Kategorie: Glaube

  • Theodizee

    Die Theodizee ist eine der grossen Fragen an den Glauben. Hier eine Formulierung davon:

    Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht: Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft,
    Oder er kann es und will es nicht: Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist,
    Oder er will es nicht und kann es nicht: Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
    Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

    Vor ein paar Jahren habe ich mich mit dem Alphalive-Kurs beschäftigt. Die Theodizee-Frage wurde in dem Kurs als die Frage bewertet, welche die meisten Menschen vom christlichen Glauben abhalten würde.

    Ich war damals in der Informatik tätig. Meine Mitarbeiter wussten, dass ich nebenamtlich in einer Gemeinde arbeitete. Sie stellten mir viele Fragen, aber diese war nie dabei.

    Das hat mich immer verwirrt. Natürlich war ich in einer Subkultur unterwegs, welche sich – so war es zumindest damals – durch hohe analytische Fähigkeit und überdurchschnittliche Intelligenz und Bildung, oft aber nicht durch übertriebene Empathie auszeichnete. Es war fast zu erwarten, dass sich dieser Gruppe andere Fragen stellten. Aber dass die Frage niemals aufkam, war ob der behaupteten Wichtigkeit doch erstaunlich.

    Die Fragen, die ich zu hören bekam, waren aus dem Bereich der Unvereinbarkeit des modernen und traditionellen Weltbilds. Dabei behaupte ich nicht, dass Wissenschaft und Glauben nicht vereinbar wären. Sondern dass der Glaube an eine wörtliche Auslegung der Bibel als absolute Wahrheit mit den Erkenntnissen des modernen Zeitalters inkompatibel waren – und sind. Ein Beispiel:

    Wie kannst Du an einen Gott glauben, der behauptet, die Erde sei in sieben Tagen vor ca. 6000 Jahren erschaffen worden?

    Ich stellte mir die Frage, ob wir als Gemeinde hier nicht einer Fehlinterpretation aufsassen. Ich begann, andere Christen zu fragen, wie oft sie dieser Frage schon begegnet seien, und stellte fest, dass es anderen auch so ging: Diese Frage wurde ihnen selten gestellt, auch nicht in ihrer sehr einfachen Form von „Warum lässt Gott so viel Leid zu?“ oder der persönlichen Form „Warum lässt Gott dieses mein oder unser Leid zu?“

    Natürlich stellt sich die Frage, wenn wir in einer Krebsstation für Kinder sind, an den Tsunami im Indischen Ozean denken, oder den Krieg in der Ukraine vor Augen haben. Und da rede ich noch nicht einmal vom Zweiten Weltkrieg.

    Es begann sich aber ein Muster zu zeigen. Es waren nicht die Menschen, welche nicht an Gott glaubten, die diese Frage stellten. Es waren gerade diejenigen, welche glaubten.

    Und sie taten dies aus verschiedenen Gründen. Entweder gingen sie selbst durch grosses Leid, oder ihnen wurde die Frage – zum Beispiel in der Ausbildung für den Alphalive-Kurs – ein erstes Mal gestellt – von anderen Christen.

    Die Frage hat heute ausserhalb der Theologie und Philosophie eine gewisse Tendenz zur Nabelschau, oder sie erinnert an die Klagepsalmen.

    Zur Nabelschau: Wir Christen überlegen in unserem behüteten Getto, warum die Menschen da draussen kein Interesse am Glauben und speziell an unserer Form des Glaubens haben. Wir finden in unserer Geschichte eine Frage, die Sinn ergeben könnte, stellen sie den Menschen, und generieren das Interesse selbst.

    Was geschieht, wenn ich jemandem, der kein Interesse am Glauben hat, diese Frage stelle? Ich liefere ihm oder ihr ein Gratisargument, um mich abzuwimmeln. Die Person muss nicht einmal selbst darüber nachdenken, warum sie nicht glaubt. Die Frage wird zum Proxi.

    Nicht so für uns Christen. Wenn wir die Frage hören, hat sie eine hohe Relevanz. Wir glauben an Gott und müssen eine Antwort finden, um dies weiter tun zu können.

