Kategorie: Vision

  • Getrau Dich, Deine Zukunft zu opfern

    Die Zentrifugalkraft von Jesu Beispiel

    Das Christentum glaubt, dass die Welt von Gott erschaffen wurde, es aber verpasst hat, ihren Zweck erfüllen. Ich würde das ganz anders formulieren. Alles ist zu einem bestimmten Zweck erschaffen worden, und wir (und damit meine ich den Einzelnen, die Menschheit als Ganzes und das Universum) befinden uns auf einer Reise zu unserem Zweck.

    Im Hebräerbrief steht, dass Gott auf viele Arten durch die Propheten gesprochen hat, aber in diesen letzten Tagen durch seinen Sohn. Ich würde dir gerne meine Interpretation dessen geben, was Gott durch Jesus gesagt hat. Bitte habe Geduld mit mir. Ich denke, sie wird anders ausfallen, als du es erwartest.

    Von Jesus heisst es, dass Gott, als die Zeit reif war, seinen Sohn sandte. Dieses Aussenden spricht von der Inkarnation (Gott wird Mensch) und dem Gang ans Kreuz. Aber wozu? (Und ich frage nach dem Wozu beider Ereignisse und dem Dazwischen.)

    Was brauchen wir als Teenager am meisten? Ich denke, wir brauchen ein Vorbild, das uns zeigt, wie wir die kindischen Dinge hinter uns lassen und erwachsen werden können, während wir das Kindliche in unserem Leben bewahren. Die Menschheit befand sich damals in der Pubertät, und einige waren bereit, ein tieferes Verständnis für den Sinn des Lebens zu entwickeln, als nur zwischen egoistischen und primitiven Trieben (1. Faktor) und dem Gehorsam gegenüber dem Gesetz (2. Faktor) hin- und hergerissen zu sein.

    Ich sehe Jesus als Vorbild dafür, wie man ein „gottgefälliges“, sinnvolles, zielgerichtetes, reifes und erfülltes Leben führt.

    Ich sehe die Aufgabe der Menschheit und insbesondere des Einzelnen darin, das Göttliche in dieser Welt widerzuspiegeln und sichtbar zu machen. Jesus sagte, dass er nichts getan hat, was er nicht auch den Vater hat tun sehen, und dass jeder, der ihn gesehen hat, den Vater gesehen hat. Empfangen und reflektieren. Deshalb sagt uns die Bibel in der Schöpfungsgeschichte, dass wir nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, oder, und das ist eine viel bessere Übersetzung, dass wir das Spiegelbild Gottes sind. Wir könnten sagen, dass Jesus in „Gott im Inneren“ ein Ideal sah, das sich qualitativ von den Lösungen der „Welt“ unterschied. Wir könnten sagen, dass er den 3. Faktor entwickelte und seine sekundäre Integration fand, tot für die Welt und doch sehr lebendig.

    Und wie hat Jesus gelebt?

    Er wich nie von seinem Ziel ab. Er sprach, er demonstrierte anhand von Beispielen, er lehrte andere, sogar bis zum Tod und zum Tod am Kreuz.

    Was hat er erlebt?

    Er sah seine Mutter leiden, wurde von einem seiner Freunde verraten, der Geld für die Armen verlangte, nur um es für sich selbst zu verwenden, wurde von all seinen Freunden im Stich gelassen, gefoltert, sein Volk wählte einen verurteilten Verbrecher an seiner Stelle, gedemütigt, verspottet, getrollt und gekreuzigt. Ich bin mir sicher, dass ich ein paar Dinge vergessen habe, aber ich würde sagen, dass er die Mutter aller „Shitstorms“ erlebte und neben dem, dass er „gecancelt“ wurde, wahrscheinlich das meiste, ja sogar alles mögliche menschliche Leid erlitt.

    Und trotzdem blieb er seiner Berufung und seiner Bestimmung treu.

    So viel wir auch von der Auferstehung halten, und ich weiss, dass sie neben der Jungfrauengeburt (die meiner Meinung nach eine Erfindung der Kirche aus einem falschen moralischen Verständnis von „ohne Sünde“ ist, aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal) wahrscheinlich der grösste Stolperstein ist, das Ergebnis von Jesu Leben war, dass nicht einmal der Tod ihn halten konnte.

    Dabei ist es mir egal, ob das wörtlich im Sinne eines Lebens nach dem Tod gemeint ist oder ob er als Fundament der westlichen Kultur und als vielleicht einflussreichste Person, die je gelebt hat, weiterlebt und die Welt zum Besseren verändert hat. Und ich bin mir all der Gräueltaten bewusst, die in seinem Namen begangen wurden, was das Leid, das er für seinen Sinn, seine Berufung überwinden musste, nur noch vergrössert: Er wollte uns ein Beispiel dafür geben, wie man ein wahrhaft menschliches, ja sogar humanes Leben führt.

    Ein menschliches Leben zu führen bedeutet also, zu seiner Berufung zu stehen und ihr treu zu sein, was bedeutet, dass wir unsere Berufung erst einmal finden müssen. Und das ist die Reise, auf der wir uns befinden, vom Säugling zum Kind zum Erwachsenen.

    Von Jesus wird gesagt, dass er an Weisheit und Gunst bei den Menschen und Gott wuchs. Wir können sehen, dass auch er seine eigene Berufung und Bestimmung finden musste, genauso wie wir es müssen. Aber als die Zeit gekommen war, stand er ohne zu zögern auf.

    Wie sähe die Welt aus, wenn wir alle unsere Berufung finden und ihr dann folgen würden?

    Lass mich noch eine andere Geschichte erzählen. Du erinnerst dich vielleicht an die Geschichte von Abraham und Isaak. Eines Nachts hörte Abraham die Stimme Gottes, die ihm sagte, er solle seinen versprochenen Sohn mitnehmen und ihn an einem Ort opfern, den Gott ihm zeigen würde. Nachdem sie drei Tage lang unterwegs waren, erreichten sie den Berg Moria und Abraham bereitete das Opfer vor. Bevor er seinen Sohn töten konnte, griff Gott ein.

    Ich lasse hier einige Details aus, und wer mehr wissen will, kann in Genesis 22 nachlesen.

