Gott suchen

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Sorgt euch vor allem um Gottes neue Welt, und lebt nach Gottes Willen! Dann wird er euch mit allem anderen versorgen.

Matthäus 6:33

Jeder Mensch hat Bedürfnisse. Abraham Maslow hat uns gezeigt, dass sich diese Bedürfnisse über die Zeit hinweg ergänzen, dass sie wachsen. Sobald wir die eine Art von Bedürfnissen gestillt haben, kommen neue hinzu.

Der Mensch beginnt mit dem Bedürfnis, zu überleben. Dazu gehören Essen und Trinken, Schlaf, Luft zum Atmen, körperliche Unversehrtheit.

Wenn er das hat – und viele Menschen haben das nicht -, kann er sich um Sicherheit kümmern. Dabei geht es sowohl um Sicherheit vor Gefahren als auch um Versorgungssicherheit. Versorgungssicherheit beinhaltet ein gewisses Mass an sicherer Zukunft, während es uns in der vorherigen Stufe genügte, von der Hand in den Mund zu leben.

Die Verse um unserem Tagesvers herum sprechen von dieser Versorgungssicherheit, indem Jesus sagt: sorgt Euch nicht um morgen.

Möchte Jesus da, dass wir zurückgehen zum Leben von der Hand in den Mund?

Im Gegenteil. Jesus möchte uns zeigen, dass wir zu etwas grösserem gehören, dem Königreich Gottes. In diesem Königreich Gottes werden die niederen Bedürfnisse abgedeckt. Es geht hier um etwas anderes.

Im Judentum können wir noch heute hören, dass sie als auserwähltes Volk Gottes sich keine Sorgen machen müssten. Oft sagen Christen dasselbe.

Das Bedürfnis, zu etwas Grösserem zu gehören, ist nämlich das nächste. Ich kann mich darum aber erst kümmern, wenn ich mich nicht mehr um die vorherigen Bedürfnisse kümmern muss, sie aus meinen Gedanken verbannen konnte, sie nicht mehr meine ganze Kapazität und Aufmerksamkeit brauchen.

Die katholische Kirche hat den Menschen im Mittelalter erzählt, dass sie durch Zugehörigkeit zur Kirche ihre Bedürfnisse füllen könnten. Die Pest vor der Reformation hat den Menschen gezeigt, dass die Pest sich nicht darum kümmerte und ihr Überleben durch die Zugehörigkeit zur Kirche nicht gesichert war.

Die Kirche verlegte darum das Heil in das Leben nach dem Tod. Die Menschen wurden aus dem selben Grund offen für eine neue Theologie, die sie in der Reformation oder in der Erleuchtung und dem Humanismus fanden.

Die Reformation ermöglichte einen weiteren Schritt auf der Bedürfnispyramide: Selbstbewusstsein. Das Individuum durfte und konnte jetzt sagen: ich mag mich, und ich habe Rechte.

Später kam die Erkenntnis hinzu, dass dieses Individuum sich verändern kann. Verändern nicht hin zu einer Gleichheit, einer Anpassung an die Gruppe oder Gesellschaft, sondern ein individuelles Wachstum hin dazu, das beste Ich zu werden, das ich sein kann.

Alle diese Schritte sind wichtig. Die meisten Menschen werden sie nicht alle durchleben. Die Lebensumstände erlauben es einer Person im ländlichen Myanmar im Allgemeinen nicht, über die ersten beiden Bedürfnisstufen von Überleben und Sicherheit hinaus zu wachsen, während viele im Westen sich darum keine Sorgen zu machen brauchen und sich anderen Bedürfnissen hingeben können.

Soweit zum menschlichen Entwicklungspfad.

Aber der Titel heisst ja: Gott suchen.

Ich kann Gott suchen als Antwort auf meine Bedürfnisse. Und die heutige Evangelisation funktioniert meist genau so.

Wir sind zwar nicht mehr so naiv, den Menschen die Lösung all ihrer Probleme zu versprechen, wenn sie zu Jesus kommen. So plump machen wir das nicht.

Aber legen wir den Vers nicht doch in etwa so aus?

Gott heilt auch heute noch. Bete und glaube, dann wirst Du geheilt und versorgt.

Gott ist Dein Schutz und Dein Schild.

Investiere Dich in die Gemeinschaft der Gläubigen, und Gott wird sich um Dich kümmern.

Es ist sogar so, dass wir die Menschen evangelisieren, die Probleme auf den unteren zwei Stufen haben, das heisst, die krank sind, arm, ihren Job oder ihre Ehe verloren haben, obdachlos sind.

Und bei den anderen nehmen wir an, dass ganz versteckt sie die gleichen Probleme und Bedürfnisse haben, es aber nicht zugeben können. Wir warten also darauf, dass sie diese Probleme erkennen und nicht mehr leugnen können.

Warum das?

