Herz und Verstand

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Gott verlieh aber dem Salomo Weisheit und Einsicht in sehr hohem Maße und einen Verstand so weitreichend wie der Sand, der am Ufer des Meeres liegt.

Könige 5:9

Ich glaube, wir reden oft aneinander vorbei, wenn wir von Herz und Verstand reden.

Darf ich Dir mal schreiben, was meine Ansicht dazu ist? Vielleicht hilft das ein bisschen, die Verwirrung zu lösen.

Meiner Ansicht nach besteht der Mensch, so wie es die Bibel sagt, aus drei Teilen: Geist, Seele, und Körper.

Die Seele wiederum besteht aus Wille, Verstand, Intuition und Emotionen und Gefühlen.

In der deutschen Sprache und unserer Kultur werden Emotionen und Gefühle mehrheitlich dem Herzen zugeschrieben, Wille und Verstand dem Kopf, und Intuition dem Bauch.

Natürlich sind alle Emotionen ganzheitlicher Natur. Wir siedeln zum Beispiel Angst im Kopf an, Wut im Bauch, und Trauer im Herzen. Dies zeigt mir, dass diese drei Bereiche stark zusammengehören und zusammen die Seele bilden.

Andere Kulturen siedeln die Emotionen in der Niere an. Dies zeigt mir, dass Emotionen körperliche Reaktionen auslösen, die wir in unserem Inneren empfinden und lokalisieren, allerdings an verschiedenen Orten.

Der menschliche Geist befindet sich für mich im Unterbewussten des Menschen. Dieses Unterbewusste kommuniziert mit dem Heiligen Geist, der damit dem gemeinsamen Unbewussten entspricht.

Der Heilige Geist kommuniziert mit dem Geist der Menschen, also auf der Ebene des Unterbewussten.

Bewusst wird uns, was der Geist uns sagt, durch unsere Seele, also durch Gefühle wie Frieden, Emotionen wie Liebe, Erkenntnisse in unserem Verstand, Entscheidungen in unserem Willen.

Dies wird biblisch gestützt dadurch, dass alle Worte, die wir mit Herz oder Verstand übersetzen, im Hebräischen und Griechischen jeweils beide Bedeutungen beinhalten. Erst im durch das Latein beeinflussten späten Griechisch beginnt die Trennung einzusetzen. Die Schreiber des neuen Testaments aber denken hebräisch.

Es sind rein theologische Entscheidungen, die die Übersetzer anhand ihres Weltbildes getroffen haben, die dazu führten, dass jeweils Herz oder Verstand gewählt wurden im Deutschen und Englischen, wobei die englischen Übersetzungen stark von Luther und seinen Entscheidungen geprägt wurden.

Paulus spricht im Römer 7 von dem Widerspruch zwischen seinem Wollen und seinem Handeln. Er will das Gute, und tut das, was er nicht will. Hier ist nicht von Geist und Fleisch die Rede. (Übrigens heisst „Sarx“, übersetzt mit Fleisch, so etwas wie animalische Instinkte, also einen Teil der Seele.)

Der Wille ist Teil der Seele, und Handlungen sind motiviert durch Gefühle, Emotionen, Intuition, Gedanken und Entscheide – also von der Seele.

Man kann also durchaus sagen, dass Goethe mit seinen zwei Seelen poetisch (natürlich haben wir nur eine Seele) genau das aufgenommen hat, was Paulus sagen wollte.

Ich finde es äusserst schwierig, mit so lasch definierten Ausdrücken zu arbeiten: einmal soll das Herz Sitz der Gefühle sein, einmal aber der Sitz des Geistes. So entsteht leicht der Eindruck, dass unsere Emotionen und Gefühle der reinste Ausdruck des Willens des Heiligen Geistes sind, und das wiederum führt dazu, dass wir uns von unseren Gefühlen leiten lassen.

Natürlich müssen wir unsere ganze Seele verändern und verändern lassen, so wie es uns Römer 12:2 auch sagt:

Und passt euch nicht diesem Weltlauf an, sondern lasst euch [in eurem Wesen] verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.