    Dies ist eine archetypische Geschichte, die die Menschheit auf den Weg bringt, ihre Kinder nicht zu opfern und später überhaupt nichts mehr zu opfern (mit einer Ausnahme). Für mich steht die erste wahrgenommene Stimme Gottes für kulturelle Überzeugungen (2. Faktor). Die Menschen glaubten, dass sie Gott oder die Götter durch Opfer besänftigen müssten (1. Faktor). Das hat der biblische Gott nie verlangt, aber wir finden das Bedürfnis zu opfern schon bei Kain und Abel. Die Bibel holt die Menschen dort ab, wo sie in ihrem Glauben stehen, und stupst sie so weit wie möglich weiter. Im Neuen Testament ist davon die Rede, dass wir uns als lebendiges Opfer hingeben sollen. Es gehört zu einer gesunden Beziehung und ihrem Geben und Nehmen, dass wir Opfer bringen, aber das ist nur ein Teil der Polarität, den Nächsten zu lieben wie sich selbst.

    Aber es gibt noch eine andere Seite.

    Es geht darum, die eigene Zukunft nicht für das Jetzt zu opfern.

    Abraham ist bereit, die verheissene Zukunft der Familie und des Stammes zu opfern, um bei Gott durch gehorsam gut dazustehen.

    • Die Stammeskultur ist bereit, die Zukunft in Form ihrer Kinder zu opfern, um die Götter zu besänftigen.
    • Die Kriegerkultur ist bereit, die Zukunft in Form ihres Volkes zu opfern, um die Götter auf ihre Seite zu ziehen.
    • Der Traditionalismus ist bereit, die Zukunft in Form von Freiheit und Entwicklung zu opfern, um bei Gott Akzeptanz zu finden.
    • Die Moderne ist bereit, die Zukunft in Form unseres Lebensraums zu opfern, um Erfolg und Komfort zu haben.
    • Die Postmoderne ist bereit, die Zukunft in Form derjenigen zu opfern, die Dinge in Frage stellen, um Konsens zu finden.

    Isaac steht für seine persönliche Zukunft genauso wie für die Zukunft der Menschheit. Wir können erkennen, dass es immer wieder um die Menschheit geht, z.B. bei der Moderne, da sie unseren Planeten zerstört, und die Postmoderne zerstört unsere Fähigkeit, kritisch und kreativ zu denken, und das wird uns daran hindern, Lösungen zu finden.

    Ich hatte heute diesen Gedanken:

    Sowohl Jesus als auch Abraham haben ihre Zukunft geopfert, aber es gibt entscheidende Unterschiede.

    Schauen wir uns zunächst die Beweggründe an: Beide tun das, was sie tun, teilweise aus Gehorsam und Vertrauen. Aber woher kommt die tiefere Idee oder der Funke?

    Uns wird gesagt, dass Abraham den Befehl Gottes hört. Warum glaube ich, dass Abraham tatsächlich auf den kulturellen Glauben und die Interpretation der damaligen Zeit geantwortet hat? In Jer 7,31 lesen wir, dass Gott den Gedanken an Menschenopfer nie in Erwägung gezogen hat. Daraus ergibt sich für mich eine kognitive Diskrepanz, ein Paradoxon, ein Problem.

    War es Gott oder war es Abrahams Verständnis von Gott, das ein Opfer verlangte?

    Die meisten Menschen werden im Leben von zwei Kräften, zwei Faktoren angetrieben: ihren eigenen primitiven Trieben und Instinkten und dem Gruppendruck, der kulturellen Prägung und Sozialisierung. Ich nenne sie nach Dabrowski 1. und 2. Faktor.

    1. Faktor: unter anderem das Bedürfnis, dazuzugehören, das Bedürfnis nach Frieden und Harmonie
    2. Faktor: die Kultur und die Anforderungen, die unser Umfeld an uns stellt

    Aber es gibt noch mehr. Jesus tat die meiste Zeit nichts, um seine eigenen primitiven Bedürfnisse zu befriedigen. Er ging weg, um zu beten und sich zu erholen, zugegeben. Aber der Garten Gethsemane zeigt uns, dass nicht sein Wille ausschlaggebend war.

    Er unterwarf sich auch nicht ständig der Kultur seiner Zeit, auch wenn er ein Rabbi wurde, was in seiner Kultur normal war.

    Aber war es Gehorsam, der ihn am Kreuz sterben liess? Ja, das war ein Teil davon. Aber da war noch mehr. Es gab noch einen 3. Faktor: das bewusste, selbstbestimmte Gewissen. Es sieht ein Ideal und schreitet darauf zu: ein reifer und selbstbestimmter Mensch im Dialog mit Gott zu werden.

    Wie wäre es, wenn wir, anstatt unsere Zukunft unseren egoistischen Zielen zu opfern, uns selbst als lebendiges Opfer hingeben? Dazu könnte gehören, auf einige Dinge zu verzichten, aber auch, sich für Isaak einzusetzen.

    Das Beispiel Jesu gibt uns die Zentrifugalkraft, unsere primäre Integration zu verlassen, die auf unseren grundlegenden primitiven Instinkten und Bedürfnissen und den Regeln und Vorschriften beruht, die andere uns auferlegen. Opfere Deine Zukunft nicht, um dazuzugehören. Opfere sie, um zu sein. Sei frei. Sei Du. Sei der Ich Bin.

    Inwiefern ist das Beispiel Jesu eine zentrifugale Kraft? Er zeigt uns nicht nur ein Ideal, sondern das Ideal ist nicht unerreichbar, und er sagt uns, wie wir es erreichen können.

    Unsere Berufung finden und dann dazu stehen, auch wenn unser Instinkt und unsere Mitmenschen es nicht verstehen.

    Nicht jeder kann das von sich aus tun. Manche haben das Zeug dazu, wie Vorreiter, Pioniere und Visionäre voranzugehen, und andere benötigen Vorbilder und ein tolles Umfeld. Ein Wertewandel und ein tolles Umfeld sorgen dafür, dass sich 1. und 2. Faktor neu ausrichten und ebenfalls Zentrifugalkraft entwickeln.

    Es ist grossartig, dass es dabei nicht um unseren Zutritt zum Himmel geht, sondern um einen liebenden Vater, der in seine Kinder investiert.

    Wir dürfen unsere Berufung finden und dann dazu stehen, auch wenn Instinkt und Mitmenschen sie nicht verstehen.

  • Muss die Kirche sich verändern?

    Die Freikirche wird in der Schweiz immer mehr zu einem Anachronismus, zu einem Asyl für die Ewiggestrigen, wenigstens in der Aussenbetrachtung.

    Und die Zahlen unterstützen dies:

    • Weniger als drei Prozent der Bevölkerung besuchen heute noch regelmässig einen Gottesdienst, und das umfasst neben den christlichen Kirchen auch Moscheen und andere Kultusstätten.
    • Laut der Sinus-Millieu-Studie für die reformierte Kirche Zürich sind es vor allem traditionell denkende, schlechter verdienende Menschen, die Gruppe der sogenannten genügsamen Traditionellen, die noch an Gottesdiensten teilnehmen, und das auch nur noch zu rund dreissig Prozent, bei einem Bevölkerungsanteil von neun Prozent.

