Gemeinschaft und Individuum

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Die katholische Kirche definiert sich über Zugehörigkeit. Wer dazugehört, ist gerettet. Das zeigt sich schon im Namen der Kirche: katholisch, d.h. allgemein. Die reformierte oder protestantische Reformation hat das Individuum entdeckt, und sieht gerettet sein als eine persönliche Beziehung zu Gott durch das Opfer Jesu und Gnade. Doch wie immer ist es eine Mischung von beidem, dass uns zum Ziel führt.

Wie finden Christen heute die Balance zwischen Gemeinschaft und Individuum?

Ein Christ kommt am Sonntag in die Gemeinde, um die Beziehung zu Gott zu pflegen. Dort wird gebetet, also mit Gott gesprochen, angebetet, man wird über Gott und seine Prinzipien gelehrt, und ich habe eine gute Zeit mit meinen Mitchristen – wie weit ich mich darauf einlasse, ist meine individuelle Entscheidung. Ich profitiere von der Gemeinschaft, behalte mir aber das Recht vor, zu entscheiden, wie sehr ich mich investiere. Einige wenige sind berufen, mehr zu tun – wir nennen sie Pastoren – und die werden dafür bezahlt.

Ich selber war anders. Ich wollte in die Gemeinde, um meine Berufung an der Gemeinschaft auszuleben. Die Gemeinschaft hatte mir zu dienen, als Publikum. Natürlich habe ich das anders definiert: schliesslich profitieren die anderen davon, wenn sie meine Erkenntnisse mitbekommen. Sie kommen ja in die Gemeinde, um genau das zu erhalten. Weisung für die nächste Woche. Kraft, um bis nächsten Sonntag durchzustehen. Und ich als Individuum kann mich verwirklichen.

(Ich lasse das so stehen, damit der Leser die Entwicklung sehen kann. Später erkannte ich, wie sehr mir diese Interpretation meiner Vergangenheit von aussen aufoktroyiert wurde. Der Autor, 2020)

Warum denn – wenn dies eine solch symbiotische Beziehung war – liess es Gott nicht zu?

Ich glaube, wir verstehen die Balance zwischen Individuum und Gemeinschaft falsch.

Wie sagt es Paulus? Wenn Ihr in die Gemeinde kommt, habe jeder von Euch einen Psalm, ein Wort, eine Botschaft. Aber das würde ja bedeuten, dass ich vorbereitet in die Gemeinde komme. Die Pflege meiner persönlichen Beziehung, das Wachsen in dieser Beziehung durch Kommunikation mit Gott und Anbetung, durch Lesen und Lernen ist also Sache des Individuums, verstärkt und unterstützt durch die Menschen mit einer besonderen Berufung und Begabung. Auf der anderen Seite ist die Gemeinschaft dazu da, gemeinsam von einander zu lernen, zu wachsen, zu profitieren von dem, was der einzelne unter der Woche erkannt hat. Dazu da, den anderen zu stützen, wenn er durch eine schwere Zeit geht. Vor allem aber ein Trainingszentrum, um das Gelernte unter der Woche, wo immer wir sind, umzusetzen.

Ich brauche Gemeinschaft. Die Gemeinde ist der Ort, wo Gott uns durch andere Menschen begegnen kann. Nicht durch irgend jemanden, sondern durch die Menschen, die sich für eine Gemeinschaft mit mir entschieden haben. Ja, viel mehr, mit Menschen, die Gott auserwählt hat, ein Teil meines Lebens zu sein. Einigen davon hat er sogar Verantwortung für mich übertragen. Und hier werde ich Teil seines Körpers, seiner Armee, welche umsetzt, was Gott in dieser Welt getan haben möchte. Er hat sich entschieden, durch seine Gemeinde auf Erden zu wirken. Nicht durch Individuen. Durch seinen Körper, nicht durch radikale oder freie Zellen, die nicht wissen, wo sie hingehören und nur Krebs auslösen. Und Er baut seine Gemeinde. Darum entscheidet Er, wo ich hingehöre. Es liegt also nicht an mir als Individuum, festzulegen, wo ich in die Gemeinde gehe.

Geht es darum, ein Publikum für meine Predigten zu haben? Geht es darum, anhand meiner Arbeitsstelle, dem Grad meiner Müdigkeit, oder meiner Musikpräferenz zu entscheiden, wo und wann ich in die Gemeinde gehe? Nein, natürlich nicht. Ich werde von Gott gepflanzt, begabt und freigesetzt. Im richtigen Gefäss.

Ist es notwenig, zu einer Gemeinde zu gehören? Ich glaube noch viel mehr, dass es notwendig ist, zu der Gemeinde zu gehören, die Gott für uns vorgesehen hat. Denn nur dort ist das Wachstum und die Entfaltung möglich, die Gott für uns vorgesehen hat. Nur dort kann ich meine Gaben für andere einsetzen, weil Gott es so geplant hat, dass ich diesen Teil zu diesem Gefäss beitragen soll. Keine Konkurrenz, Ergänzung.

Ist es notwendig, eine lebendige Beziehung mit Jesus Christus zu pflegen, als Individuum, während der ganzen Woche, und nicht nur in der Gemeinschaft? Das ist Gottes Ziel für jeden Einzelnen.

Beides zusammen ist Jüngerschaft. In dieser Symbiose zwischen Individuum und Gemeinschaft kann ich in alles hineinwachsen, was ich nach dem Plan Gottes werden soll, und die Menschen um mich herum ebenfalls.

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