König der Könige

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Und er trägt an seinem Gewand und an seiner Hüfte den Namen geschrieben: »König der Könige und Herr der Herren«.

Offenbarung 19:16

Es gibt wenige Stellen, an denen der Titel „König aller Könige“ verwendet wird. Die drei im alten Testament sprechen über irdische Könige: Nebukadnezar und Artashasta.

Beide waren zu ihrer Zeit König über Könige, und zwar im hierarchischen Sinne. Sie beherrschten andere Königreiche.

Es ist aber nicht sicher, dass der Ausspruch so gemeint war. Wahrscheinlicher ist es, dass die Phrase im Sinne von „Du Vorbild für alle Könige“ gemeint war, als Ehrentitel, der sie weit über ihren Herrschaftsbereich hinweg lobte. So sollten Könige sein.

Im neuen Testament gibt es ebenfalls drei Stellen mit dem Titel, einmal in 1Ti 6:15-16, und dann in Offenbarung 17:14 und 19:16.

Im Timotheusbrief wird der Titel an Gott vergeben, den einzigen mit Unsterblichkeit, den noch kein Mensch gesehen hat.

In der Offenbarung geht der Titel an den siegreichen Jesus, das Lamm.

Doch was ist damit gemeint? Geht es hier um eine Hierarchie?

In der Offenbarung geht es bestimmt um eine Grössen- und Stärkenbezeugung. Die Offenbarung ist apokalyptische Literatur. Es geht darum, den Menschen Mut zu machen: im Moment werdet ihr verfolgt, aber haltet durch, am Schluss gewinnen wir.

Natürlich hat die Offenbarung noch andere Facetten und Aussagen. Der Titel aber wird verwendet, um absolut klar zu machen, wer die Macht hat.

Dasselbe ist wahr für Gott im Timotheusbrief. Die Aussage: es gibt keinen wie ihn, er hat alle Autorität.

Aber ist da noch mehr drin in dieser Aussage?

Die christliche Gemeinde ist grösstenteils traditionell in ihrer Weltanschauung. Ordnung und Hierarchie haben einen besonderen Stellenwert.

Die Bilder in der Bibel sind auf die Zeit zugeschnitten, in der sie geschrieben wurde. Es war eine Zeit der Könige, der Hierarchie, in der sich Ordnung gegen die Gesetze des Dschungels durchsetzen musste.

Wir übertragen dieses für die Zeit gedachte Bild des gütigen Herrschers auf die Weltordnung, die Gott schaffen möchte, und vergessen dabei, dass Gott gar keine Könige wollte.

Es widerspricht so vieles in der Bibel diesem hierarchischen Bild.

Gott hat uns geschaffen in seinem Ebenbild.

Gott hat uns für eine kleine Weile kleiner gemacht, als er selber ist.

Jesus kam als Erstgeborener, um uns in die Gemeinschaft der Erstgeborenen aufzunehmen.

Jesus betet, dass wir mit Gott eins seien, so wie er mit Gott eins sei.

Wir sind ein königlich-priesterliches Geschlecht.

Meint also Jesus, dass wir Könige sind, und er quasi der Kaiser über diese Könige?

Dann wären wir nicht wie er, sondern auf ewig etwas kleiner gemacht. Dann wären wir nicht sein Ebenbild, nicht seine Kinder, sondern seine Diener.

Jesus selbst aber hat gesagt, er nenne uns nicht mehr Diener, sondern Freunde. Unter Freunden gibt es keine Hierarchie der Macht. Das wäre eine ungesunde Freundschaft.

Unter Freunden gibt es natürliche und gabenorientierte Hierarchien. Der eine wird den Lead übernehmen im Fussball, der andere, wenn es um Computer geht – je nach Stärken, Talenten, Fähigkeiten.