    Interessanterweise hat sich der Trend durch Corona nicht verändert. Während nach dem 11. September mehr Leute in die Gottesdienste strömten, wenn auch nur kurzfristig, so ist dieser Effekt in der Pandemie nicht sichtbar. Und der Teil, der sich Gottesdienste nun via Internet-Streaming anschaut, macht die Zahlenverluste bei den Besuchern bei Weitem nicht wett.

    Ist die Gemeinde also ein Auslaufmodell und muss sie sich verändern, um gesellschaftlich wieder relevant zu werden? Oder ist dieser Zug abgefahren?

    Das heutige Modell

    Die Gemeinde glaubt daran, dass es ein Lebensmodell gibt, welches uns sowohl gesegnet durch dieses Leben, aber viel mehr noch in ein wunderbares ewiges Leben führt.

    Ganz treu der traditionellen Denkart sehen sie Pflichterfüllung, Ordnung, Gehorsam und Unterordnung als wichtige Elemente dieses Lebensstils.

    Und so ergibt sich aus der biblischen Vorlage ein Idealbild für einen Christen, dem sich jeder anzunähern hat. Dies kann er nun nicht allein, sondern er braucht die Hilfe Jesu und der Gemeinde dazu. Wir nennen das: wie Jesus werden.

    Dies erinnert mich an die Geschichte von Herr Keunert von Berthold Brecht:

    Wenn Herr K. einen Menschen liebte

    „Was tun Sie,“ wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „Der Mensch.“

    Ebenso glaubt die Gemeinde an die absolute Wahrheit, welche sich in Jesus manifestiert und in der Bibel fehlerfrei wiedergegeben wird.

    Ist die Wahrheit aber absolut, gilt sie also für alle und für alle gleich, und nehmen wir dazu noch den Missionsbefehl, dann muss das Ziel sein, alle Menschen zu einem Lebensentwurf zu bewegen, der dieser Wahrheit entspricht. Wir nennen das Evangelisation.

    Und weiter ergibt sich daraus natürlich die Aufgabe, dass der Staat die Menschen vor sich selber schützen soll, solange sie selbst dieser Wahrheit nicht verpflichtet sind, sich also nicht bekehrt haben.

    Und so möchten wir, dass die Gesetze des Landes biblische Werte reflektieren.

    Es gibt jetzt aber drei Probleme.

    Ein Lebensmodell?

    Wir Menschen haben in der Zwischenzeit erkannt, dass wir Individuen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten sind, und zwar von Geburt an. Wir sind nicht introvertiert, weil die Sünde uns dazu gebracht hat, sei es durch Übergriffe anderer oder eigene Verfehlungen.

    Die Frage „Wer ist Schuld, der Blinde oder seine Eltern“ passt hier nicht. Introversion, Hochsensibilität, Neurodiversität, eine starke Intuition, überstimmulierbares Denken oder einfach ein hoher Intellekt, und eine wissbegierige, forschende, fragende Persönlichkeit sind keine Folgen der Sünde.

    Ein Entwurf für alle greift viel zu kurz, ist manipulativ und manchmal sogar übergriffig. Das war noch nicht so, als wir noch kein Verständnis für das Individuum hatten und der Mensch sich noch als Teil einer Gemeinschaft und nur das verstand. Doch dies ist seit der Reformation für die meisten Menschen Geschichte.

    Eine Wahrheit?

    Wir haben ebenfalls erkannt, dass, selbst wenn eine absolute Wahrheit existiert, wir sie alle anders verstehen. Wir sind alle geprägt von unserer Vergangenheit, haben unterschiedliche Persönlichkeiten, verstehen Worte ganz leicht anders, ja können nicht einmal sagen, ob wir unter gewissen Dingen überhaupt dasselbe verstehen. Oder weisst Du, ob ein anderer die Farbe rot genau so sieht und empfindet wie Du?

    Wenn wir also die Bibel lesen, ist unsere Interpretation subjektiv. Das war auch für die Übersetzer so, sonst gäbe es nicht so viele deutsche Bibelübersetzungen. Und das könnte bereits für die Schreiber und Kopierer der originalen Schriften so gewesen sein, sonst gäbe es kaum so viele abweichende griechische Texte. Sowohl die Textkritik als auch die Psychologie sagen uns also, dass unsere Wahrheit bestenfalls eine persönlich, kulturell und zeitgeschichtliche Auslegung und nicht das absolute Wort Gottes ist.

    Eine Moral?

    Drittens lehrt uns bereits die Bibel, dass Gesetze nicht funktionieren. Keiner wird gerettet durch Gesetze.

    Ja, Gesetze sind da für die Gottlosen, und insofern dürfen wir gerne dafür sorgen, dass unser Land einen Gesetzeskorpus hat, der sich an den biblischen Werten orientiert.

    Aber Gott lädt ein, er zwingt nicht. Wir können niemanden zwingen, die moralischen Standards der Bibel zu befolgen.

    Ja, für Kinder

    Wir können allerdings unsere Kinder erziehen.

    Gott selber hat das Volk Israel im alten Testament mit Hilfe des Gesetzes erzogen. Aber als die Zeit gekommen war, sandte er seinen Sohn.

    Die oben genannten Methoden entsprechen dem Denken eines Kindes. Ein Kind braucht ein Vorbild, einen Lebensentwurf, einen Rahmen, in den es sich hinein entwickeln kann.

    Ein Kind braucht die Sicherheit einer eindeutigen Wahrheit.

    Aber spätestens in der Pubertät braucht es etwas Neues: Unterstützung, um sich selbst zu finden. Erst in äusserer Schaffenskraft, dann in der Persönlichkeitsentwicklung.

    Das Menschenbild der Gemeinde ist gut für ein Kind. Die Rechtfertigung, dieses auf Erwachsene zu übertragen, wird aus dem Vers genommen: „wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“.

    Diese Überlegungen bringen mich dazu, die Gemeinde als geeignet zu sehen für Kinder und Kindgebliebene. Damit meine ich Menschen, die sich davor fürchten, den nächsten Schritt zu machen, Individuen zu werden, Menschen, die die Sicherheit einer absoluten Wahrheit, eines Gesetzes und eines vorgefertigten Lebensentwurfs brauchen, um zu überleben.

