Der erste Vers der Bibel

Lesedauer 5 Minuten

Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.

1Mo 1:1

Ich möchte den Leser hier auf eine Reise mitnehmen. Die Bibel ist vielschichtig.

Eine absolut konkrete Aussage, die sich genial schematisieren lässt:

Wann: Am Anfang (zeitlich)
Was: schuf (von schaffen, kreieren)
Wer: Gott (Einzahl, männlich)
Wen: die Himmel (Mehrzahl) und die Erde (Einzahl)

Ach, wenn doch nur alles so einfach wäre.

Für das Weitere ist es notwendig, einige Grundlagen zu verstehen, die ich im letzten Artikel gelegt habe. Solltest Du das noch nicht getan haben, empfehle ich Dir, den zuerst zu lesen.

Wir haben hier ein wunderbares Beispiel von griechischer Logik und konkretem, wörtlichem Verständnis. Oder ein ebenso wunderbares Beispiel von fehlendem Verständnis für östliches, jüdisches Denken.

Sehen wir uns den Vers genauer an.

Ich werde hier darauf verzichten, die Worte in hebräischer Schrift einzufügen und die Transliteration verwenden, sie also einigermassen lautgetreu mit unserem Alphabet darstellen.

Am Anfang, oder doch nicht?

Das Wort, das wir mit am Anfang übersetzen, heisst b’reschit.

Das Erste, was dem Hebräischkundigen auffällt: es hat keinen bestimmten Artikel. Am [an dem] Anfang ist also schon eine Interpretation. Anfangs wäre insofern besser, als dass es auf den Artikel verzichtet.

Allerdings bedeutet das Basis-Wort rosch eigentlich Kopf, Ursprung, Quelle, und nicht zeitlicher Anfang. Das kann es in gewissen Versen durchaus bedeuten. Aber auch andere „Anfänge“ sind möglich: zuoberst, zuerst, als Wichtigstes, vom Prinzip her.

Wenn wir aber die vier jüdischen Welten betrachten, dann könnte das Ganze auch sehr wörtlich auf eine neue Art genommen werden: im Kopf.

Die Endung it ist weiblich. Da drängt sich auch eine andere Quelle auf: in ihrem Bauch, im Mutterleib.

Weiter geht es mit barah. In seiner ursprünglichen Bedeutung heisst es fett machen. Wir werden noch sehen, wie dies hier wunderbar passt.

Als nächstes kommt elohim. Wir übersetzen das Wort als Gott. Das aber kommt von der griechischen Übersetzung, der Septuaginta, die dafür das Wort theos verwendete, also Gott im Sinne von Zeus. Daher stammt auch unser Bild von einem Gott im Himmel, der menschliche Attribute hat und straft und belohnt.

Das Wort im Hebräischen aber heisst eigentlich Kräfte, und zwar in ihrer männlichen Form. Wir dürfen das mit der Einzahl übersetzen, denn es geht hier nicht darum, dass es viele Kräfte waren, sondern sehr starke.

Wir haben also bis jetzt: in ihrem Mutterleib machten die männlichen Kräfte sie fett. Es wurde also etwas in Gottes Innerstem, unter Zusammenarbeit des Weiblichen und Männlichen, geschaffen.

Und was wurde geschaffen?

Die Himmel heissen haschamaim. Hier kommt jetzt der bestimmte Artikel ha zum Tragen. das Wort schamaim heisst Wasser und beinhaltet das Wort schem, Name.

Ein Name ist im jüdischen Denken aber viel mehr als ein Wort, auf das eine Person hört oder mit dem ein Ding benannt wird. Es bezeichnet die Funktion des Benannten.

Gott heisst Jahwe, und übersetzt existierend. Jesus heisst Jeschuah, auf Deutsch freisetzend. So stehen die Namen für die grundlegende Berufung des Menschen oder die übertragene Bedeutung von Dingen. Ein weiteres Beispiel ist Abraham, der Vater vieler Völker.

Wasser fällt vom Himmel, oder wie es in der Bibel immer wieder übersetzt wird: der Himmel gibt uns Wasser.

Haschamaim wird so zur Funktion des Gebens, zum Wunsch, zu geben.

Und wie steht es mit ha’aretz, welches wir mit Erde übersetzen?

