Gehorsam

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An diesem Ort gab Gott dem Volk Gesetze und stellte seinen Gehorsam auf die Probe.

2. Mose/Exodus 15:25b (GNB)

Gehorsam – ein zentrales Thema in der Bibel. Es hat seinen Anfang scheinbar im Paradies, wir sehen es in der Geschichte Abrahams, Mose, und bis ins neue Testament.

Aber sprechen wir immer vom Gleichen hier?

Ich komme immer mehr zur Überzeugung, dass der Gehorsam bei der späteren Verschriftlichung der Schöpfungsgeschichte ins Zentrum gestellt wurde. Vergessen wir nicht, dass diese Verschriftlichung im und nach dem Exil in Babylon stattfand, also lange nachdem Gott durch Mose das Gesetz gab.

Diese Geschichte, erzählt an Lagerfeuern über Jahrhunderte, sogar Jahrtausende, wurde zu diesem Zeitpunkt redigiert, interpretiert, und in Beziehung gestellt mit kulturellen Aspekten der Zeit.

Die biblische Schöpfungsgeschichte ähnelt in vielen Punkten der babylonischen, unterscheidet sich aber in ein paar ganz wichtigen Punkten. Es ist ein Gott, der die Welt schafft, und der Mensch wird als Ebenbild Gottes und nicht als Zeitvertreib der Götter portraitiert.

Allein schon, dass von nur einem Gott die Rede ist, zeigt uns, dass die Geschichte spät entstand. Im alten Testament werden andere Götter lange als real existierend akzeptiert, Gott selbst mit ihnen in Beziehung gestellt, ja er kämpft sogar gegen sie.

So verwundert es nicht, dass Gehorsam, das zentrale Thema um das babylonische Exil, ins Zentrum der Geschichte gestellt wird mit dem Sündenfall.

Natürlich glaube ich daran, dass die Schöpfungsgeschichte inspiriert ist, was uns im Lichte des Gesagten dazu bringen soll, die anderen Ebenen der Geschichte zu ergründen, andere Brillen aufzusetzen, damit wir sie nicht nur als zweidimensionale Geschichte erkennen – Laborbericht der tatsächlich so geschehenen Schöpfung aus moderner Sicht, und Sündenfall aus traditioneller Sicht. Was bedeutete die Geschichte an den Lagerfeuern vor Mose?

Doch zurück zum Thema dieses Textes: dem Gehorsam.

Gehorsam braucht gewisse Denkfähigkeiten. Wo uns vorher die Angst vor dem Beziehungsverlust, Ausschluss aus dem Familienverband und dem damit verbundenen Sterben, die Scham des Gesichtsverlustes dazu brachte, uns einzugliedern und unterzuordnen, lässt es das rationale Denken jetzt zu, abzuwägen zwischen Gehorsam und Ungehorsam, indem wir die Folgen kalkulieren.

Dabei ist zum Beispiel die in einem früheren Text besprochene Fähigkeit, eine Belohnung auf später zu verschieben, zentral.

Doch bleibt Gehorsam dasselbe über den Verlauf unseres Lebens, oder auch der Menschheit?

Die Bibel tönt an, dass sich Gehorsam in seiner Gestalt verändert, je reifer wir werden und je mehr wir verstehen. Der Gehorsam gegenüber dem Buchstaben des Gesetzes, wie er bei Mose noch gefordert wurde, weicht später dem Gehorsam gegenüber dem Geist des Gesetzes, und dann dem Gehorsam dem Geist gegenüber.

Anfangs bestand der Gehorsam zum Beispiel in der Tatsache, dass die Israeliten Opfer brachten. Später zeigt ihnen Gott auf, dass er an Opfern keine Freude hatte, ausser sie waren von Gehorsam begleitet. Hier wird klar, dass nicht die Handlung, sondern die Haltung entscheidend war. Und so entwickelt sich der Begriff des Gehorsams fort und wird abstrakter. Wir sehen das auch in der differenzierten Haltung Jesu gegenüber dem Sabbath, die sich von der mosaischen so deutlich unterscheidet.

Das ist genau der Weg, wie Menschen lernen: wir lernen zuerst die einzelnen konkreten Handlungen (Lego in die Kiste, Bär aufs Bett), um diese später zusammenzusetzen zu einem Prinzip (Zimmer aufräumen) und dann weiter zu abstrahieren (ein aufgeräumtes Leben, ein aufgeräumtes Wesen).

Nietzsche hat über seine Landsleute gesagt:

Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut: Denn er gehorcht, wo er kann, wie dies einem an sich trägen Geiste wohl tut.

Nietzsche

Dies geschieht, wenn wir den Begriff des Gehorsams nicht auf die notwendige Ebene abstrahieren.

Für „Deutsche“ kann in diesem Zitat ebenso fundamentalistischer oder evangelikaler Christ eingesetzt werden, und es wird nur umso zutreffender.