    Und diese Menschen wird es immer geben. Für diese Menschen wird die Gemeinde immer da sein. Es werden immer weniger werden, denn die Kinder der Kirchenfernen, die Altersgruppe, die ein solches Modell brauchen könnten, finden Alternativen, denn sie kennen die Gemeinde nicht.

    Entwicklung

    Erst wenn Christen neue Gefässe der Gemeinschaft wie Arbeitsgruppen, Arbeitsgemeinschaften, Selbsthilfegruppen, Meditationszirkel, Coaching und Mentoring, Communities im Internet usw. anbieten, um Gott den Menschen und den Menschen Gott nahe zu bringen, werden diese ihren Nachwuchs wieder in solche traditionellen Gemeinden schicken.

    Was sich an diesen Gemeinden ändern wird: sie werden ihre Mitglieder freudig loslassen, wenn diese sich weiter entwickeln.

    Das ist die Veränderung, die die Gemeinde durchlaufen muss, mit all den Konsequenzen auf Lehrinhalt und Methoden, die dies haben wird.

    Sind wir bereit dazu?

  • Ein Wolf unter Wölfen

    Dieser Text entstand vor einigen Jahren, und ich habe ihn auf Englisch veröffentlicht. Hier nun eine deutsche Version:

    Glaubst du, Yoda hört auf zu unterrichten, nur weil sein Schüler nicht hören will? Yoda ist eine Lehrerin. Yoda lehrt, wie Trunkenbolde trinken, wie Mörder töten.

    Yoda

    Er sagte zu ihnen: „Also ist jeder Toralehrer, der zu einem Talmid für das Königreich des Himmels gemacht wurde, wie der Besitzer eines Hauses, der sowohl neue als auch alte Dinge aus seinem Lagerraum bringt.“

    Matthäus 13:52

    Verbreite das Wort bei jeder Gelegenheit, auch wenn es nicht passend erscheint. Bezeuge diese Botschaft; schätze jeden einzelnen in Deinem Publikum sehr; achte die wahre Identität der Menschen leidenschaftlich; lehre unermüdlich.

    2. Timotheus 4:2

    Auf einem Hügel sah ein Freund eine grosse, offene Ebene, die neblig war, so dass ihm keine Einzelheiten über das, was sich in der Ebene befand, offenbart wurden.

    Gott sagte ihm: Du bist es, der schreiben wird, was auf dieser Ebene sein wird.

    Ich schreibe jetzt, was ich auf dieser Ebene sehe.

    Die Umgebung

    Am Hang des Hügels befindet sich ein Kloster, das die ganze Ebene überblickt. Es ist weiss und schon von weitem zu sehen. Es hat ein einladendes und zugleich gewagtes Aussehen. Es ist ein schwerer und heiliger Ort von großer Bedeutung, und doch einladend für die Hungrigen und Durstigen.

    Von diesem Kloster aus stürzt ein Wasserfall in das Tal der Ebene hinab. An seinem Fuss befindet sich eine Universität. Sie ist ein Ort der Bildung und doch so viel mehr, entsprechend dem Wortsinn des lateinischen Wortes universitas, das Ganzheit, das Ganze bedeutet.

    Der Fluss fließt durch den Campus und in die Ebene, hat immer mehr Arme und verwandelt die Ebene in einen Ort voller Leben und Fruchtbarkeit.

    Es gibt Dörfer und Städte an den Ufern des Flusses, die sich aus ihm speisen, und es gibt Menschen in kleinen Gruppen, die sich gegenseitig unterrichten und von anderen unterrichtet werden.

    Einige arbeiten zusammen – nicht weil sie es müssen. Die Arbeit ist weitgehend automatisiert worden, und die Menschen müssen nicht mehr für ihr Essen arbeiten. Sie arbeiten zum Vergnügen. Es geht mehr darum, eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen, als zu arbeiten, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.

    Andere spazieren einfach über die Felder, geniessen den Rasen oder marschieren durch die Wälder.

    Aber sie alle graben tiefer nach Gott.

    Und während sie gehen, leben sie, lehren sie, machen sie zu Jüngern, taufen sie, heilen sie und befreien sie. Es geschieht einfach. Es ist so natürlich.

    Größere Gruppen kommen in Städten zusammen.

    Aber an all diesen Orten wirkt jeder von seinen Stärken und Gaben aus, und so lernen alle voneinander.

    Die Menschen gehen auf die Universität, um die Wege des Lebens zu erlernen. Sie gehen weiter und werden zu Vätern für andere.

    Und einige wagen sogar den Aufstieg auf den Berg und kommen ins Kloster, um Weisheit und Offenbarung, Strategie und Wissen für die Zeit zu erlangen. Nach einiger Zeit kehren sie zur Ebene zurück.

    An den Seiten der Ebene befinden sich sanfte Ausläufer. Hinter ihnen gibt es noch andere Ebenen mit ihren Klöstern, die anders aussehen.

    Zwischen den Klöstern findet ein reger Austausch statt.

    Das Kloster

    Das Kloster sieht von aussen aus wie ein kleines Gebäude, sicherlich kleiner als es ist. Es reicht tief in den Berg hinauf, hinunter und hinein.

    Es gibt eine grosse Bibliothek mit Büchern aus allen, ja sogar aus noch kommenden Zeitaltern. Diese Bücher sind eng miteinander verbunden. Die Bücher sind thematisch geordnet, aber es gibt auch andere Ontologien, die durch farbcodierte Bänder symbolisiert werden, die Bücher verbinden, die thematisch und zeitlich weit voneinander entfernt sind.

    In der Bibliothek gibt es Arbeitsplätze mit Schreibtischen und Schreibutensilien ebenso wie Ruheplätze mit Sofas und Ledersesseln zum Ausruhen und Lesen.

    Diese Bibliothek ist die Sammlung der Weisheit Gottes, die den Menschen durch die Lehrer, die Schüler des Reiches Gottes sind, zugänglich gemacht wird.

    Es gibt einen Raum mit einem runden Tisch, wie wir ihn in mittelalterlichen Schlössern sehen. Hier trifft sich der Rat Gottes und berät seine Strategien. Jesus und seine Diener des fünffachen Dienstes sitzen dort und schreiben die Geschichten der jeweiligen Zeit auf.

    Jedes Kloster beherbergt nur eine Handvoll Menschen, hauptsächlich Propheten und Lehrer, wie es auch in Antiochia der Fall war.

    Manchmal werden einige von ihnen, die ins Kloster gekommen sind, vom Geist gesandt, um in die Ebene zurückzugehen – Apostel. In der Ebene vervielfältigen sie das, was sie im Kloster gesehen haben, und dienen den Menschen in der Ebene.