Aretz heisst eigentlich zerbrochen, zerfurcht. Ha’aretz ist der Wunsch, dieses Wasser zu empfangen.

Zusammengesetzt

Dieser erste Vers hat also nichts mit einer physischen Erde zu tun, einem Himmel, einem Gott, der ausserhalb von sich selbst am Anfang der Zeit etwas schafft.

Vielmehr geht es darum:

In ihrem Mutterleib hat die starke männliche Kraft sie mit dem Wunsch, zu geben, und dem Wunsch, zu empfangen, geschwängert.

1Mo 1:1

Die Erweiterung

Im den nächsten Versen geht es um das Licht.

Beim Licht gehe ich nicht so tief in die hebräischen Bedeutungen hinein, sondern verwende meinerseits ein konkretes Beispiel, um auf eine geistliche Bedeutung hinzuweisen. Ganz im jüdischen Sinne also.

Gott schafft das Licht und beschränkt es, grenzt es von der Dunkelheit ab. Wir können das Licht als das ansehen, das gegeben wird, und die Dunkelheit als das, was empfangen möchte.

Stell Dir einen Beamer vor. Er wirft einen Lichtstrahl. Wenn es jetzt keine Begrenzung gibt, Du den Beamer z.B. auf einer grossen Wiese aufgestellt hast, dann verliert sich der Lichtstrahl in der Unendlichkeit.

Stellst Du aber eine Leinwand auf, dann wirft diese das Licht zurück, und es wird sichtbar. Und nicht nur das Licht wird sichtbar, sondern auch das Bild, welches der Beamer zeigen möchte.

Gott erweitert also die Funktion des Empfangens um die Reflexion.

Wir haben nun also einen Ort, eine Funktion, die gibt, und den Gegenpol, der empfängt und reflektiert.

Gott wollte ein Gegenüber, das empfängt und reflektiert, was er zu geben hat von dem Ort des Lebens aus – den Himmeln als Gedanke, als Konzept.

Der voreilige Schluss

Die meisten sind gedanklich jetzt bereits beim Konkreten: den nach Paulus mindestens drei Himmeln als dem Wohnort Gottes, und der Erde als dem Wohnort des Menschen, der empfängt und reflektiert.

Doch sind wir hier noch an einem ganz anderen Ort, nämlich in der Welt der Konzepte, nicht des Konkreten.

Eines dieser Konzepte ist der Morgenstern. Es ist ein Name für Luzifer und für Jesus, und das ist kein Zufall. Vergesst nicht, Namen sind Funktionen.

Der Morgenstern ist ja kein Stern, sondern ein Planet – die Venus. Sie reflektiert am Morgen das Licht der Sonne.

Der Morgenstern ist also die Funktion des Empfangens und der Reflexion.

Doch der erste Morgenstern verweigerte sich dieser Funktion und wollte für sich, was er empfing – purer Egoismus. Er wollte auch zum Geber werden, aber nicht des Empfangenen, sondern des Eigenen.

Dies ist die Geburt des Ego. Das Prinzip Morgenstern wird zum Prinzip Satan. Satan ist kein Wesen, sondern eine Denkart, ein Prinzip. Es ist das Prinzip der Verweigerung, zu empfangen und zu reflektieren.

Satan steht für den Egoismus.

Und weil die Erde, also das Prinzip des Empfangen und der Reflexion, sich weigerte zu reflektieren, wurde sie wüst und leer.

Darin schuf Gott nun Trennung, Pflanzen und Tiere und schliesslich den Menschen. Nicht vergessen: wir sind immer noch in der Welt der Prinzipien und Konzepte.

Trennung ist Dualismus: nass und trocken, oben und unten.

Das Wort Baum bedeutet auch die Augen verschliessen. Fische sind scheu und ängstlich, Krabbeltiere sind unwürdig und angsteinflössend, und so weiter. In diese Leere und Wüste kamen all die Gefühle und Emotionen, die ein dualistisches, egoistisches Leben so mit sich bringen.

Und jetzt schuf Gott den Menschen, die zweite Chance, den ersten Erlöser. Noch einmal schuf er ein Gegenüber, das empfangen und reflektieren sollte, und noch einmal liess er diesem Wesen die Wahl.

Zu dieser Geschichte kommen wir morgen.

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