich auf die Manipulation und die Verwaltung der Welt, wie wir sie kennen.
Die rechte Hemisphäre konzentriert sich auf die Anomalien. Wo weicht die Realität von unserem Modell ab? Wo gibt es ein grösseres Ganzes? Sie untersucht das Unbekannte.
Die linke Hemisphäre sieht die Details getrennt. Menschen, welche die rechte Hemisphäre durch einen Hirnschlag verloren haben, erkennen eine Ansammlung von Körperteilen als Menschen.
Die rechte Hemisphäre konzentriert sich auf das Ganze und die Beziehungen. Ging die linke Hemisphäre durch einen Schlag oder ein Trauma kaputt, wird nur ein Mensch in seiner Gesamtheit als Mensch erkannt, mit jedem Teil an seinem Platz.
Wachstum geschieht natürlich bei der besseren Anpassung an das bekannte Modell. Es geschieht aber auch durch Anpassung des Modells.
Die rechte Hemisphäre erkennt die Anomalien und das Chaos, während die linke das Normale und die Ordnung wahrnimmt.
Wenn die rechte Hemisphäre ein neues Modell entwickelt hat, welches die Welt besser abbildet, kommt es zum grossen Sprung. Die linke Hemisphäre übernimmt die Weltanschauung der rechten und füllt sie mit den notwendigen Details. Dabei geschieht eine Integration, eine Einbettung des vorherigen Weltbildes als Spezialfall des neuen mit den notwendigen Anpassungen.
Nehmen wir die Physik als Beispiel. Newton gab uns ein Bild der Welt, welches uns grossartige Dienste geleistet hat. Die ganze erste industrielle Revolution basiert darauf.
Einstein und Bohr haben dieses Bild entlarvt als das, was es ist: ein Spezialfall einer wesentlich grösseren Theorie, der Quantenmechanik.
Ein einfacheres Beispiel: die Menschen lernten zu Zählen und erfanden die natürlichen Zahlen. Bald konnten sie addieren und subtrahieren. Doch sie merkten, dass sie eine grössere Zahl nicht von einer kleineren subtrahieren konnten, und sie erweiterten das Modell der Zahlen um negative Zahlen. Die Bruchrechnung machte weitere Ergänzungen notwendig. Dabei ist es wichtig zu sehen, dass die alten Modelle immer eine Teilmenge der neuen sind. ℕ ⊂ ℤ ⊂ ℚ ⊂ ℝ ⊂ ℂ
Zurück zu unserem Glauben. Religion ist, wenn Glauben zementiert wird. Es wird ein Argumentarium für alles aufgebaut, was in das Weltbild hineinpasst, und jegliche Anomalie abgeschmettert. Wir kennen die Beispiele gut: christlicher Fundamentalismus, Islamismus, Wissenschaftsgläubigkeit, Atheismus, Sozialismus, Konservativismus.
Dabei werden im Glauben Aussagen wie die Folgenden verwendet: Aber die Bibel sagt; Du hast zu wenig glauben; wenn wir dann im Himmel sind, werden wir verstehen; diese Frage stelle ich mir nicht, denn es gibt wichtigere Dinge.
Gott hat uns zwei Hinhälften geschenkt, und wir reduzieren uns auf die linke Hemisphäre. Dabei ist unser Glaube nur dadurch entstanden, dass die rechte Hemisphäre neue Offenbarungen so weit ausgearbeitet hat, dass sie von der linken ins Weltbild integriert werden konnten.
Doch jetzt soll alles vorbei sein. Es gibt nichts Neues mehr unter der Sonne, und viel wichtiger noch, wir haben verstanden, was es zu verstehen gibt. Jetzt gilt es nur noch auszuleben (linke Hemisphäre), bis Jesus wiederkommt.
Wie gesagt: Wir leben ein ärmliches, ja erbärmliches Leben.
Hören wir auf die prophetischen Künstler, ja werden wir zu dem inspirierten Künstler, der seine Fähigkeiten, die Welt zu manipulieren, dazu nutzt, Gottes Wunsch auszudrücken.