Seelsorge oder Jüngerschaft?

Lesedauer 4 Minuten

Geschwister, wir bitten euch, die anzuerkennen, denen der Herr die Verantwortung für eure Gemeinde übertragen hat und die mit unermüdlichem Einsatz unter euch tätig sind und euch mit seelsorgerlichem Rat zur Seite stehen. 1. Thes 5:12

Was ist die Aufgabe derer, denen der Herr die Verantwortung für die Gemeinde übertragen hat? Laut der Neuen Genfer Übersetzung ist es, unermüdlich unter den anderen tätig zu sein und mit seelsorgerlichem Rat zur Seite zu stehen.

Ich glaube, dass diese Auslegung unseres heutigen Verses mit zu einem Gemeindebild, einer Gemeindeorganisation beigetragen hat, die heute in unseren Breitegraden vorherrscht. Der Pastor als unermüdlicher Arbeiter, der unsere Wunden pflegt, uns hätschelt. In Schweizerdeutsch: uns „päschelet“. Ja, das Wort kommt von Pascha.

Und das führt dazu, dass wir das Wort Seelsorge so definieren: Seelsorge, das sich sorgen um die Seele, versteht sich häufig als langandauernder Prozess zur Analyse und Heilung von seelischen Wunden. Im Normalfall geht es um Emotionen.

Hier eine andere Übersetzung dieses Verses:

Wir bitten euch nun noch, Brüder, diejenigen voll anzuerkennen, die sich unter euch abplagen und euch im Herrn vorstehen und die euch, wenn es nötig wird, halt den Kopf zurechtsetzen müssen. 1. Thes 5:12, Haller

Als erstes fällt mir auf: Plötzlich geht es nicht mehr um die Verantwortung für die „Gemeinde“. Zu einfach ist es, darin ein organisatorisches Gebilde, ein Gebäude, eine entindividualisierte Menge von Menschen zu sehen. Hier geht es um Dich und mich. Hier stehen uns Menschen vor, die vom Herrn dazu ausersehen wurden. Das Abplagen wird persönlich: bin ich, sind wir eventuell der Grund dafür? Bin ich die „Plage“?

Ein anderer Schwerpunkt: den Kopf zurechtsetzen. Das Wort im Griechischen bedeutet: in den Kopf setzen, pflanzen.

Sofort kommt mir in den Sinn, dass es unsere Aufgabe ist, unser Denken zu ändern.

Seelsorge in unserem heutigen Verständnis ist oft Symptombekämpfung. Unsere emotionalen Verletzungen kommen oft aus einem falschen Verständnis, einem falschen Denken heraus. Falsche Erwartungen führen zu Enttäuschungen. Falsche Denkmuster zu fatalen Verhaltensmustern und dadurch zu schrecklichen Verletzungen.

Hilft es uns, die Verletzungen, die Auswirkungen zu behandeln? Sicher. Doch solange wir die dahinter liegenden Denkmuster nicht verändern, schaffen wir vor allem eins: Abhängigkeit. Die Seelsorge wird zum Perpetuum Mobile. Die immer neuen Verletzungen müssen immer neu gepflegt, beseelsorgt werden.

Wie viele Jahre hat sich Jesus um Maria Magdalenas Vergangenheit und Belastung gekümmert? Wie lange brauchte Jesus, um Petrus nach seinem tiefen Fall, nach der Verleugnung, wieder herzustellen? Wir lesen in den ganzen Evangelien nicht von sich wiederholenden Seelsorgesitzungen, sondern von der Wirksamkeit von Vergebung, Heilung, Wiederherstellung – sozo, vollständige Wiederherstellung und Befreiung an Leib, Seele, Geist – und anhaltender Lehre, Schulung. Ein Verändern des Denkens. „Gehirnwäsche“ statt Seelsorge.

Sich für die Seelsorge zu entscheiden, ist – abgesehen vom Stolz vielleicht – relativ einfach. Jeder liebt es, wenn es um ihn selbst geht. Doch dies ist ein Merkmal eines unreifen Christenlebens. Eines Kindes im Glauben. Und diese Zeit gibt es, und sie ist wichtig. Doch bald wird es Zeit, erwachsen zu werden.

Ein anderes Modell:

Die Gemeinde als Familie. Funktionierende Beziehungen, in welchen wir aufeinander aufpassen. Jeder hilft dem anderen – mit Ermutigung, Trost, Auferbauung. Baut einander gegenseitig auf. Und mit Vätern, einem apostolischen Team, begabt von Gott, euch wenn nötig den Kopf zurechtzusetzen.

Machet zu Jüngern.

Und Jesus hat der Gemeinde gegeben:

  • Apostel, welche Vision und Ausrichtung vermitteln. Sie geben unserem Denken einen Fokus.
  • Propheten, welche Ermutigung und Ermahnung vom Herrn weitergeben.
  • Evangelisten, welche uns lehren, unsere Hoffnung weiterzugeben – und uns so hoffen lassen.
  • Pastoren, welche eine Kultur der Ehre und der gegenseitigen Unterstützung fördern.
  • Lehrer, die uns helfen, unser Denken zu verändern.

Väter, deren Herzen den Söhnen zugewandt sind.

Und Söhne, deren Herzen den Vätern zugewandt sind.

Wenn wir uns entscheiden, uns von ganzem Herzen den Vätern zuzuwenden, welche Gott uns geschenkt hat – oder wie es unser Vers sagt, diejenigen voll anerkennen, die sich unter uns abplagen und uns im Herrn vorstehen und die uns, wenn es nötig wird, halt den Kopf zurechtsetzen müssen – dann wird es möglich, die Ursache zu bekämpfen. Heil zu werden. Zu erkennen, dass wir bereits heil und frei sind, es nur noch nicht glauben. Weil unser Denken hinterherhinkt. Weil wir es dadurch zulassen, dass unsere Seele wieder und wieder verletzt wird. Durch unsere Verhaltensmuster. Wegen unserer Denkmuster.

Der Belehrbare setzt sich zu den Weisen, um selber weise zu werden.

Das ist Gemeinde: eine Familie, ein wunderbares Umfeld, wo ich lernen kann, Fehler machen darf, behütet bin. Wo man mich so liebt, wie ich bin, aber auch so sehr, dass man mich nicht lässt, wo ich bin. Ein Ort des Wachstums. Ein Ort mit weisen Vätern, die uns den Weg zeigen. Ein Ort mit grossartigen Söhnen, die wachsen wollen.

Wichtigste Voraussetzung? Der Wille zur Veränderung. Ein belehrbares Herz.

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