Wir sehen Jesus als Lösung für unsere Probleme und Erfüllung für unsere Bedürfnisse. Und weil die meisten Christen nie über das Bedürfnis hinauswachsen, zu etwas Grösserem dazuzugehören, sehen sie darin die Lösung für alles.

Menschen, welche das Bedürfnis haben, sich mit einem Partner zu ergänzen, finden oft keinen, weil der andere spürt, dass er oder sie nur die Erfüllung des Bedürfnisses nach Zweisamkeit wäre und nicht um seiner oder ihrer selbst willen geliebt würde.

Wenn Menschen dieses Bedürfnis ablegen können, finden sie oft plötzlich einen Partner. Und in der Zusammenkunft wird einem dann klar, wie sehr man sich schon immer nach dem Anderen, genau diesem Anderen, gesehnt hat. Die Erfüllung zeigt das Bedürfnis auf.

Wenn ich mich zu Jesus bekehre, weil ich ein Bedürfnis oder eine Not habe, geht es mir natürlich nicht um die Beziehung zu Gott. Es geht mir um die Lösung des Problems.

Ich kümmere mich also zuerst um mein Problem, und danach um das Königreich.

Wenn ich mich aber zuerst um das Königreich kümmere, damit mir alles andere zufällt, dann kümmere ich mich eigentlich zuerst um alles andere als das Königreich.

Das Leben beinhaltet diese Bedürfnisse. Da führt kein Weg daran vorbei.

Das Königreich hilft uns in diesen Bedürfnissen. Zuerst nach dem Königreich zu trachten, heisst, den Fokus von den Problemen und Bedürfnissen weg zu lenken. Sie beherrschen nicht mehr unser Leben.

Jesus verspricht uns auch, in allen Umständen mit uns zu sein und einen Weg durch die Umstände hindurch zu bereiten.

Sich zuerst um das Königreich zu kümmern, führt also dazu, dass wir durch alle Bedürfnisse, Nöte, Probleme, Lebensumstände hindurch einen Pfad haben und nicht allein sind.

Gott hat uns versprochen, dass wir es schaffen, und das wir den Pfad nicht verlassen werden, sondern in das hineinwachsen, was er für uns geplant hat, wenn wir uns zuerst um das Königreich kümmern.

Das Königreich ist nun nicht die Gemeinde, die Werke, die wir für Gott tun, die Moral, die wir befolgen, die Gemeinschaft, die wir pflegen und vermeiden.

Das Königreich ist eine Beziehung. Zur Zeit Jesu war die Organisationsform das Königreich. Der König war verantwortlich für das Wohl, die Sicherheit, die Zusammengehörigkeit der Menschen in seinem Reich. Im Prinzip.

Zur Zeit Jesu konnten die Menschen im Allgemeinen sich noch nicht um höhere Bedürfnisse als die sozialen Bedürfnisse der Zugehörigkeit kümmern. Die Lebensumstände erlaubten nicht mehr. Darum war das Königreich Gemeinschaft durch Struktur und gemeinsame Regeln und Moral.

Heute ist das Königreich viel mehr. Es geht um den Wert und das Wachstum eines jeden Einzelnen in der Gemeinschaft, bis wir erkennen, dass wir alle Könige sind eines gemeinsamen Reiches.

Darum gefällt mir die Übersetzung mit „neue Welt, in der nach Gottes Willen gelebt wird.“ Das Bild des Königreichs ist belastet mit historischen Referenzen. Es geht um Unterordnung, Gehorsam, Krieg, Herrschaft. In der neuen Welt geht es um Wachstum, Liebe, Feindesliebe, Autorität. Gottes Wille ist es, dass wir alle in unsere Ganzheit, unser holistisches Menschsein hineinwachsen. Das meint er, wenn er will, dass alle gerettet werden.

Doch unsere Evangelisation versucht immer noch, Menschen abzuholen, die ein Problem haben, weil sie dann offen seien für die frohe Botschaft.

Und später zweifeln sie an ihrer Entscheidung und der Existenz Jesu, weil entweder ihr Bedürfnis nicht gestillt wurde, oder sie merken, dass sie die Beziehung nur deshalb haben, damit ihr Bedürfnis gestillt würde.

Viele Ehen gehen auseinander, weil der Partner die Bedürfnisse des andern doch nicht stillen kann. Da liegt der Fehler darin, dass die Ehe auf der persönlichen Bedürfnisbefriedigung basierte, und nicht auf Liebe.

Es ist wahr: Jesus ist die Lösung für alle Probleme. Er hat seinen Jüngern das Brot gegeben, um es zu verteilen, und erst da vermehrte es sich. Er hat seine Jünger aufgefordert, den Sturm selber zu stillen.

Warum helfen wir unseren Mitmenschen nicht durch ihre Nöte, warum helfen wir ihnen nicht, ihre Bedürfnisse zu stillen, ohne zu evangelisieren.

Gott wird ihnen begegnen, Das hat er versprochen. Vielleicht sehen sie ihn in uns.

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