    Für die meisten wird die Antwort eher einfach ausfallen. Entweder wir sind selbst schuld wegen des Sündenfalles oder zu wenig Glauben, Gott respektiert unseren freien Willen und hält sich zurück, oder es gibt nun mal den Teufel.

    Kaum ein Nichttheologe, kaum ein durchschnittlicher Christ hinterfragt die naiven Begründungen und Rechtfertigungen.

    Wenn jemand darauf hinweist, dass ein allmächtiger und allwissender Gott wohl eine Welt hätte schaffen können, in der Leid nicht notwendig oder möglich und trotzdem ein freier Wille und Liebe möglich wäre, und Gott deshalb letztendlich für das Leid verantwortlich sei, dann wurde der Vers zitiert: „Meine Gedanken sind höher als Eure Gedanken“, gefolgt von „Gott hat uns nicht gefragt, ihn zu verstehen, sondern ihm zu glauben“. Schluss der Diskussion.

    Auch Theologen und Philosophen haben keine Antwort auf die Theodizee, obwohl sie sich schon über 2000 Jahre lang damit beschäftigen. Die Frage war wohl schon Epikur (341–271 v. Chr.) bekannt, scheint sogar noch weiter zurückzugehen.

    Ein Ausweg ist, die Frage an und für sich zu hinterfragen. Wir gehen hier von einem bestimmten Gottesbild und Weltbild aus, welches z. B. Güte, so wie wir sie verstehen, als allgemeingültig und absolut erklärt. Der Begriff der Güte ist aber in den unterschiedlichsten Kulturen immer wieder anders mit Inhalt gefüllt worden. Wir können die Frage also nur aus menschlicher, zeitlicher und nicht allgemeingültiger Perspektive stellen.

    Wir können sie allerdings einem Gott stellen, der sich explizit dahin gehend ausgesprochen hat, dass er uns begegnen, eine Beziehung möchte. Der möchte, dass wir ihn verstehen, mindestens teilweise. Und wir können sie einem Gott stellen, der moralische Ansprüche an uns richtet, zum Beispiel im Gesetz des Alten Testaments.

    Dann verliert sie ihre Allgemeingültigkeit, denn in diesem Moment stellen wir die Frage nicht Gott, sondern unserer Interpretation von Gott, unserem Gottesbild. Und wir definieren Güte nicht allgemeingültig, sondern im Rahmen unseres Verständnisses von Güte, welches nicht zuletzt auf einer Interpretation der von Gott in der Bibel gestellten hohen moralischen Ansprüchen beruht. Auch das Verständnis von Leid ist dann kulturell geprägt.

    Am Beispiel von Leid wird die Problematik besonders deutlich. Postmoderne Menschen empfinden Dinge als leidvoll, welche Menschen früher nicht einmal kannten.

    Doch zurück zum Ursprung. Die Frage interessiert heute die meisten Menschen nicht mehr, weil das Konzept eines monotheistischen Gottes sie nicht mehr interessiert. Wenn wir sie stellen, ohne dass der Gefragte, die Gefragte sie sich selbst ernsthaft stellt, liefern wir ihnen nur einen weiteren Grund gegen Gott und gegen den Glauben. Denn eine befriedigende Antwort haben wir nicht.

    Nichts gegen Alphalive. Ich habe Alphalive nur genannt, weil der Kurs in meine Geschichte hineingehört. Der Kurs funktioniert, wo er funktioniert, weil es den Menschen gar nicht um diese Frage geht. Es geht ihnen um das, worum es auch Gott geht: Beziehung. Sie brauchen Unterstützung, fühlen sich allein, suchen Trost, wollen klagen und dass ihnen jemand zuhört.

    Was ihnen der Glaube bietet, ist eine Gemeinschaft, eine Anlaufstelle für ihre Klagen, einen Begleiter in Not und Einsamkeit, einen Vater, der sie liebt.

    Wir Christen sind es, die ihnen mehr versprechen. Übergebe Dein Leben Jesus, und alles wird gut.