Römer 12:2 (Schlachter 2000)

Schlachter fügt hier „in eurem Wesen“ hinzu, um die Bedeutungsvielfalt des Wortes, welches er mit „Sinn“ übersetzt, zu zeigen.

Es ist das Wort „Nous“. Es heisst gemäss Strongs:

  1. Sitz unserer Emotionen und Neigungen, der Modus des Denkens und Fühlens, Characters, Moral, unser Herz
  2. Verständnis, Intellekt
  3. Gedanken, Ratschläge, Sinn und Zweck, Meinung
  4. Tieferer Sinn
  5. Bewusstsein

Die beste Übersetzung für „Nous“ wäre meiner Meinung nach „Wesen“. Es umfasst die ganze Seele und alles, was diese Seele tut und zum Ausdruck bringt. All dies darf sich ändern.

Persönlich tut es mir weh, wenn der Verstand immer wieder mit der alten Natur gleichgesetzt wird. Dies verhindert den Reifeprozess, weil wir dann dazu neigen, den Verstand auszugrenzen, statt ihn zu verändern.

Auch wird es für Menschen, welche primär verstandesmässig funktionieren, ein echter Stolperstein. Ich möchte nichts mehr, als mich in Gottes Ebenbild zu verwandeln. Zu häufig aber erscheint mir dies so:

Herzensmenschen dürfen ihre Stärken verwenden, denn das Herz ist gut.

Kopfmenschen müssen ihre Stärken verleugnen, denn der Verstand ist ein Verführer.

Ich glaube, dass wegen dieser Theologie die Gemeinden heute hauptsächlich aus Herzensmenschen besteht. Sie fühlen sich angenommen und bestätigt, haben also ein zuhause gefunden. Kopfmenschen fühlen sich hingegen oft vor den Kopf gestossen und verlassen die Gemeinde wieder.

Das führt dazu, dass die Herzensmenschen in der Gemeinde die verkündete Theologie natürlich als richtig empfinden. So wird das Ganze zu einem selbstverstärkenden Kreislauf.

Insofern ist ein sauberes Verständnis und eine klare Kommunikation über Herz und Verstand so wichtig. So werden einem jeden Werkzeuge gegeben, mit denen er arbeiten kann, und Gebiete aufgezeigt, an denen er arbeiten sollte.

Es geht mir hier nicht um mich. Ich glaube, dass ich einen weiten Weg hinter mir habe, mein Denken, ja mein ganzes Wesen zu verändern. Meine Loyalität zu Gott hat mich bis jetzt auch in der Gemeinde gehalten. Ich glaube aber, dass wir eine ganzheitlichere Betrachtungsweise erarbeiten sollen, wenn wir mehr Menschen ansprechen wollen und die Gemeinde zu einer Heimat für alle Menschen machen wollen.

Ich glaube auch, dass es nicht mehr angebracht ist, zu sagen, dass sich solche Menschen ein anderes Gefäss suchen sollen. Dann haben wir Herzgemeinden und Kopfgemeinden. Beide sind einseitig und profitieren nicht von der Sicht der anderen. Es werden sogar Mauern zwischen den beiden aufgerichtet, die bald dazu führen könnten, dass man sich gegenseitig den rechten Glauben abspricht.

Ich glaube an die Diversität der Gemeinde, daran, dass jeder seine Stärken in der Gemeinde ausleben kann, dass man sich aber auch gegenseitig respektiert und von einander profitiert.

Darum wünsche ich mir, dass, wenn ich Dir aus dem Griechischen und Hebräischen aufzeige, dass eine Unterscheidung zwischen Herz und Verstand, wie sie aufgrund des Deutschen heute gemacht wird, nicht möglich ist und nicht der ganzheitlichen Lehre der Bibel entspricht, Du dies nicht abtust, sondern Dein Denken überprüfst und im Dialog veränderst.

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