Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm.
2. Korinther 5:21
Jesus starb am Kreuz. Dies ist Dreh-und Angelpunkt des christlichen Glaubens, zusammen mit der Auferstehung. Aber warum starb Jesus am Kreuz?
Die Antwort, die uns die meisten Christen geben werden auf diese Frage, ist, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist.
Da stellen sich natürlich sofort ein paar wichtige Anschlussfragen:
- Was ist Sünde, und gibt es die auch in der Mehrzahl?
- Warum war es notwendig, für unsere Sünden zu sterben?
- Wer verlangte nach diesem Tod?
- Was war das Ergebnis dieses Todes, und wie funktioniert das?
- Hätte es Alternativen gegeben?
Ich habe hier nur diejenigen Fragen angeführt, die mir in den ersten 20 Sekunden gekommen sind, in denen ich über die Aussage nachgedacht habe. Du selbst kannst ganz sicher noch Dutzende von Fragen anführen.
Wichtig aber ist sicher auch noch die Frage:
- Ist diese Antwort korrekt und abschliessend?
Dass diese Antwort korrekt im biblischen Sinne ist, sagt uns Paulus in unserem Vers. So wenigstens die fundamentalistische direkte wörtliche Auslegung.
Doch selbst in unserem Sprachgebrauch drücken wir es anders aus: Er hat unsere Sünden getragen, und nicht, er wurde zur Sünde.
Sünde ist, ausserhalb des Plans unseres Designs, unserer Bestimmung zu leben. Dies ist die wohl genauste Beschreibung von hamartia, das ohne Form, ohne Anteil heisst.
Jesus hat nie ausserhalb seiner Bestimmung gelebt, ausser natürlich am Kreuz. Unsere Sünde, unser Verfehlen und unsere Weigerung, unsere Bestimmung auszuleben, hat ihn ans Kreuz gebracht. Oder?
Jesus gab seinen Teil auf, er gab seine Form auf, ohne zu murren.
Wie heisst es?
Geht so miteinander um, wie Christus es euch vorgelebt hat. Obwohl er Gott war, bestand er nicht auf seinen göttlichen Rechten. Er verzichtete auf alles; er nahm die niedrige Stellung eines Dieners an und wurde als Mensch geboren und als solcher erkannt.
Phil 2:5-7
oder
Denn ihr wisset die Gnade unsers HERRN Jesu Christi, daß, ob er wohl reich ist, er doch arm ward um euretwillen, auf daß ihr durch seine Armut reich würdet.
2. Kor 8:9
Wir könnten demnach sagen, dass Jesus seinen Anteil aufgab, seine Bestimmung, und um unseretwillen in unsere Schuhe, unsere Bestimmung wechselte, um sie perfekt zu erfüllen.
Unsere Bestimmung ist es, Gott auf dieser Erde individuell zu reflektieren, ein jeder nach seinen Gaben und seiner Berufung.
Dies ist natürlich nicht die ursprüngliche Bestimmung Jesu. In Johannes heisst es, dass er das Wort war, bei Gott und gleichzeitig Gott. In der Schöpfungsgeschichte und an anderen Stellen lernen wir die Bestimmung des Wortes kennen: es kreiert und hält zusammen. Nichts existiert oder ist ausserhalb des Logos, des Wortes.
Und dieser Jesus wurde Mensch, um unsere Bestimmung, vom Vater zu empfangen und ihn zu reflektieren, perfekt auszufüllen. Und er tat es bis in den Tod hinein. Er akzeptierte die unausweichlichen Folgen.
Wir hatten uns ein System gebaut, mit dem wir an unserer Sünde, an unserer Weigerung, Gott zu reflektieren, festhalten konnten. Seine Nicht-Weigerung wurde zur Herausforderung, die wir nicht ertragen konnten, und darum brachten wir ihn um.
Doch er hatte sein Ziel erreicht: er hatte die Berufung der Menschheit erfüllt. Es war vollbracht. Der Vater war sichtbar geworden auf Erden, denn wer ihn gesehen hatte, hatte den Vater gesehen.
Diese Tat war es, von der Menschwerdung bis hin zur Auferstehung, die uns erklärt, warum Jesus sagte: keiner kommt zum Vater, denn durch mich.
Er hatte die Macht der Sünde, der Verweigerung, den Vater zu reflektieren, durchbrochen für alle. Die Menschheit hat wieder die Möglichkeit, die eigene Berufung auszuleben.
Mit diesen Ausführungen wird nun auch klar, was Sünde ist, und das es Sünde nur in der Einzahl gibt: die Weigerung, zu reflektieren. Daraus ergeben sich all die Kategorien, die wir heute Sünden nennen, denn daraus ergibt sich Dualität und damit Kategorisierung in Gut und Böse.
Warum war es notwendig, für unsere Sünde zu sterben? Das war es nicht, aber es war eine unausweichliche Folge unserer Weigerung. Wir hatten uns geweigert, unsere Bestimmung anzunehmen. Wir hatten uns gerechtfertigt, warum dies die richtige Entscheidung war. Und wir hatten uns menschliche Systeme gemacht, um trotzdem in die Beziehung zurückzukehren, die wir verloren haben.
Stolz, Überheblichkeit, Selbstgerechtigkeit und weitere Folgen dieser Weigerung und Rechtfertigung führten dazu, dass Jesus als substantielle Bedrohung wahrgenommen wurde, die ausgeschaltet werden musste, Und so trugen wir selbst zur Wiederherstellung unserer Berufung bei, ohne es zu wollen, aber auch ohne uns mit Ruhm zu bekleckern. Wir können uns darauf wirklich nichts einbilden.
