Zukünftige Belohnung

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Wir wollen den Wettlauf bis zum Ende durchhalten, für den wir bestimmt sind. Dies tun wir, indem wir unsere Augen auf Jesus gerichtet halten, von dem unser Glaube vom Anfang bis zum Ende abhängt . Er war bereit, den Tod der Schande am Kreuz zu sterben, weil er wusste, welche Freude ihn danach erwartete. Nun sitzt er an der rechten Seite von Gottes Thron im Himmel!

Hebräer 12:1b-2 (Neues Leben Bibel)

Kleine Kinder können nicht warten. Das Experiment wurde mehrfach durchgeführt:

Ein Kind, das jünger ist als 5-7 Jahre, sitzt in einen Raum und hat ein Bonbon vor sich. Bevor ich den Raum verlasse, verspreche ich ihm ein zweites Bonbon, wenn er mit dem Verzehr des ersten wartet, bis ich zurück bin. Das Kind schafft es nicht, zu warten.

Ältere Kinder schaffen das problemlos.

Was geschieht hier? Das Konzept einer zukünftigen Belohnung scheint mit der Komplexität unseres Denkens und unserer Entwicklung zusammenzuhängen.

Hier setzt das Christentum an. Gott hat uns so geschaffen, dass wir ab einem gewissen Punkt unser Ego durch unser Denken in Zaum halten können. Manchmal geschieht dies durch versprochene Belohnung, manchmal durch angedrohte Konsequenzen.

Durch diese beiden Mechanismen lernen wir, uns über die Konsequenzen unseres Handelns Gedanken zu machen.

In jungen Jahren und in der alttestamentlichen Theologie ist es extrinsische Motivation, die uns dabei hilft. Eine andere Instanz, ausserhalb von uns, gibt den Anreiz. Noch gelingt es uns nicht selbst, diesen Anreiz zu generieren.

Ein erster Schritt in der weiteren Entwicklung ist die innere Stimme, der innere Kritiker. Wir verinnerlichen die Stimme, die den Anreiz bietet. Wer hat nicht schon einmal die Stimme der Mutter im Kopf gehört, wenn er sich für oder gegen etwas entscheiden musste?

Nur sehr langsam lernen wir, unseren Verstand einzusetzen in diesen Situationen. Das hat mehrere Gründe, und ich nenne hier zwei davon:

Erstens ist unser Frontallappen, die rationale Entscheidungsinstanz unseres Hirns, erst in den frühen Zwanzigern fertig konfiguriert und gewachsen. Uns fehlt also ein wichtiger Teil der Hardware.

Zweitens aber ist ein moralisch-ethisches Denksystem, das später in einem rationalen Denken mündet, äusserst kompliziert und hoch entwickelt. Es braucht Zeit, es zu lernen.

Wir lernen es durch Spiel, Interaktion, aber auch durch lebensbedrohende Situationen. Wir lernen von anderen, lernen aber auch unsere eigene Kraft einzusetzen, und lernen so unsere Möglichkeiten und Grenzen kennen. Angst ist ein wichtiger Faktor, aus dem sich Vorsicht und Umsicht entwickeln kann. Wir verfeinern diese Fähigkeit mehr und mehr in unserem Leben.

Und wenn die Zeit gekommen ist, dann wachsen wir in die nächste Stufe hinein. So kommt nach dem alten Testament das neue.

Gott sieht, dass seine Menschheit nun bereit ist – mindestens einige davon – für den nächsten Abschnitt des Lebens: die Belohnung ist nicht mehr sofort, die Strafe nicht mehr schnell.

Unser erstes Verständnis der Lehre des neuen Testaments ist die: am Ende unseres Lebens, oder spätestens bei der Auferstehung, erwartet uns ewige Strafe oder Belohnung, Hölle oder Himmel.

Wir lernen durch dieselben Motivatoren wie bei der noch im alten Testament angedrohten sofortigen Konsequenz: vor allem Angst und Hoffnung.

Wir machen aber dadurch einen weiteren, wichtigen Entwicklungsschritt: weil noch nie jemand zurückgekommen ist, müssen wir glauben, dass die Zukunft wirklich bereithält, was uns gesagt wird. Die Kinder in der Studie mussten nur für ein paar Minuten glauben, dann kam die Bestätigung.

Dies hat Gott mit uns Menschen als Individuen und als Menschheit geübt. Bei den Verstössen Israels in der Wüste folgte die Strafe auf den Fuss. Später wurde ein schlechtes Jahr angedroht, wenn man nicht zu den festen nach Jerusalem käme. Und in den Prophetien wurden Strafe und Belohnung manchmal sogar für die nächsten Generationen vorausgesagt.

Jetzt schienen sie auf das ewige Leben verschoben.

In der Reformation wurde uns klar, dass wir dabei nicht nur die Werkzeuge des Gehorsams und der Unterordnung haben, sondern selber etwas zu unserer Heiligung beitragen können, wenn auch nicht zu unserer Rettung. Dies zeigt uns das neue Testament auf, aber wieder brauchte es einen Entwicklungsschritt, dass wir das erkannten.