Alles ist möglich dem, der da glaubt. Diese Aussage Jesu zeigt auf, wozu wir fähig sind. Aber unser dem Wörtlichen und Konkreten verbundenes Gehorsamsverständnis lässt uns gehorchen und daher so viele Möglichkeiten verpassen. Dies nur, weil wir zu träge sind, uns weiter zu entwickeln.

Gehorsam gegenüber dem Pfad Gottes, den er für uns vorgesehen hat, beinhaltet für uns heute eine hohe Abstraktionsebene. Zu Beginn war dies der Gehorsam aufgrund einer Beziehung, so wie Abraham ging, als Gott ihn dazu aufforderte.

Dann der Gehorsam gegenüber Gesetzen. Der Ungehorsam gegenüber dem Gesetz zeigte sich anfangs ziemlich direkt, wurde später aber in die Zukunft verschoben.

Warum wurde der Mann, der am Sabbath Holz sammelte, sofort gesteinigt, das Exil in Babylon aber erst Tatsache, nachdem das Gesetz über Generationen nicht beachtet wurde? Es war ein Lehrstück für Israel: sie lernten, die Langzeitfolgen ihrer Handlungen abzuschätzen.

Wie erschreckend, aber bezeichnend für seine Zeit die Reaktion des Hiskia ist, als er hört, dass, weil er den Boten aus dem Osten seine Schätze gezeigt hatte, Israel eingenommen würde, aber erst nach seinem Tod: er freute sich über diese Aussage, denn „nach mir die Sintflut“. Er würde es nicht mehr erleben.

Ich hoffe, wir haben uns weiterentwickelt. Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Leben sollten wir erkennen, dass unsere Handlungen auch zukünftige Generationen beeinflussen und wir uns darüber Gedanken machen sollten.

Unser Denken in der Gemeinde ist im Allgemeinen noch nicht da angekommen. Darum leugnen so viele Christen den Klimawandel und die Energiekrise. Denn sie verstehen Gehorsam nur im konkreten Sinne als Befolgen der biblischen Gesetze. Alles wird gut, wenn wir Abtreibung und die Ehe für Alle verbieten.

Was anno dazumal absolut progressiv war, wird reaktionär und zerstörerisch. Zu Mose Zeiten an eine übergeordnete Instanz zu glauben, die uns klare Vorgaben und Gesetze gibt, damit wir mit ihr in Beziehung treten können, war revolutionär.

Bis anhin waren die Götter launisch und wir mussten selber herausfinden, was sie von uns erwarteten, ohne dann irgendeine Garantie für ihre Gunst zu haben.

Doch diese progressive Idee entwickelte sich zum Grundpfeiler für grössere Gemeinschaften, die nicht auf purer Gewalt aufbauten, wie zum Beispiel Nationen.

Gehorsam aber hat seine Schattenseiten. Wir kennen den Ausdruck „blinder Gehorsam“, und können die Auswirkungen in der Geschichte klar erkennen, sei es im zweiten Weltkrieg oder im Kommunismus in Russland und China.

Gott hat uns schon in der Schöpfungsgeschichte den Wert des einzelnen Menschen vor Augen geführt. Es hat Jahrhunderte gedauert, und wir sind immer noch dran, herauszufinden, was dies bedeutet. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ und „Liebet Eure Feinde“ – diese beiden Verse haben eine immer inklusivere Auslegung erhalten über die Jahrhunderte. Und in gewisser Weise ist uns die Welt in der Umsetzung dieser Verse um einiges voraus.

Jesus sagt uns, dass er nicht gekommen ist, das Gesetz abzuschaffen, sondern es zur Fülle zu bringen oder zu erfüllen.

Die Abstraktion „ein aufgeräumtes Leben führen“ wird immer zu einem gewissen Grad „ein aufgeräumtes Zimmer“ und damit „die Lego in die Kiste“ beinhalten. Aber ich kann nicht im Konkreten verharren.

Im Film „The Life of Brian“ von Monty Pithon gibt es eine Szene, bei der Jesus nicht zu weit entfernt von Brian zu der Menge predigt und man hört, wie ein paar Jünger von Brian eine seiner Aussagen kommentieren. Es funktioniert auf Englisch, darum hier die Originalsprache:

What did he say? Blessed are the cheese makers?

Dont’ be a fool and take that literally. Obviously he is talking about all people that produce dairy products.

Eigentlich verliert ein Witz ja seine Bedeutung, wenn man ihn erklären muss, aber hier die Übersetzung und Erklärung:

Was sagt er? Gesegnet sind die Käser? (Cheese maker tönt auf Englisch ähnlich wie peace maker, die Friedensstifter).

Sei nicht dumm, er meint das natürlich nicht wörtlich: er meint alle Milchproduzenten.

John Cleese sagt dazu: wie können wir Jesus wörtlich nehmen, ihn, der in Parabeln lehrte?

Gehorsam dem Geist gegenüber statt dem Buchstaben heisst meiner Meinung nach nicht nur Gehorsam gegenüber dem Heiligen Geist, sondern dem tieferen Sinn der Aussage, dem Geist des Gesetzes gegenüber.

Gehorsam ist zentral. Wichtig ist, wie Gehorsam interpretiert und gelebt wird.

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