Ehe für Alle

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Es ist soweit. Die Ehe für alle ist durch. Der Schweizer Staat definiert die Ehe neu als Bund zweier Personen, unabhängig des Geschlechts.

Immer wieder wurden im Abstimmungskampf die Gemeinden und Kirchen als ewiggestrige Verhinderer gesehen. Die 36% Nein gegen die Vorlage zeigen aber deutlich, dass wesentlich mehr Menschen als die freikirchlichen Christen und regelmässigen Gottesdienstbesucher die Ehe für alle nicht wollten.

Einen grossen Anteil am Ergebnis wird der Aspekt der Adoption und künstlichen Befruchtung gehabt haben. Dabei geht es nicht um ein traditionelles Verständnis der Ehe, sondern um grundsätzliche Überlegungen zum Familienmodell. Natürlich wird ein Teil der Gründe traditioneller Natur sein, andere eher psychologischer: wie gut ist es für ein Kind, zwei Väter oder zwei Mütter zu haben.

Ich werte hier nicht, obwohl ich es als wichtig erachte für ein Kind, männliche und weibliche Vorbilder zu haben. Ich möchte hier auch nicht die Diskussion verlängern und erst recht nicht eine Diskussion anstossen über biologische Geschlechter und Gender.

Vielmehr geht es mir um die Gemeinde und den Staat.

Die Bibel legt meiner Meinung nach keine Kriterien für eine Ehe fest. Es gibt Hinweise und starke Argumente.

Die Ehe wurde geschlossen, wenn der Mann und die Frau die Ehe vollzogen. Diesen Standard können wir heute nicht mehr aufrechterhalten, der Zug ist abgefahren.

Natürlich schuf Gott Mann und Frau. Nimmt man die Schöpfungsgeschichte als Laborbericht, dann mag dies ein deutlicher göttlicher Hinweis auf ein Ehemodell sein.

Wenn die Schöpfungsgeschichte als archetypische Erzählung der Schöpfung gesehen wird, dann stehen Adam und Eva als Prototypen oder besser Archetypen für die beiden biologischen Geschlechter der Menschheit und somit stellvertretend für alle Männer, alle Frauen.

Sehen wir uns biblische Ehen an, dann sehen wir sehr viele Männer mit mehreren Frauen. Keiner dieser Männer wurde für seine vielen Frauen gerügt. Salomo, der biblische Rekordhalter mit 700 Haupt- und 300 Nebenfrauen, wurde nur gerügt, weil er sich auf die Götter seiner Frauen einliess.

Die Eheschliessung wurde irgendwann kulturell und später staatlich geregelt. Feste, Rechte und Pflichten wurden festgelegt.

Interessanterweise waren diese Entwicklungen teilweise abgeschlossen, als die Schöpfungsgeschichte verschriftlicht wurde nach dem Exil. Dasselbe gilt erst recht, als das neue Testament Aussagen zur Rolle der Frau und des Mannes machte.

Schauen wir kurz auf die Sklaverei: die Bibel spricht viel darüber und verbessert zu jeder Zeit die Situation von Sklaven gegenüber den in der Gesellschaft üblichen Standards. So hat sie die Menschheit auf einen Pfad gebracht, der in der Erkenntnis gipfelte, dass Sklaverei nicht menschenwürdig ist und verboten gehört. Leider wurde sie ersetzt durch sklavenartige Arbeitsbedingungen für viele Menschen weltweit. Es ist noch viel zu tun.

Es ist für die meisten Gläubigen heute klar, dass die Sklaverei-Gesetze des alten Testaments und die implizierten Standards des neuen Testaments kulturell geprägt sind. Sie gingen jeweils so weit, wie es in dieser Zeit möglich war. Könnte es sein, dass die Standards der Ehe dementsprechend behandelt werden sollten?

Evolutionsbiologisch kann übrigens leicht gezeigt werden, dass die Monogamie das erstrebenswerte Modell ist: in einer Polygamie bleiben Männer übrig, weil ein anderer gleich mehrere Frauen vom Heiratsmarkt entfernt. Dies führt zu einer höheren Gewaltbereitschaft und mehr Krieg. Vielleicht sind die Hinweise Gottes auf die Monogamie dazu gedacht, den Frieden zu stärken, und nicht so sehr, das Rechte zu tun.

Ebenso stellt die Ehe zwischen Mann und Frau auf natürliche Weise in Abwesenheit von entsprechenden medizinischen Massnahmen den Fortbestand der Menschheit sicher. Geht es hier also um den grösseren Plan und nicht so sehr um Richtig oder Falsch?

Einfach ein bisschen Gedankenfutter.

Der Staat definiert die Gesetze für die Ehe. Wir sind Staatsbürger und stimmen entsprechend unserer Werte und unseres Gewissens ab. Jeder hat das Recht dazu, und ich empfinde es als schändlich, wie die andere Seite diffamiert wird, sei es als Sünder oder als Ewiggestriger.