Es ist offensichtlich, dass jede unserer Handlungen, Nicht-Handlungen und Entscheidungen Konsequenzen hat, jetzt, in der Zukunft, für spätere Generationen, und im ewigen Leben.

Die Erkenntis von Calvin und wesentlich später von Freikirchen wie dem Word of Faith, dass Strafe und Segen auch in diesem Leben wirksam werden, ist ein weiterer notwendiger Schritt.

Aber genau dieser Schritt birgt eine Gefahr: dieses Denken kann uns zurückführen in ein moralisch-ethisches Verständnis von Auge um Auge, Zahn um Zahn und Gott straft die Seinen sofort.

Die Erwartung zukünftiger Belohnung aber hat auch ihre Gefahren: ich kann an gewissen Handlungen und Überzeugungen festhalten, die mich oder andere potentiell zerstören oder zurückhalten, nur weil ich daran glaube, dass ich im Himmel dann eine Belohnung erhalten werde, und dass die momentanen negativen Folgen nur Anfechtung und Verfolgung seien.

Jeder Entwicklungsschritt birgt also in sich die Möglichkeit einer Fehlinterpretation und damit eines Rückschritts in frühere Denkmuster. Diese Denkmuster können durchaus magische Züge annehmen und Ereignisse als Folgen von Handlungen angesehen werden, die keinen Zusammenhang haben.

Dies erkennen wir oft als Aberglauben oder als Verschwörungstheorie. Aber ich möchte auch ein Beispiel nennen, das in der Bibel vorkommt: die Menschen glaubten, Gott durch das Opfer des eigenen Erstgeborenen besänftigen zu können, bis Gott Abraham klar machte, dass er das auf keinen Fall wolle.

Und trotzdem glauben wir, dass Gott seinen Erstgeborenen geopfert hat, um sich selbst zu besänftigen. Wir definieren das Beinahe-Opfer des Isaaks als Freibrief für Gott, seinen Sohn als Ersatzopfer zu geben. Aberglaube kann sehr tief sitzen.

Könnte das sehr viel weiter reichen, als wir annehmen? Wenn wir die Bibel als fehlerlos wahr betrachten, dann sind alle Gebote Gottes Willen. Wie steht es aber mit dem Gebot, keine Mischgewebe zu tragen? Könnte dies nicht aus einem Todesfall entstanden sein, den es zu erklären galt?

Der Aberwille der Kirche gegen die Entwicklung des modernen Denkens hat oft dazu geführt, dass die entsprechenden Fakultäten und Hirnkapazitäten, die wir für unser Überleben in der modernen Welt entwickeln mussten, uminterpretiert wurden und uns in magische Welten zurückführten.

Komplexes Denken ist komplex. Das liegt schon in der Definition.

Ich sehe einen Sinn im modernen Denken darin, festzustellen, wo tatsächlich Kausalzusammenhänge zwischen Tat und Ereignis bestehen, und wo nicht.

Der Mensch hat ein tief sitzendes Bedürfnis nach Erklärungen, und wird diese im Rahmen seiner Weltanschauung auch finden oder fabrizieren.

Der Ausspruch Nietzsches „Gott ist tot“ ist bedauernder Ausdruck dessen, dass wir nach anderen Erklärungen suchen, als alles Unverständliche einer nicht sichtbaren, nicht beweisbaren Instanz zuzuschreiben.

So sterben viele magischen Inhalte des Aberglaubens, zusammen mit ein paar wirklich wichtigen Glaubenssätzen. Doch scheint es Gott wichtiger, uns von unserem verqueren Aberglauben zu befreien, als dass er aus falschen Gründen angebetet und falsch dargestellt wird.

Er ist lieber eine Weile tot – was er uns in seinem Tod am Kreuz ja schon zeigte – als dass er uns in einem kindischen Verständnis unser und seiner selbst verharren lässt.

Doch manch einer entscheidet sich, nicht weiter wachsen zu wollen. Zugegeben, die Angst, Gott loszulassen, ja ihn zu verlieren ist riesig, weil gerade das richtige moralisch-ethische Verhältnis zu ihm uns in der Vergangenheit die zukünftige Belohung sicherte und uns von der angedrohten Strafe bewahrte.

Doch muss Gott nicht tot sein, und wenn, dann nicht für immer. Jesus ist auferstanden. Und so tut es Gott, wenn auch in einer anderen Form. Was stirbt, ist unser Gottesbild: Gott als belohnender, strafender, anzubetender, ferner Gott im Himmel, auf dem Thron sitzend und beobachtend.

Moral und Ethik vergehen nicht, genauso wenig wie Jesus das Gesetz abgeschafft hat. Sie werden integriert in einem grösseren Verständnis.

Dazu kommen Selbstwert, Selbstverständnis, Eigenverantwortung, Schaffenskraft, Individuumsgedanken, aber auch Gnade und Barmherzigkeit.

Der Schritt, die zukünftige Belohnung als extrinsische und später intrinsische Motivation zu erkennen, ist wichtig. Gemeinden mit dieser Theologie sind wichtig. Aber sie sind nicht das Ende der Entwicklung.

Wagen wir den nächsten Schritt?

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