Daraus aber wird auch klar, dass Gott diesen Tod nicht verlangte. Musste Blut fliessen, um Sünde zu besiegen? Wenn dies so wäre, dann käme das dem Steintisch, auf dem Aslan stirbt, gleich, auf dem ein altes Prinzip geschrieben stand, dem sogar Aslan untertan war. Wenn Gott die Notwendigkeit von Blut eingeführt hätte, hätte er sie auch wieder auflösen können, oder er ist nicht souverän, sondern einem Gesetz verpflichtet.
Aber dies ist nicht das Hauptargument. Der Mensch hat das System der Opfer erfunden. Kain und Abel haben Opfer gebracht; Opfersysteme existierten lange vor Mose; Menschenopfer wurden dargebracht, wenn die Bitten oder Katastrophen gross waren.
Gottes Opfersystem, welches von Moses eingerichtet wurde, war eine Systematisierung und ein erster Schritt weg von Opfern, genau so wie die Gebote betreffend Sklaven ein erster Schritt hin zur Abschaffung der Sklaverei waren. Mehr lag mit dem kognitiven Horizont der Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht drin, aber Gott hat Zeit.
Gott selber demontiert das Opfersystem, indem er sagt, dass Opfer ihm ein Greuel seien und er viel lieber Gehorsam hätte. Er schafft das Opfern ab durch ein letztes, selbst erbrachtes Opfer und zerstört den Ort, an dem die Opfer dargebracht wurden.
Wir Menschen brauchten den Tod als ein letztes Opfer. Wäre dieser Tod notwendig gewesen? Noch einmal: nein, ausser aus Liebe zu uns, um langsam unser Denken zu erweitern. Wichtig war die Wiederherstellung und Erfüllung unserer Bestimmung. Und die beinhaltete den Tod wegen uns.
Was nun war das Ergebnis? Die Bestimmung ist erfüllt. Das Ergebnis ist vielfältig.
Für den Stammesangehörigen, der verstossen wurde oder in ständiger Angst davor lebte, ist es die Wiedereingliederung in die Familie Gottes: er erhält durch den Namen Jesu das Recht, ein Kind Gottes zu heissen.
Was ist nun dieser Name Jesu? Wie wir wissen, ist ein Name im Hebräischen eine Funktion, eine Berufung. Gott hilft. Indem Jesus diese Funktion auslebte, dürfen wir wieder Gottes Kinder heissen.
Heisst dies nun, dass nur, wer an Jesus glaubt, davon profitieren kann? Es heisst, dass, wer an Jesus glaubt, vollständig wiederhergestellt wird.
Für den Machtmenschen gibt es neu einen Herrn, dem alle Autorität gegeben ist auf Erden wie im Himmel. Das Kreuz ist der Sieg über alles Böse, denn der Machtmensch kann noch nicht über diese Kategorien hinaus denken. Er sieht den Feind als Person, als Wesen, das sich ihm entgegenstellt. Die Unterwerfung unter Jesus sichert dem Machtmenschen nun zu, auf der Gewinnerseite zu sein, ohne sich dieser Unterwerfung schämen zu müssen.
Für den traditionellen Gläubigen bedeutet das Kreuz die Vergebung der Sünden. Der heutige Gläubige in den Gemeinden sieht die Sünde, wie ich sie hier beschrieben habe, noch nicht. Wenn er ein Grundprinzip „Sünde“ erkennt, dann die Ablehnung von Gott und heute von Jesus und seiner Tat als Ursache der verschiedensten Sünden. Er kategorisiert diese Sünden, und misst ihnen verschiedene Schweregrade zu, und er sieht sein Leben als einen stetigen Kampf gegen diese Sünden in sich selbst, aber vor allem in anderen.
Damit es nicht so persönlich erscheint, nennt er diese anderen die Welt. Wir, die wir an Jesus glauben und somit gerettet sind, gegen die, die verloren gehen. Leider haben wir sozo und soteria mit retten und Rettung übersetzt, statt sie als griechisches Prinzip des hebräischen Shaloms, der vollständigen Wiederherstellung und des Friedens zu begreifen. Dies ist so tief verwurzelt, dass wir die gute Übersetzung zwar kennen und in den einzelnen Stellen in Predigten durchaus auch darauf verweisen, ohne die tiefere, grössere Arbeit zu tun und die Soteriologie zu überarbeiten.
Für den modernen Menschen bedeutet das Kreuz die Freisetzung für eine individuelle, persönliche Berufung und Aufgabe.
Der postmoderne Mensch sieht darin die Möglichkeit, sich in die Gemeinschaft aller zu investieren, grenzenlos, denn die Gnade ist für alle gleich.
Und der integrale Gläubige erkennt die Wichtigkeit all dieser Bilder, all dieser Errungenschaften. Langsam kommt er auch zur Erkenntnis, dass Jesus demnach das Vorbild fürs Menschsein geschaffen hat. Als Jesus sagte, dass der Lehrling den Meister nicht überholen kann, hat er implizit natürlich aufgezeigt, dass Lehrlinge, Jünger dem Beispiel des Meisters nachfolgen wollen. Ahmen wir ihn also nach, seien wir ganz Mensch, reflektieren wir auf unsere ganz individuelle Weise den Vater als seine Kinder, mit Mut und Autorität, befreit von jeder Schuld und Begrenzung der vergangenen Weigerung, im Dienst der Menschheit.
Und bald werden wir erkennen, dass auch die Schöpfung in dieses Werk mit eingeschlossen ist. Und so werden wir Söhne Gottes.
Das Kreuz ist demnach vielschichtig. Jede Stufe der Menschheit hat es fehlinterpretiert, mit einem wahren Kern. Es ist Zeit, tiefer zu gehen.