Wo befindet sich das Böse

Eine der wichtigsten Fragen heute ist, wo das Böse zu finden ist. Der Reflex ist fast immer, das Böse bei anderen, auf jeden Fall ausserhalb sich selbst zu suchen.

Die Postmoderne verortet das Böse in den Systemen: korrupte Systeme der Macht, vor allem das von Weissen dominierte patriarchale System, sind die Verkörperung des Bösen.

Das führt dazu, dass ich selber keine Verantwortung übernehmen muss, ja sogar eine gewisse Selbstgerechtigkeit entwickeln kann. Ich bin Opfer, und nicht zuletzt deshalb habe ich recht und bin gut.

Doch das ist nichts Neues und sicher keine Erfindung der Postmoderne.

Schon bei der Griechen wurde die Inspiration ausserhalb des Künstlers oder Denkers verortet. Es war die Muse, welche die beiden inspirierte.

Im Christentum wird dies ausgedrückt durch den Satz: alles Gute kommt von Gott. Ausserdem ist klar, dass niemand gut ist ausser dem Vater im Himmel, und keiner genügt, nein, nicht einer.

Es folgt konsequenterweise, dass auch das Böse eine externe Kraft sein muss, der der Mensch von Natur aus eher zugeneigt ist. Hier allerdings scheiden sich die einzelnen Theologien. Während einige davon ausgehen, dass der Mensch von Geburt an böse ist, da er unter dem Einfluss der Erbsünde steht, gehen andere davon aus, dass der Mensch gut geboren wird, aber nicht die Kraft hat, den bösen externen Einflüssen zu widerstehen. Manche gehen auch davon aus, dass der Mensch unschuldig geboren wird, mit dem Potential für beide Extreme.

Doch spätestens wenn sich jemand bekehrt, ist er gerecht gesprochen und daher gut. Die Sünde hat keine Macht mehr über ihn, und mit der Hilfe von Jesus wird er gut bleiben.

Da alles Gute von Gott kommt, wird auch alles Böse externalisiert. Es kann aber nicht von Gott kommen, denn Gott ist gut. Also muss ein Gegenspieler existieren, den wir Satan nennen. Er ist die Schlange im Paradies und der Drachen in der Offenbarung. Er ist die Schlange, die Jesus sticht, deren Kopf Jesus aber zertritt.

So korrigiert sich die Bibel selbst, als sie erst sagt, dass Gott David dazu brachte, das Volk zu zählen, um ihn dann dafür zu bestrafen. Natürlich war es nicht Gott, sondern der Teufel.

Das Böse liegt also auch ausserhalb von uns und muss bekämpft werden. Ihm muss widerstanden werden.

In diesem simplizistischen Weltbild ist die Verantwortung eigentlich auch nicht beim Menschen. Es war der Teufel, der mich verführt hat, und die Bibel sagt ja klar, dass ich zu schwach bin, ihm zu widerstehen. Sie geht sogar so weit, dass ich es gar nicht probieren muss.

Wie bitte?

Im traditionellen Verständnis der Bibel geht es ja darum, in den Himmel zu kommen, Gemeinschaft mit Gott zu haben. Das gelingt uns nicht, indem wir dem Teufel widerstehen, sondern wird nur bestimmt dadurch, ob wir uns für Gott und seinen Sohn entschieden haben oder nicht.

Dem Teufel zu widerstehen, ohne eine persönliche Beziehung zu Jesus zu haben, bringt also nichts.

Jetzt ist uns das aber doch etwas zu einfach. Warum ein Teufel, wenn er für das grosse Ziel gar nicht relevant ist? Soll er wirklich nur unser Gewissen so herausfordern, dass wir plötzlich einsehen, wie böse wir sind und uns Gott zuwenden?

Oder ist es notwendig, dass wir ihm nach unserer Bekehrung widerstehen, um unseren Platz im Himmel nicht wieder zu verlieren? Reicht also die Bekehrung nicht aus?

