Was fehlt einem Gott, der allmächtig, allwissend und omnipräsent ist? Grenzen.
Was fehlt einem Gott, der allmächtig, allwissend und omnipräsent ist, sich aber selbst begrenzt? Die Möglichkeit, keine Verantwortung zu übernehmen.
Diese beiden Aussagen schreien nach einer Erklärung. Sie bilden aber auch die Grundlage für ein Gedankenexperiment, welches die Welt zu erklären versucht.
Fangen wir einfach mal an.
Am Anfang zog Gott sich zurück, um etwas zu kreieren, dass es bis dahin nicht gab: Grenzen, Einschränkung, Beschränkung.
In diese Beschränkung hinein sprach er die Schöpfung. Er war der Geber, die Beschränkung dagegen die Empfängerin, die wie ein Spiegel reflektierte.
Warum würde Gott etwas wollen, das begrenzt ist und wie ein Spiegel reflektiert? Warum schauen denn wir in den Spiegel?
Ein Spiegel gibt uns ein begrenztes Bild unserer selbst. Anstelle eines dreidimensionalen Ebenbilds sehen wir ein auf zwei Dimensionen beschränktes. und trotzdem lernen wir etwas über uns, wenn wir uns im Spiegel betrachten.
Gott erhält neue Perspektiven seiner selbst, wenn er uns betrachtet.
Was aber sind wir anderes als Substanz Gottes? Wir reden immer wieder von einer Schöpfung aus Nichts, einer creatio ex nihilo. Doch nahm Gott nicht von sich und schöpfte aus sich heraus?
Gott ist Liebe, und die Schöpfung besteht, weil sich die Teile der Schöpfung gegenseitig anziehen. Dies ist auf allen Ebenen war, von subatomar bis zu den Himmelskörpern.
Gott ist Beziehung. Beziehung aber besteht nur, wenn es Diversität gibt. Die Trennung ist ebenfalls auf allen Ebenen beobachtbar.
Einheit und Individualisierung als Grundprinzipien, und Bewusstsein als Baustoff. Wunderbar dargestellt in der Trinität Gottes, welche Gott, Jesus, den Heiligen Geist, und uns umfasst. Trinität als Quadratur der Vielfalt.
Wir sind also Gott, der sich milliardenfach selbst betrachtet und sich so besser erkennt.
Aber nicht nur wir. Jeder Teil der Schöpfung ist ein Spiegel Gottes. Metaphorisch ist uns dies klar, sprechen wir vom Heiligen Geist doch als Taube oder Wein, und von Jesus als Brot.
Kommen wir zur zweiten Aussage.
Gott als allmächtiger, allwissender und omnipräsenter Schöpfer muss in letzter Konsequenz die Verantwortung für die Taten seiner Kinder übernehmen. Wenn wir die Reflexion Gottes sind, dann führt kein Weg an der Verantwortung vorbei.
Die Frage nach dem Leid in dieser Welt kann nur Gott als Ursprung haben, wenn auch nur indirekt. Er hat uns so geschaffen und vorausgesehen, was wir tun würden. Und er hätte es verhindern können.
Nehmen wir einmal an, dass Gott die Geschichte, so wie sie sich entfaltet hat, als die beste Variante gesehen hat, um mit möglichst vielen von uns in der Ewigkeit Gemeinschaft zu haben.
Entweder hätte er einen Weg finden können ohne das ganze Leid, oder er ist nicht allmächtig. So einfach ist es.
Ich habe mich oft gefragt, warum Gott es zuliess, dass Jesus einen so grauenvollen Tod starb. Die einzige Antwort, die mir einigermassen befriedigend erschien, ist die, dass Gott selbst diesen Tod starb. Ansonsten wäre er nicht der grösste Ausdruck von Liebe, den „niemand hat grössere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ (Joh 15:13)
Leid ist dann Ausdruck der Liebe, wenn man es selbst erleidet für jemanden. Wenn aber wir, wie wir es oben gesehen haben, Gott sind, der auf sich zurückblickt, dann leidet Gott und wir in ihm und als er.
Gott übernimmt die ganze Verantwortung, denn er leidet selbst. Er leidet nicht nur mit uns. Er leidet. Punkt. Wäre Mitleid der höchste Ausdruck von Liebe, würde der Vers so heissen: Niemand hat grössere Liebe als die, dass er sein Leben lässt mit seinen Freunden.
Wie Jesus am Kreuz sind wir uns der wahren Umstände und unserer selbst nicht bewusst und schreien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen.“
Warum aber tut Gott dies alles?
Wie könnte er allwissend sein, wenn er diese Erkenntnis und Erfahrung von Leid nicht hätte? Wenn er diese als extern empfundenen Perspektiven seiner selbst nicht hätte?
Wie könnte er allmächtig sein, wenn er kein Leid durchgestanden hätte?
Wie könnte er omnipräsent sein, wenn er nicht den Raum einnehmen würde, der ausserhalb seiner selbst existiert, auch wenn er ihn erst selbst erschaffen musste?
Wie könnte er Liebe sein, wenn er nicht dualistisch trennen würde, um dann durch Anziehung wieder zu vereinen ohne zu vermengen?