Leiterschaft

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Das Prinzip der Leiterschaft entwickelt sich durch die Menschheitsgeschichte und ist heute noch in den verschiedensten Formen vorhanden, oft auch Führungsstil genannt.

So gibt es

  • den Pater Familias oder Patron, der mit seinen Mitarbeitern umgeht wie ein fürsorgender Vater.
  • die Kommandantin, resolut bestimmt sie den Weg.
  • den Manager, kompetent mit Autorität.
  • die Unternehmerin, welche Ideen offen mit ihren Mitarbeitern diskutiert.
  • den Verbinder, der Wert auf persönliche Beziehungen legt und sich wie ein Gleicher unter Gleichen bewegt.
  • die Evolutionärin, die Kultur verkörpert, richtungsweisende Individualität besitzt, aber die Kontrolle den Menschen überlässt.

Heute finden wir die ersten 5 Arten von Leiterschaft auch in der Kirche und Gemeinde. Dabei sind die ersten drei, der familiäre Patron, der Kommandant, und der Manager wohl sehr häufig vertreten, und ich verwende in dieser Liste explizit nur die männliche Form, weil sie in der Gemeinde doch den fast ausschliesslichen Hauptharst der Leiterschaft ausmachen.

Warum gibt es eigentlich diese verschiedenen Typen? Eine erste Antwort wäre natürlich, dass wir als Menschen durch verschiedene Stufen des komplexen Denkens, durch verschiedene Weltanschauungen gewachsen sind. Und so bringt jede dieser Weltanschauungen eine Leitungsform hervor, die ihr entspricht.

Ich kann einer Familie keinen Manager vorsetzen, auch wenn dies heute oft getan wird, aber der Bruch zwischen den Problemstellungen, Erwartungen und Lösungen ist zu gross. Wo Liebe und sich Kümmern erwartet wird, antwortet Kompetenz, Effizienz und Autorität.

Wenn sich also eine Gemeinde als Familie sieht, dann braucht sie die pastorale Vaterfigur. Vielleicht ist es noch möglich, einen Kommandanten zu tolerieren, der einem auf die nächste Stufe bringen möchte.

Eine Gemeinde, die sich als Gemeinschaft gleich Denkender, zum Beispiel als Anhänger der einen Wahrheit des einen Gottes und des Evangeliums sieht, wird normalerweise einen kompetenten, Lehrer als Manager, sattelfest in der Doktrin, oder vielleicht einen richtungsweisenden, vorangehenden Kommandanten, der autark und autoritär für die Einhaltung der Reinheit der Lehre steht, als Leiter haben.

Doch immer mehr zeigt sich ein neues, evolutionäres Prinzip der Leiterschaft. Dafür muss ich etwas ausholen:

Frederik Vetter, Professor für Kybernetik in München, hat Kybernetik in etwa so definiert, und ich paraphrasiere hier basierend auf meinen Erinnerungen meines Gespräches mit ihm:

Ein Kybernetiker ist einer, der weiss, wo in einem komplexen System eine metaphorische Diabetesspritze gesetzt werden muss, damit die Selbstregulation wieder funktioniert.

In dieser Definition fallen 99% der als natürlich empfundenen Leitungsaufgaben weg.

Die Assoziation von Leiterschaft mit Kybernetik ist ja nicht abwegig, weil ja die Leitungsaufgabe nach 1Ko 12:28 (Gabe der Leitungen) eben kybernesis heisst.

Interessanterweise beinhaltet der Vers im Korintherbrief diese Gabe der Leitungen, den Kybernetes oder Steuermann, neben den klassischen Funktionen Apostel, Prophet und Lehrer. Wir können davon ableiten, dass diese Gabe oder Aufgabe auch mit den anderen beiden Funktionen aus dem Epheserbrief nicht übereinstimmt, dem Evangelisten und Pastoren.

Wir haben über die Jahrhunderte die Leitung einer Kirche oder Gemeinde auf jeweils eine Person reduziert, und diese Pfarrer, Priester oder Pastor genannt. Wir haben die Gabe der Leitungen also zusammengeführt mit einer alttestamentlichen Funktion der Stellvertretung (Priester), dem Menschen, der für die Nachbarschaft verantwortlich ist (Pfarrer), oder dem biblischen Amt des Pastoren, des Hirten.

Manchmal haben wir dieser Person andere zur Seite gestellt, die sie übersehen (Bischof) oder sie beraten (Älteste).

Doch wie könnte die Definition von Kybernetik uns helfen, ein neues Leiterschaftsverständnis aufzubauen?

Der Kybernetiker ist keine feste Grösse im System, kein Kontrollzentrum, in welchem die Funktion des Systems definiert und gesteuert wird. Er ist der Beobachter, der helfend eingreift, wenn es nötig wird, aber die Komplexität des Systems und seine selbstheilenden, selbstregulierenden und selbstleitenden Mechanismen ehrt.

Kybernetiker beobachten und analysieren das System, erkennen die Schwachstelle und intervenieren sanft, um sich dann wieder zurückzuziehen, weil das System jetzt wieder ausbalanciert funktioniert.

In einer Gemeinde gehört der Leiter natürlich zum System, oft im Gegensatz zum modernen Kybernetiker.

Was bedeutet das?

Evolutionäre oder kybernetische Leitungsstrukturen werden bei Bedarf aufgebaut und danach wieder abgebaut.

Doch wer leitet?

Wahrscheinlich gibt es in der Gemeinde Menschen mit einer natürlichen Leitungsfähigkeit, aber auch für jedes Projekt Menschen, die für die Aufgabenstellung besonders begabt sind.

Diese Menschen sind prädestiniert für die Leitung. Während in hierarchischen Leitungsstrukturen die Menschen mit Leiterschaftsfähigkeit und der Situation angepasstem Leitungsstil die „Richtigen“ sind, sind es bei temporären Leitungsstrukturen diejenigen, welche eine natürliche Autorität aufgrund ihrer Kompetenz und Begabung haben.

Eine Gemeinde wird so zu einem Organismus, in dem ein stetiger Wandel der Strukturen stattfindet, die sich ständig an die neuen Herausforderungen und Aufgaben anpasst.

Alle vorherigen Leiterschaftsmodelle finden darin, temporär oder lokal, Platz. Teile der Gemeinde können durchaus in einem anderen System funktionieren. So kann die Kleinkinderarbeit durch väterliche und mütterliche Menschen geleitet werden und die notwendige Konstanz bieten, die Pfadfinder oder Jungschar von Kommandanten des Abenteuers, die Sonntagsschule für die älteren Kinder durch kompetente Lehrer, und der gemeindeeigene Verlag von einer Unternehmerin, sowie die Arbeit für jüngere Erwachsene durch harmonischen Konsens.

Die Gemeinde selbst wird zum Wachstumsort, zum Treibhaus der Ideen und Visionen in Selbstverwaltung mit temporären kybernetischen regulierenden sanften Eingriffen.

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