    Die Mönche

    Nennen wir die ständigen Bewohner des Klosters Mönche. Nicht, dass sie in Kutten herumlaufen und Tonsuren tragen. Aber ihr Aussehen ist sehr speziell.

    Sie sind die Wölfe und andere Tiere, die den Rat des höchsten Herrn bilden.

    Sie sind die abstrakten Denker und Verweilenden vor dem Herrn, die nicht nur sein Herz berühren, sondern bis in seine tiefsten Gedanken vordringen.

    Das Gehirn wird in der Bibel nicht erwähnt. Zumindest nicht direkt. Das Herz wird jedoch hunderte Male erwähnt. Das Herz symbolisiert das Gehirn, weil wir das Gehirn nicht spüren. Wir fühlen Schmerz im Herzen, genauso wie Wut und Angst, Freude und Liebe. Das alles geschieht im Gehirn und manifestiert sich im Herzen.

    Diese Männer und Frauen, diese Mönche sehen nicht nur die Manifestationen von Gottes Gedanken in seinem Herzen – was natürlich weit entfernt ist von einer Manifestation im natürlichen Bereich, die auf der Ebene stattfindet -, sondern sie greifen dahinter und sehen die Gedanken Gottes.

    Sie sind diejenigen, die die Geschichten über Gottes Gedanken und Absichten schreiben.

    Sie schreiben Geschichten über Männer und Frauen, die andere lehren, Geschichten zu schreiben. Sie unterrichten die Lehrer.

    Der Wasserfall

    Das Ergebnis ist der Wasserfall. Das sind die Gedanken und Emotionen von Gottes Verstand und Herz, die in die Ebene fliessen und Früchte hervorbringen sowie den Bau von Orten ermöglichen, an denen Menschen wohnen und heilen, ausgerüstet werden, reifen und gehen können.

    Der Wasserfall besteht also aus dem Wort, dem Geist und dem Blut.

    Die ersten Christen nannten sich Halacha, der Weg. Manche sahen sich als Jünger des Weges, manche nannten sich selbst den Weg. Aber welcher Weg?

    Halacha ist die Auslegung des Willens Gottes für eine bestimmte Zeit. So waren und sind sowohl die Lehre Jesu als auch die Christen die Auslegung, der Buchstabe des Willens Gottes, die Manifestation seiner Absichten in dieser Zeit.

    Das Kloster erarbeitet nicht die gesamte Halacha, denn das würde ein hierarchisches System schaffen, das von einigen wenigen Erleuchteten abhängt.

    Die Mönche entwickeln das große Bild, das von vielen ergänzt und verfeinert und von noch mehr ausgeführt wird, so dass es real, ja Wirklichkeit wird.

    Ich selbst

    Während ich meine Leinwand male und meine Geschichte schreibe, möchte ich mich selbst in dieses Bild setzen.

    So wie mein Name Ralph ist, was „ein Wolf im Rat des Höchsten“ bedeutet, sehe ich mich als Mönch im Kloster.

    Vor Jahren sah ich in einer Vision ein kleines Haus auf einer Lichtung in einem Wald. Eigentlich war das eine Umgebung, in die mich jemand versetzt hat, um ein Gedankenexperiment zu machen. Mir wurde dann gesagt, ich solle die Lichtung überqueren und das Haus betreten. Dort würde ich mein zukünftiges Ich sehen.

    Ich erwartete, dass ich meine Koffer packen würde, um zu einem weiteren Treffen und einem Dienst zu fliegen, aber als ich das Haus betrat, sah ich eine völlig andere Szene.

    In dem Haus gab es ein Wohnzimmer mit fünf Ledersesseln und kleinen Tischen neben jedem von ihnen. Auf den Tischen befanden sich Computer.

    In diesem Raum recherchierte eine Handvoll Leute in den Schriften, schrieb Artikel, gab Erklärungen ab, erarbeitete Grundsätze und entdeckte Wahrheiten für die Zeit.

    Von diesem Haus aus gingen unsichtbare Verbindungen zu anderen solchen Häusern und anderen Orten, von denen keiner in sichtbarer Reichweite lag, außer einem kleinen Dorf in der Nähe.

    Ich wusste damals, dass die Bewohner des Hauses, zu denen auch ich gehörte, das Haus oder die Lichtung im Wald nur selten physisch verließen, aber dass ihre Worte die Welt veränderten.

    Nur wenige besuchten das kleine Haus, die meisten verbrachten eine längere Zeit dort, aber nicht zu lange, um dann wieder zu gehen und nur selten zurückzukehren. Eine weitere unsichtbare Verbindung, ein weiteres lebenslanges Band wurde geknüpft.

    Dieses neue Bild erweitert den Rahmen und zeigt das kleine Haus als Kloster auf, am und im Berg des Herrn.

    Die Ebene

    Die Menschen der Ebene, wie gesagt, verfeinern und manifestieren den Willen Gottes für die Zeit.

    Hier werden Häuser gebaut, um denen zu helfen, die in Not sind. Hier entstehen all diese Pläne und Geschichten, die den Masterplan in so vielen Details zum Leben erwecken.

    Das ist der Garten, den Jesus uns anvertraut hat und für den er einige Gartenarchitekten, einige Gärtner und einige Pflanzen eingesetzt hat. Nicht in einer Hierarchie, sondern in einer perfekten Symphonie.

    Wie beim Körper gibt es keine Hierarchie, aber verschiedene Funktionen. Es gibt die Funktionen des Kopfes, die Funktionen des Herzens und die Funktionen der Bewegung.

    Man könnte das auch umformulieren und als Planen, Verbinden und Tun bezeichnen.

    Ein Körperteil

    Gott sagte mir eines Morgens, dass ich der Nervus laryngeus recurrens in seinem Körper bin. Dieser Nerv beginnt ganz in der Nähe des Gehirns, geht hinunter zum Herzen und verläuft zurück (recurrens) zum Kehlkopf, also dem Stimmapparat. Er steuert alle Muskeln des Kehlkopfs mit Ausnahme eines einzigen.

    Der Nerv spricht nicht, aber er steuert grosse Teile des Stimmsystems.

    Ich werde nicht selbst zu vielen sprechen, sondern ich werde Lehren aus dem alten und neuen Schatz anbieten.

    Ich werde die Gedanken Gottes nehmen, sie durch das Herz laufen lassen und sie an den Stimmapparat weitergeben, um Worte zu formen.