Wie aber ist es, wenn wir das Böse und das Gute nicht ausserhalb unserer selbst verorten, sondern davon ausgehen, dass die Linie zwischen Bös und Gut mitten durch unser Herz geht?

Hier möchte ich einen kleinen Exkurs machen: Glauben wir es, wenn wir singen, dass allein seine Gnade genügt? Dass Jesus alles vollbracht hat? Dass wir allein durch Glauben gerettet sind?

Ich möchte hier Gut und Böse entkoppeln von unserem Platz im Himmel. Jesus ist für die ganze Menschheit gestorben, sagen wir. Aber wofür denn?

Ist er als stellvertretendes Sündopfer gestorben? Wenn dem so wäre, dann würde uns Gott nicht vergeben, denn jemand hätte für die Schuld bezahlt.

Ist er als Vorbild gestorben? Im Moment ist dies die Auslegung, die mir am Meisten Leben bringt. Jesus hat seinen Auftrag sich selbst treu und treu zum Vater bis zur letzten Konsequenz durchgezogen. Er erfüllte seine Berufung, komme was da wolle. Er verleugnete sich nicht, um sich zu retten, oder auch nur um besser dazustehen. Er zeigte uns, was es hiess, Mensch zu sein. Um mit Dabrowski zu sprechen: Jesus befand sich in einer sekundären Integration, hatte seine eigene Wertehierarchie und entschied ohne Gruppendruck oder egoistische Motive.

Hat er gelebt, damit die von uns wahrgenommene Trennung zwischen Gott und uns überwunden würde? Ja. Und genau darum hat er auch zugelassen, dass wir über die Zeit die verschiedensten Begründungen für seinen Tod fanden: er wusste, welche Teilwahrheiten wir daraus lernen würden, so dass wir langsam Hinwachsen würden zur Erkenntnis, dass nie etwas zwischen uns und Gott stand.

Es ging nie darum, ob wir nach diesem irdischen Leben im Himmel oder in der Hölle landen würden.

Um was ging es dann?

Wenn das Gute und das Böse in uns liegt, und Himmel und Hölle sich nicht nach diesem Leben finden lassen, könnte es dann sein, dass es darum geht, ob wir in diesem Leben durch die Hölle oder den Himmel gehen? Geht es um Charakterbildung? Geht es darum, dass wir das Leben für uns, aber auch für andere möglichst paradiesisch zu gestalten helfen?

Teuflisch wäre in dem Falle das Denken, welches anderen und sich selbst Schaden zufügt. Das Denken Christi wäre die Liebe für den anderen und sich selbst.

Es ginge um Handeln und Denken in zwei diametral anderen Denksystemen. Es ginge darum, welches Zeichen wir auf der Hand oder Stirn hätten, metaphorisch für eben dieses Handeln und Denken.

Gott ist das Reservoir, der Ursprung allen Potentials, aller Möglichkeiten. Und als Gottes Kinder haben wir das Potential in uns, uns in jeder Lage zu entscheiden. Das Denken, welches unseren Entscheidungen zu Grunde liegt und uns handeln lässt, ist seit dem Paradies geprägt durch das Verständnis von Gut und Böse.

Wenn wir erkennen, dass unsere Zukunft nicht von diesen beiden Kategorien abhängt, wir also nicht in den Himmel kommen, wenn wir gut sind, Gutes tun, oder in Beziehung mit dem Guten stehen, dann können wir diese Kategorien endlich hinter uns lassen.

Es geht nicht darum, richtig oder falsch zu liegen, gut oder böse zu sein, sondern zum Leben beizutragen.

Dies werden wir nicht können, wenn wir das Böse da draussen und im Anderen verorten. Erst wenn uns klar wird, dass es in uns liegt, können wir die dualistische Weltanschauung überwinden und hinter uns lassen, denn den Anderen können wir nicht ändern, den Bösen nicht besiegen. Aber an uns können wir arbeiten.

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