Freundschaft

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Es ist auffallend, woher in vielen Sprachen das Wort für Freund stammt. Nehmen wir Latein: Amicus ist eine Form des Wortes Amor, amare. Im Griechischen heisst philia sowohl Freundschaft als auch Liebe. Und auf Deutsch kommt das Wort von altsächsisch friohon, altenglisch frēogan, altnordisch frjā, gotisch frijōn, was alles lieben bedeutet, aber auch mit frei verwandt ist.

Althochdeutsch friunt (8. Jh.), Mittelhochdeutsch vriunt bedeutet Freund, Nächster, Geliebte(r), Verwandte(r).

Jesus sagt uns, dass er uns nicht mehr Knecht nennt, sondern Freund. (Johannes 15:15)

Sind wir uns bewusst, was das bedeutet? Heute hat das Wort Freund eine andere Bedeutung als noch zu Luthers Zeiten, und erst recht als das hebräische oder griechische Konzept zu Jesu Zeiten. Jemandem auf Social Media zu folgen ist weit entfernt von Freund, Nächster, Geliebte(r), Verwandte(r).

Dass Jesus das Wort philos in einem viel stärkeren Sinn verwendet, wird klar, wenn wir den Kontext betrachten.

Was zuerst wie ein Aufruf zum Gehorsam scheint, ändert sich im Lauf des Abschnitts. Erst ruft uns Jesus auf, seine Gebote zu halten, sozusagen als Voraussetzung für seine Liebe. So scheint es jedenfalls.

Aber da hört er ja nicht auf. Er sagt uns, welches seine Gebote sind: liebet einander.

Jetzt wird klar, was Jesus meint, wenn er sagt: Ich nenne Euch nicht mehr Knechte. Knechte gehorchen, oft ohne zu wissen, warum. Einfach weil der Herr es gesagt hat.

Geliebte – und ich denke, wir sollten dieses Wort verwenden, denn der ganze Abschnitt dreht sich um Liebe – aber haben keine Geheimnisse voreinander.

Es geht noch weiter. Kann ich Liebe gebieten? Nein, denn Liebe aus Gehorsam ist keine Liebe. Es ist Gehorsam.

Wenn Jesus also sagt, sein Gebot sei zu lieben, dann sagt er uns, dass er kein Gebot hat. Wenn also die Voraussetzung für seine Liebe ein paradoxes, unmögliches Konstrukt ist, dann gibt es keine Voraussetzung.

Warum hat Jesus es dann nicht so ausgedrückt?

Stell Dir vor, Du lebst in einer Kultur, die über Jahrhunderte hinweg im Glauben gelebt hat, dass die Liebe Gottes, seine Annahme von Deinem Gehorsam abhängt. In einer Kultur, die immer noch daran glaubt, dass Opfer notwendig sind, um mit Gott wieder im Reinen zu sein. Zwar hatte Gott ihnen schon lange gesagt, dass er ihre Opfer nicht wolle. Da wäre ihm ihr Gehorsam lieber.

Weiter hätte Gott nicht gehen können. Der Schritt wäre zu gross, um verstanden zu werden. Also war da der erste Schritt von Opfer zu Gehorsam als Voraussetzung für eine Beziehung.

Jesus macht nun den zweiten Schritt: Nicht einmal mehr Gehorsam, sondern Liebe. Aber Liebe ist kein Gebot, es ist ein Geschenk. Und Gott geht uns voraus. Er hat uns zuerst geliebt. Und er schenkt uns seine Liebe bedingungslos.

Wie zeigt sich solche Liebe? Oft fallen wir hier zurück in den Glauben, dass es doch um Gehorsam gehe. Wer liebt, wird die Gebote halten. Nicht weil er muss, sondern weil er möchte.

Dies ist wiederum ein erster Schritt. Vielleicht hat Jesus deshalb Liebe geboten. Er aber sagt uns, was Liebe ist: das Leben für andere zu geben.

An anderer Stelle sagt er uns, dass jeder seinen Freund lieben kann (oder vielleicht sogar, dass jeder seinen Geliebten lieben kann). Ware Liebe zeigt sich in der Feindesliebe.

Dürfen wir diese Worte Jesu weiterdenken?

Gott führte die Menschheit einen Wachstumspfad entlang: keine Menschenopfer, Gehorsam statt Opfer, Liebe statt Gehorsam. Jesus sprach in diesen Schritt hinein. Er kam in eine Gehorsamsgesellschaft, die auf Geboten und dem Gesetz ruhte, und öffnete den nächsten Schritt für uns.

Die Gemeinde machte daraus bestenfalls Gehorsam aus Liebe. Gehorsam aus Liebe entspricht dem Sklaven, der sich nach sieben Jahren entscheidet, freiwillig Sklave seines Herrn zu bleiben. Es entspricht aber nicht dem Bild des Geliebten.

Wie könnten wir denn Gottes Gedankengang weiterdenken? Seine Liebe ist bedingungslos. Nicht einmal eine Entscheidung, ihm zu gehorchen oder sogar ihn zu lieben, ist notwendig, denn das wäre eine Bedingung.

Liebe als freiwillige Entscheidung. Kann es so einfach sein?

In 1. Korinther 6:9 sagt uns Paulus dies:

Wisst Ihr denn nicht, dass diejenigen, die der Art und Weise nicht folgen, das Reich Gottes nicht besitzen werden?

Also doch Gehorsam, wird doch „die der Art und Weise nicht folgen“ meist mit „die Ungerechten“ übersetzt?

Setzen wir für Art und Weise, oder auch Tendenz, den oben genannten Weg Gottes von Gesetz zu Gehorsam zu Liebe ein.

Wir brauchen noch einen zweiten Gedankenwechsel in diesem Vers. Das Reich Gottes ist mitten unter uns, ja sogar in uns, sagt die Bibel. Es geht hier also nicht um den Ort, an dem wir die Ewigkeit verbringen. Es geht um das hier und jetzt.

Dieser Vers erzählt eine ganz andere Geschichte, als wir uns gewohnt sind. Lasst es mich versuchen.

Es geht im Kontext um das Verhältnis zwischen Brüdern, Gleichgesinnten, Freunden, Verwandten, also Menschen der Kategorie philos.

Sie zu übervorteilen, aber auch, sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen, ist nicht der Weg, die Art und Weise, die Gott vorgegeben hat. „Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?“, fragt Paulus.

Gehorsam zu fordern macht uns blind für die Liebe und damit für das Reich Gottes.

Die nachfolgende Aufzählung geht noch ein Stück weiter. Sie zeigt uns auf, dass jegliches egoistisches Verhalten uns blind macht für das Reich Gottes.

Mir kommt die Geschichte des Knechtes in den Sinn, der riesige Schulden hatte. Nachdem ihm diese vergeben wurden, bestand er trotzdem darauf, dass einer seiner Schuldner alles bezahlen müsse. Er war blind für die Liebe, blind für das Reich Gottes.

Gott ist gnädig. Er führt uns auf dem Weg der Erkenntnis in der Geschwindigkeit vorwärts, die wir schultern können.

Jesus hat uns den nächsten Schritt gezeigt, die Tür aufgestossen. Er nennt uns nicht mehr Knechte, sondern Geliebte.

Warum nur halten wir fest an Geboten, Ausgrenzung, und Bedingungen?

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