    Ich werde die Übersetzung durch den Sprachapparat vom Signal zum Ton brauchen, denn nur sehr wenige werden die Signale verstehen können.

    Wie ein Wolf, der die Schafe anheult und sie zu Tode erschreckt.

    Zeitmessung

    Dieses Thema liegt mir nun schon seit 47 Jahren am Herzen. Ich habe Teile davon mit mir herumgetragen, seit ich mit sieben Jahren Christus zum ersten Mal begegnet bin. Es war nicht von Dauer, und ich brauchte mehrere Anläufe, um mich für immer mit ihm zu verbinden, und das Bild war sehr beängstigend, aber auch mit einem breiten Pinsel gemalt zu dieser Zeit. Aber ich habe mich immer als schwarzen Panther, als Eule oder als Wolf gesehen, teilweise inspiriert durch das Dschungelbuch. Bei allen drei Figuren geht es um Weisheit und Ratschläge.

    Viele Jahre lang habe ich dann versucht, mich und meine Botschaft, insbesondere meinen Vortragsstil, auf ein schafsartiges Blöken umzustellen. Es klang immer wieder wie der Wolf in der Geschichte mit den sieben Geisslein. Ich ass Kreide, um meine Stimme sanfter zu machen, und verlor dadurch meine Identität.

    Alle dachten, ich hätte es auf sie abgesehen – entweder auf ihre Position oder auf ihre geliebte Doktrin.

    Ich habe so verzweifelt versucht, ein Schaf zu werden, dass ich für eine Weile allen Mut und die Weisheit eines Wolfes verloren habe. Und ich war ein sehr schlechtes Schaf.

    Einige Eigenschaften eines Schafes habe ich mir angeeignet. Treue ist eine von ihnen.

    Es dauerte eine Weile – eine ziemlich lange – bis ich sowohl den Wunsch, ein Schaf zu sein, als auch die Frustration hinter mir lassen konnte, weil es mir nicht erlaubt zu sein schien, ein Wolf zu sein.

    Doch ich bin ein Wolf. Und ich kann es nicht leugnen, genauso wenig wie ich aufhören kann, Lehrer zu sein.

    Diese neue Ära, diese neue Freiheit, mein eigenes Bild zu malen, wird dazu führen, dass ich der Wolf werde, der ich sein soll. Ich werde mein Rudel finden und mich treu an sie binden, um den Rat des höchsten Herrn aufzubauen. Ein Wolf unter Wölfen.

  • Philia Sopia und Philia Nikia

    Es gibt zwei grundlegende Motivationen für den Dialog: die Liebe zur Weisheit (Philia sophia) und die Liebe zum Sieg (Philia nikia).

    Diese Motivationen wurden über Jahrhunderte hinweg strategisch entwickelt und in vielen Formen verwendet, um entweder Argumente zu gewinnen oder Weisheit zu erlangen. Ich bin sicher, Sie können erkennen, welche zu welchem Ergebnis führen wird.

    Ich habe festgestellt, dass diese Denkweisen verschiedene Schlüssel zum Verständnis der Bibel sind, oder besser gesagt, sie führen zu zwei absolut unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Interpretationen der Bibel.

    In der Kabbala ist das oberste Prinzip Weisheit, so dass man argumentieren könnte, dass Philia Sophia der Suche nach Wachstum und Gott als Quelle ähnelt. Ich definiere Weisheit jetzt einmal so, obwohl mir bewusst ist, dass Weisheit heute, aber auch schon bei den Griechen etwas anders gedeutet wurde.

    Aber wie würde eine Bibel-Interpretation mit Philia Nikia aussehen? Sie können es sehen, wenn Sie einen Pastor sagen hören: „Ich habe das Ende des Buches gelesen, und weisst du was? Wir gewinnen!“

    Eine Philia Nikia-Interpretation wird die Bibel als den Kampf zwischen Gut und Böse, richtig und falsch betrachten, und sie wird viel Zufriedenheit und Trost aus der Aussicht auf Rechtschaffenheit ziehen.

    Gewinnen wie in Philia Nikia beinhaltet immer das Verlieren. Es basiert immer auf einer dualistischen Denkweise, die im Muster „wir gegen sie“ denkt. Die typischen Kategorien wären stark und schwach, gerettet und verloren, Erfolgreiche und Verlierer, tolerant und intolerant.

    Die Liebe zur Weisheit denkt nicht in diese Richtung. Aber ja, im Laufe der Geschichte war Dualismus das treibende Weltbild.

    Auch in Zeiten des Dualismus war die Liebe zur Weisheit immer offen, um zuzuhören, korrigiert zu werden, zu wachsen und sich zu verändern. Die Liebe zur Weisheit ist daher eine wichtige Kraft in der Entwicklung von Mensch und Menschlichkeit gegenüber der Vision, die Gott für uns hat.

    Im Dualismus wurde die Liebe zur Weisheit aufgrund der etablierten Rahmenbedingungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, war doch das vorherrschende Weltbild eher der Liebe zum Gewinnen verbunden.

    Dies gilt insbesondere, weil die Liebe zur Weisheit auf kurze Sicht immer gegen die Liebe zum Gewinnen verliert. Dies kann auf zwei Arten geschehen: Entweder überwältigt der Anhänger der Philia Nikia die anderen durch schiere Machtdemonstration, oder die Frustration der Situation lässt mich selbst auf die Methoden der Philia Nikia zurückgreifen.

    Das können wir im anhaltenden Kulturkrieg zwischen Tradition, Moderne und Postmoderne sehen. Die Postmoderne hat Harmonie als Ideal und sucht nach einem Konsens, um die Probleme zu lösen, mit denen sie konfrontiert ist, opfert aber ihre Liebe zur Weisheit wegen der wahrgenommenen Dringlichkeit dieser Probleme und der beobachteten mangelnden Bereitschaft anderer Wertmeme, ihren Begriff der Weisheit anzunehmen.

    Dasselbe gilt für jede dualistische Weltanschauung. Modernisten glauben, dass Weisheit in den Märkten und im individuellen Verdienst liegt, und gehen in die Schützengräben, wenn sie sehen, wie Postmodernisten und Traditionalisten Märkten und Individuen aus verschiedenen Gründen Einschränkungen auferlegen.

    Und wir alle wissen, dass der Traditionalismus Apologetik erfunden hat, die ultimative Form von Philia Nikia (abgesehen vielleicht vom „Kopf ab“ vor-rationaler Weltbilder), ein Werkzeug, um jemandem zu beweisen, dass er falsch liegt, um damit zu gewinnen. Ein Instrument, von dem ich sagen würde, das es nicht mit dem Geist des neuen Testament übereinstimmt, die andere Wange hinzuhalten, aber eingesetzt wird, um gerade die Gültigkeit dieses neuen Testaments zu beweisen.