    Wir Christen sind es, die ihnen weniger geben, sei es in Gottesdiensten, bei denen mit dem Schlussgesang alle direkt nach Hause gehen und professionelle Seelsorger sich um Kirchenpolitik und Kirchenrenovationen kümmern, oder in Gemeinden, bei denen Leid nicht sein darf und zurückgeführt wird auf zu wenig Glauben.

    Wir laden sie in Kursen und persönlichen Gesprächen ein, zu unseren Gottesdiensten zu kommen – in Kursen und persönlichen Gesprächen, in denen sie Fragen stellen dürfen, zu Gottesdiensten, in denen sie in Reihen sitzen und still jemandem zuhören sollen, der entschieden hat, was das Thema für heute sein soll, welche Probleme sie plagen, was die Antworten dafür sind.

    Vielleicht sollten wir uns die Frage stellen, warum wir so viel Leid zulassen.

  • Maria Magdalena

    Es ist, auf eine ganz spezielle Art, die Zeit von Maria Magdalena. Es geschieht einiges, in dessen Licht wir Maria Magdalena ganz neu verstehen lernen. Die Wissenschaft ist noch nicht abschliessend, aber die Gedanken sind ausserordentlich.

    Beginnen wir mit der Geschichte von Maria und Martha. Wir haben zwei Geschichten, die wir oft den gleichen Schwestern zuschreiben:

    Martha die Fleissige und Maria die Lernende, und dann die Auferweckung von den Toten von Lazarus.

    Die beiden Geschichten können nicht von den selben zwei Frauen sprechen. Erstens liegt das Dorf Bethanien der Geschichte in Johannes nicht auf dem Weg, den Jesus in Lukas nimmt.

    Zweitens würde das Haus in der Geschichte von Lukas nicht „Haus der Martha“ genannt, wenn sie einen Bruder hätte.

    Mehr noch: neueste Studien der ältesten Fragmente des Johannesevangeliums haben gezeigt, dass die Geschichte um die Auferweckung des Lazarus ursprünglich keine Martha erwähnt, sondern nur von Maria spricht. Erst im 4. Jahrhundert hat ein Schreiber die Person in zwei gespalten und, vielleicht mit Maria und Martha im Hinterkopf, die zweite Person Martha genannt.

    Frühe Kirchenväter und Schriften kennen Martha nicht und schreiben die Christuserkenntnis der Maria zu.

    All dies wird im Moment von Nestle Aland untersucht, basierend auf einer Doktorarbeit von Elizabeth Schraner.

    Schon länger weiss man, dass das Dorf, das heute Madgala heisst, zu Zeiten Jesu einen ganz anderen Namen hatte, und man von keinem Dorf weiss, welches damals Magdala hiess.

    Warum heisst Maria dann „von Magdala“? Das Wort Magdala heisst in Aramäisch Turm. Wie wäre es denn, wenn Magdala gar keine Herkunftsbezeichnung wäre, sondern ein Beinamen?

    Als Petrus Christus bezeugte, erhielt er den Namen „Fels“ (oder besser, Stein). Könnte es sein, dass Maria den Beinamen Turm erhielt, als sie und nicht die erfundene Schwester Martha sagt:

    Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt. Johannes 11:27

    Die Geschichte wird zu einer Demonstration unseres inneren Kampfes: Glaube und Zweifel in einer Person.

    Sie wird aber auch zu einem wunderbaren Zeugnis: die Frau, die als Erste den auferstandenen Jesus sieht, und es den Aposteln weitererzählt, würde zur zweiten Person, die Jesus als Christus identifizierte.

    In den ersten Jahrhunderten wurde Maria Magdalena die Apostolin der Apostel genannt, weil sie zu den Aposteln gesandt wurde, um die Auferstehung zu verkündigen.

    Später wurde ihr dieser Titel aberkannt und sie wurde zur Hure gemacht, obwohl die Bibel nur sagt, dass sie von mehreren Dämonen befreit wurde.

    Ich werde jetzt nicht auf die Definition von Dämonen und unser modernes Verständnis davon eingehen. Darüber habe ich früher schon geschrieben.