Wir können vom Staat nicht erwarten, dass er unsere Werte immer und überall umsetzt. Nicht in einer Demokratie. Ich glaube, dass wir Christen auch nicht fähig wären, dies in einem Gottesstaat zu leisten, so zerstritten und zerteilt sind wir, oder – ganz im Sinne des heutigen Themas – eben heterogen.

Die Trennung von Kirche und Staat ist ganz in unserem Sinne. Wenn wir es zur Maxime gemacht hätten, dass christliche Moralvorstellungen die Staatsräson per Dekret oder Gesetz leiten müssten, dann wäre Religion wieder ein staatliches Thema.

Wir sehen zur Zeit Jesu, dass dies nicht funktioniert:

Die vier grossen Parteien zu der Zeit waren die gräzifizierten Juden, die sich an die griechische Lebensweise gewöhnt hatten, die Saduzäer, die den Sanhedrin mehrheitlich stellten und mit den Römern eine Machtsymbiose lebten, die Pharisäer, die eine fundamentalistische Auslegung der Bibel als Grundlage für den Staat wollten, und die Zeloten, welche mit allen Mitteln die Römer loswerden wollten. Diese Verbandelung von Religion und Staat führte zu den Problemen, welche in der Zerstörung des Tempels und Jerusalems endeten.

Schon während der Königszeit war diese Verquickung zu stark, und die Moral des Königs spiegelte sich in der Moral des Volkes wieder.

Und die Auswirkungen der Bekehrung Konstantins auf das Christentum, welches so zur Staatsreligion wurde, wollen wir hier gar nicht näher betrachten: ein Desaster, welches zu Machterhaltung, theologisch fragwürdigen Institutionen und Machtansprüchen, Kriegen und vielem mehr führte.

Eine der grossen Errungenschaften der Aufklärung war, dass der Staat sich nicht in religiöse Belange einmischen darf, die Religionsfreiheit. Das wiederum hat zur Folge, dass der Bürger zwar aus seinen Überzeugungen und seinem Glauben heraus an der Gesellschaft teilnehmen kann und soll, aber der Staat nicht durch die Religion als Institution gestaltet werden soll.

Wir werden in der Bibel dazu aufgefordert, für unsere Oberen zu beten. In einer Demokratie dürfen wir auch gestalterisch teilnehmen. Und wir dürfen wissen, dass, wenn wir die Werte Gottes ausleben, andere diese übernehmen werden, weil sie ihre Kraft und Liebe erkennen.

So heisst es ja im Missionsbefehl: Gehend (auslebend), werdet Ihr erleben, dass Menschen frei und geheilt werden.

Was mir wirklich weh tut in all dem: wie wir mit den Menschen umgehen, die nicht unserer Meinung sind, ganz gleich, welches unsere Meinung ist.

An die Gläubigen: Gott schenkt jedem Menschen einen freien Willen. Wir dürfen lockend auf andere einwirken, weil wir glauben, dass ihre Entscheidungen sie in Probleme und ins Verderben führen werden, aber wir dürfen sie zu nichts zwingen oder sie verurteilen für ihre Meinung. Ersteres widerspricht dem göttlichen Wesen, zweiteres hat er uns verboten: Du sollst nicht verurteilen. Müssen wir gegen Gottes Gebot der Feindesliebe verstossen, um anderen unsere absolute Wahrheit nahezubringen?

An die Postmodernen: Wertehierarchien, Wertvorstellungen, Weltanschauungen, Wahrheit und Meinung sind subjektiv, und daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Toleranz. Verachten wir die Intoleranten, verlieren wir unsere Toleranz. Sind unsere Überzeugungen, Argumente und unser Lebensstil tatsächlich so schwach, dass wir unseren zentralen Wert, die Toleranz, opfern müssen, um andere für uns zu gewinnen?

Es scheint, als ob beide Seiten in dieser Diskussion nur dadurch gewinnen können, dass sie ihre eigenen Überzeugungen verleugnen und über Bord werfen.

Ich wünsche mir, dass wir Liebe und Toleranz üben gegenüber Menschen, die andere Werte haben als wir.

Liebe gegenüber Menschen, die aus welchem Grund auch immer Schwierigkeiten haben, ihr Gender entlang ihrem biologischem Geschlecht zu definieren, und ihr Leben trotzdem in Hingabe mit einem Gegenüber leben möchten.

Toleranz gegenüber jenen, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, eine solche Ehe mit einer Zeremonie zu feiern, die ihrer Überzeugung nach dem Bund zwischen einem Mann und einer Frau vorbehalten sein sollte.

Ich glaube, wenn wir alle unseren Werten treu bleiben, ist der Dialog aus Liebe und Toleranz möglich.

Ein Gedanke zum Schluss:

Viele werden jetzt sagen, dass Glaube alles umfasst, und daher auch die Regierung und unsere Gesetze. Gott umfasst alles, nicht wahr? Und trotzdem lässt er es zu, dass er in vielen Bereichen keinen Einfluss hat, unter anderem in vielen Herzen der Gläubigen und Menschen im Allgemeinen.

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