    Schlage ich hier vor, dass alles wahr, gültig, erstrebenswert sei? Was in allem, was ich gesagt habe, würde dich dazu bringen, das zu denken? (Paulus war freundlicher in seiner Antwort, als er sagte: auf keinen Fall.)

    Ich schlage Dialog, die Suche nach Lösungen, die Einbeziehung anderer Ansichten und Meinungen vor. Ich schlage Non-Dualismus vor, der sich nicht in Form von Kompromissen zeigen kann, sondern zusammenwächst und den anderen liebt. Dies kann unsere Problemlösung verlangsamen, da wir den anderen weder durch Gewalt noch durch Mehrheitsentscheidungen niederfahren können. Aber es wird Wachstum und eine lebenswerte Welt hervorbringen.

    Und am Ende wird die Liebe gewinnen. Die ultimative Form von Philia Nikia ist die beste Interpretation des letzten Kapitels der Offenbarung. Es muss kein „wir gegen sie“ geben, weil es kein „sie“ gibt. Die Grenze zwischen Liebe und Angst geht durch das Herz jedes Menschen, und Liebe vertreibt Angst.

  • Was willst Du?

    Jesus schaute sich um und sah, dass sie ihm folgten. »Was wollt ihr?«, fragte er sie.

    Johannes 1:38

    In seinem Dienst stellte Jesus immer wieder essentielle Fragen. Hier ist es die Frage „Was willst Du?“, die er später auch Kranken und Blinden stellte. Sie ist absolut grundlegend und wohl nicht umsonst die erste Frage, die Jesus laut den Evangelien in seinem Dienst stellt.

    Was willst Du?

    Ich habe mir diese Frage in letzter Zeit sehr häufig gestellt.

    Natürlich gibt es auf diese Frage Tausende von oberflächlichen Antworten, wie „das neueste iPhone“, aber auch sehr existenzielle, wie „zwei Mahlzeiten am Tag“.

    So wird die Antwort auf diese Frage anders ausfallen, je nachdem, wie unsere Situation und unsere Weltanschauung es erlauben oder fordern.

    Schauen wir uns meine Situation einmal an. Übrigens mache ich das nicht als Nabelschau oder aus narzisstischen Gründen. Ich möchte durch Offenheit dazu anregen, dass Du dasselbe für Dich machst. Ich bin hier nicht wichtig.

    Wie ich schon ein paar mal beschrieben habe, hat sich mein Leben so vor 5 Jahren ziemlich geändert. Zuerst wurde ich von sensorischer Unterfunktion geheilt. Ich konnte wieder schmecken und riechen, mein Tastsinn wurde besser, die Barriere zwischen meiner Aussenerfahrung und meinem Innenleben wurde dünner.

    Das führte auch dazu, dass ich Emotionen und Gefühle direkter in Echtzeit wahrnahm. Bis dahin war da oft eine Verzögerung und ich erlebte Gefühle erst, wenn ich Zeit und Einsamkeit zur Verfügung hatte, um sie zu verarbeiten. Es führte auch zu temporären sensorischen Reizüberflutungen, einer Überforderung ob all der Eindrücke.

    Zu der Zeit kamen diese existenziellen Fragen auf: Wer bist Du? Was willst Du?

    Kurz darauf wurde bei mir Krebs diagnostiziert und ich hatte eine Operation, Bestrahlung, und immer wieder bildgebende Untersuchungen. Die Krebsmarker blieben hoch, auch wenn nichts mehr sichtbar war. Meine Endlichkeit wurde mir vor Augen geführt, und das verstärkte die Dringlichkeit dieser Fragen.

    Ich begann mich über verschiedene Werkzeuge besser kennen zu lernen. Dazu gehört in erster Linie das Lesen der Bibel und das Gebet, und zusätzlich Persönlichkeitstests wie CliftonStrengths und das Enneagramm und Spiral Dynamics, welches mir verdeutlichte, mit welcher Brille ich die Welt betrachte.

    Mir wurde klar, dass ich über mehr als dreissig Jahre hauptsächlich die Frage zu beantworten suchte: Was wollt Ihr von mir?

    Dass dies mindestens suboptimal ist, war mir eigentlich klar. Manche nennen es Menschenfurcht, und Anfangs war dies sicher ein grosses Problem für mich. Allerdings veränderte sich die Motivation immer mehr zu einem ganz anderen Aspekt, der meiner Persönlichkeit wesentlich mehr entspricht als Menschenfurcht: das Bedürfnis, meinen Anteil am Gesamtbild zu leisten.

    Und gerade dabei ist ja die Frage „Was willst Du?“ unablässig.

    Ich könnte die Frage umformulieren: „Was will Jesus von mir?“. Das wäre doch wesentlich treffender für einen Christen, oder nicht?

    Warum hat dann Jesus die beiden Jünger des Johannes und die Kranken und Blinden gefragt, was sie wollten? Wenn sein Wunsch das eigentliche Ziel war, dann hätte er es ja wohl gewusst.

    Natürlich weiss Jesus, was er für uns will. Er weiss auch, wann wir dazu bereit sind. Aber wissen wir es?

    Es geht nicht einmal so sehr um das Wissen – da würde es ja genügen, wenn er es uns sagen würde und wir es gehorsam annehmen. Es geht viel mehr um den Prozess.

    Lasst mich noch etwas klarstellen: alle Werkzeuge, die ich hier nenne, sind nicht mehr als das – Werkzeuge, Hilfsmittel. Alle Modelle sind falsch, aber manche sind nützlich, hat der englische Statistiker George Box gesagt.

    In diesem Sinne: das Enneagramm hat mir verdeutlicht, dass wir schon sehr bald nach unserer Geburt eine Überlebensstrategie adoptieren, welche uns erlaubt, von unserer Umgebung das zu erhalten, was wir brauchen: Liebe, Wärme, Anerkennung, Zeit, Fürsorge. Welche Überlebensstrategie wir dazu wählen, hängt von unserer Persönlichkeit und unserer Umgebung ab.

    Erst als Erwachsene dient uns diese Überlebensstrategie immer weniger. Unsere Weltanschauung hat sich verändert, genau so wie unsere Umgebung und unsere Ansprechpartner. Aber auch unsere Bedürfnisse sind nun schwerpunktmässig andere.