    Viele haben Maria Magdalena zur Frau von Jesus machen wollen. Vielleicht, weil ihnen unterschwellig klar war, dass mehr an dieser Frau war als nur die devote Jüngerin.

    Stellen wir uns mal kurz vor, wie verschieden die Kirchengeschichte hätte verlaufen können, ja wie anders die heutige Kultur und Gesellschaft im Westen aussehen könnte, hätte die frühe katholische Kirche nicht entschieden, dass eine Frau keine solche Rolle haben konnte. Oder hätte ein Schreiber nicht gedacht, er müsse die Bibel korrigieren, aus welchen Beweggründen auch immer.

    Wäre die Kirche ein Miteinander von Mann und Frau geworden, ohne dass die säkulare Welt die Kirche hätte zwingen müssen, Frauen als gleichberechtigt anzuerkennen? Wäre eine Frauenbewegung überhaupt notwendig gewesen?

    Wäre die Geschichte der Kirche eine friedlichere?

    Ich überlasse das Eurer Phantasie. Doch „was wäre wenn“ ist gar nicht das Entscheidende. Wie weiter? Darauf kommt es an.

    Natürlich wird sich der Hauptanteil der evangelikalen Welt dieser Erkenntnis verweigern, denn sie entstammt der kritischen Textanalyse, und würde man da auch nur ein Jota nachgeben, kämen so viele Fragen auf.

    Da folgt man lieber den manipulativen Änderungen und vielleicht sogar gut gemeinten Neuerzählungen der frühen Jahrhunderte, und verweist darauf, dass Gott über seinem Wort wacht und die Bibel keine Fehler enthält.

    Die Moderne mit ihren wissenschaftlichen Methoden hat uns so viel zu bieten. Unter anderem, und das ist nur ein Beispiel, ein ganz neues Verständnis der Rolle der Frau, gezeigt im Bild zweier Marias:

    Die eine sitzt zu Füssen Jesu, um zu lernen, was nur männlichen Jüngern vorbehalten war.

    Die Andere ist möglicherweise der Turm unseres Glaubens, die Apostolin der Apostel.

    Die Bibel hat schon oft eine Reise aus Missständen angedeutet, indem sie anders als die Kultur neue Wege ging.

    Sklavenhaltungsgesetze waren humaner, als in den Kulturen der Zeit üblich, ohne die Menschen der Zeit zu überfordern, und das führte zur Verdammung von Sklaverei im 19. Jahrhundert in England und den USA.

    Jesus hat dementsprechend Frauen anders behandelt, als die Kultur um in herum, aber vielleicht war uns gar nicht bewusst, wie anders. Auf jeden Fall hätte dies zur Gleichstellung führen können, hätte die Kirche es gewollt.

    Unsere traditionelle Lesart verhindert oft, was die Bibel erreichen wollte.

    Sind wir offen für neue Erkenntnisse, aber auch neue Lesarten?

    Das Urteil von Nestle Aland zu Maria in Johannes 11 steht noch aus. Im Moment läuft der Diskurs, ob die Bibelübersetzungen, ja die Quelltextanalyse und damit die Bibel geändert werden sollen, oder ob eine Fussnote genügt. Und viel Forschung muss noch gemacht werden, bevor mit Sicherheit gesagt werden kann, dass die Maria in unserer Geschichte tatsächlich Maria Magdalena ist.

    Mir geht es natürlich darum, dass unser Bibeltext so nah am Original übersetzt wird, wie es auf Grund der uns zugänglichen Quellen möglich ist.

    Mir geht es darum, dass Maria Magdalena keine Fussnote der Geschichte bleibt und dass das Bild der Frau in der Bibel aufgewertet wird.

    Mir geht es aber vor allem um die Offenheit von uns Christen für neue Erkenntnis über die Bibel und neue Herangehensweisen, wie die moderne Textkritik, aber auch postmoderne und integrale Methoden.

    Bleiben wir stur, dann besteht die Gefahr, dass wir weiterhin in der Wüste stecken bleiben, wo doch die Säule bereits weitergezogen ist.