Gott selber nennt uns seine Kinder, und die ganze Schöpfung sehnt sich darauf, dass wir reife erwachsene Söhne Gottes werden. Erwachsene Söhne stehen hierarchisch nicht mehr unter dem Vater, auch wenn sie ihm Ehre erweisen.

Wie also ist der Titel „König aller Könige“ zu verstehen?

Genau so, wie er wahrscheinlich für die Könige im alten Testament gedacht war: Du bist ein Vorbild für alle Könige. Du bist die Vorlage für erfolgreiches, lebendiges Königtum. Du bist der archetypische König.

Was hat Jesus in seinem Leben hier getan? Vieles, aber eines ganz bestimmt: er hat seine individuelle Berufung vollständig ausgelebt, bis hin zum Tod.

Jesus hat uns gezeigt, was es heisst, Mensch zu sein.

Der Mensch hat seine Bestimmung, von Gott zu empfangen und das Empfangene und damit Gott für andere zu reflektieren, abgelehnt.

Jesus hat das nicht. Er hat uns den Vater gezeigt. Er hat immer so agiert und reagiert, wie der Vater agiert und reagiert hätte. Er hat nichts getan, ausser dem, was dem Wesen des Vaters im Himmel entspricht.

So ist der Vers zu verstehen: Jesus kennt den Vater so gut, dass es ist, als ob er den Vater im Himmel handeln sähe. Er weiss, was der Vater tun würde. Er reflektierte ihn.

Sogar als die Menschen seinen Tod wollen, verhält er sich, wie der Vater sich verhalten würde: er lässt es zu.

Viel später, als Nietzsche verkündet, dass Gott tot sei, als die Aufklärung Gott aus der Gleichung entfernt und sterben lässt, lässt Gott das zu.

In diesem Gehorsam, der eigenen Berufung gerecht zu werden und darin den Vater zu reflektieren, liegt Leben und Auferstehung.

So wird Jesus zum Archetypen, zum Vorbild, zur Vorlage.

Wir verstehen den Ausspruch, dass wir wie Jesus werden sollen, oft auf einer zu einfachen Ebene. Wir versuchen, uns tatsächlich wie Jesus zu benehmen und wie er zu handeln.

Das ist nicht schlecht und nicht falsch, aber es gibt eine höhere Berufung: dem gerecht zu werden, was Gott sich für mich gedacht hat.

Gott hat mich mit Talenten und Fähigkeiten ausgerüstet, mir eine Berufung gegeben. Wie Jesus kann ich nur an Reife wachsen und diese Berufung bedingungslos annehmen und ausleben, oder ich kann versuchen, mich selbst zu verleugnen und eine Kopie von Jesus zu werden.

Zu lange haben wir versucht, in unsere Vorstellung von Jesus hineinzuwachsen, die oft sehr geprägt war von den Wunschvorstellungen, der Theologie und dem Selbstverständnis der jeweiligen Pastoren oder Denomination.

Zu lange haben wir hierarchische, moralische und ethische Massstäbe angesetzt, um zu messen, wie sehr jemand bereits ein Jesus ähnliches Leben führte.

Moral und Ethik sind wichtige Teilbereiche eines Christenlebens, die aber über die Jahrhunderte zu sehr im Zentrum standen. Wir leben immer noch in einer traditionellen Weltanschauung, wie ich anfangs gesagt habe. Es ist uns wichtig, konform zu sein, um dazuzugehören, ob zur Gemeinde oder ins Reich Gottes.

Was nun, wenn es unsere Berufung ist, unser Individuum so sehr zu stärken, dass wir in der Gemeinschaft als Individuum unseren Teil beisteuern können. Ganz im Sinne der Dreieinigkeit: Einheit mit eigener Persönlichkeit eines jeden.

Er kam als Mensch und lebte uns vor, was es heisst, Mensch zu sein.

Er ist König, und zeigt uns, was es heisst, König zu sein.

Er ist Meister, und leitet uns darin an, Meister zu sein.

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