    Mir ist es nicht so wichtig, dazuzugehören. Das macht mich viel weniger anfällig für Menschenfurcht als andere. Mir ist es wichtig, meine Begabungen, meine Erkenntnis, meinen Anteil an der Menschheit zu teilen und jeden davon profitieren zu lassen.

    Ich habe einen Wert, der mich schon seit frühen Jahren begleitet: wenn jemand etwas weiss, dann soll er es teilen. Ansonsten muss das Selbe ständig wieder entdeckt und durchlebt werden.

    Daher habe ich, auf eine ganz verquere Art, die Frage von „Was will ich“ zu „Was wollt Ihr von mir“ geändert. Ich habe gemerkt, dass mein Gegenüber normalerweise überflutet und überfordert ist von der Menge an Gedanken, Wissen, Fragen und Zusammenhängen, die ich liefere. Daher wollte ich wissen, was andere wollten. Es war oft enttäuschend banal.

    Ich möchte bereitstellen. Mein ganzes Berufsleben wollte ich meine analytischen Fähigkeiten bereitstellen, um die Probleme meiner Kunden mit Informatik zu lösen.

    Mein ganzes Christenleben unterdrückte ich den Wunsch, meine Gaben anderen Christen zur Verfügung zu stellen. Weil niemand sie wollte.

    War es arrogant von mir, dass ich Software schreiben wollte, die die Probleme lösten, die der Kunde hatte, und nicht die Probleme, die der Kunde zu haben glaubte?

    Mehrere Male in meiner Karriere kamen Kunden nach Jahren auf mich zurück und erzählten mir, wie sehr ihnen meine Software geholfen hätte, oder wie sie jetzt mit den Problemen kämpften, die ich bei ihrer pragmatischen Lösung vorausgesehen hätte.

    Ist es arrogant von mir, wenn ich nicht predige, was die Menschen verlangen, sondern was ich mit Gottes Hilfe als zukunftsweisend und hilfreich erachte?

    Ich möchte auf keinen Fall die Weisheit dieser Welt über die Weisheit der Bibel oder Gottes stellen, noch meinen Verstand.

    Ich möchte mit dem Denken Christi, welches uns Paulus zuspricht, anderen helfen, und ich erwarte nicht weniger von ihnen – auf ihrem Gebiet. Der Eine hilft praktisch, der Andere finanziell, der Dritte mit seinen künstlerischen Gaben. Und so viel mehr, in einer Vielfalt, wie nur Gott sie schaffen konnte.

    Warum also fragt uns Jesus: Was willst Du? Damit wir unter all dem Angehäuften unserer Überlebensstrategie entdecken, wofür er uns geschaffen hat.

    Meine Suche ist noch nicht abgeschlossen. Johannes der Täufer hatte seine Antwort gefunden: der Wegbereiter zu sein für den Messias. So konnte er seine Jünger loslassen, als sie zum Messias gingen, und selber akzeptieren, dass sein Dienst getan war. Er musste abnehmen, damit der Messias zunehmen konnte.

    Wir aber nehmen die Aussage des Johannes und wollen abnehmen, bevor wir uns überhaupt Gedanken darüber machen, wofür wir auf Erden sind.

    Hast Du das Ziel erreicht, das erlangt, was Du willst? Dann kannst Du abnehmen zu Gunsten dessen, der ab jetzt übernimmt. Und dann ist jetzt vielleicht die Zeit, noch einmal zu fragen: Was will ich?

  • Mein Orchester

    Für eine Zeit wie diese.

    Esther 4:14

    Was gerade geschieht ist nicht das, was die meisten erwarten. Was sie erwarten liegt lange zurück und wird wieder sein. Dies ist Teil davon, aber es ist nicht Es.

    Erwarte keine Veränderung, sondern suche, Dich zu verändern. Es geschieht nicht da draussen, sondern in Dir.

    Die Gemeinde, wie Du sie kennst, wird zerstört, wenn sie wird sich verändert hat am Ende dieses Zeitabschnitts.

    Der Leiter, den Du ehrst oder hasst, war mein Werkzeug in all dem. Ist er mein Auserlesener für diese Zeit? Wen kümmert’s?

    Ich liebe die Menschheit und die Schöpfung, und darum werde ich mit meinem Plan Erfolg haben, inmitten von freiem Willen, Lügen und schlechten Entscheidungen.

    Ich liebe Individuen, und darum orchestriere ich eine Symphony der Liebe, die manchmal recht schräg tönt und ausser Takt.

    Ich liebe meine Gemeinde. Ich möchte, dass sie mein Orchester wird, mit vielen Instrumenten, die ihren Part im himmlischen Rhythmus spielen.

    Wieder werde ich mit der himmlischen Drei arbeiten: Drei Schritte werden es sein:

    Erstens: lasst Euch von dem Musikstück ergreifen, das ich gerade jetzt in Euren Herzen spiele – wer da Ohren hat zu hören, der höre.

    Zweitens: übt Euren Part. Findet Eure Instrumente und übt diese Linie da in Takt 38, und lernt die Struktur des Stücks mit der Rückkehr zur Dominante in Takt 52.

    Aber zuletzt, vergesst die technisches Details und fühlt einfach die Musik, wenn Ihr sie zusammen mit uns allen spielt.

    Geniesst diese Zeit der Langsamkeit, nehmt Euch die Zeit, aber erinnert Euch daran: es kommt die Zeit, bereit zu sein. Nicht wofür die meisten erwarten. Nur um meine Musik zu spielen, mein Orchester.

    Ich habe diese Musik für eine Zeit wie diese geschrieben, und sie wird ihre Uraufführung bald erleben. Ich werde es keinem anderen erlauben, sie zu dirigieren, und es wird keine erste Geige geben, die den Ton angibt.

    Die Schöpfung, die Planeten, die Steine, meine Getreuen, und sogar die, welche von den meisten die Verlorenen genannt werden, werden ihren Part spielen – gemeinsam, aber nicht uni sono, mit Harmonie und Dissonanz, Allegro und Piano-Piano.

    Es wird kein Marsch, denn es ist nicht die Zeit für Armeen. Es wird ein Tanz, mein Orchester. Bereitet Euch darauf vor, mit dem himmlischen Arrangement und der Choreographie zu fliessen.

    Wir spielen gerade die letzte Note des früheren Stücks, und es ist eine Fermate. Ich habe meinen Dirigentenstock immer noch in der Schwebe, also haltet die Note, aber erwartet, dass ich das Ende mit einer Drehung meiner Hand anzeige wie ein Wirbelwind.

    Die meisten in meinem Orchester sind noch damit beschäftigt, ihre eigene Musik zu spielen, unter der Leitung derer, die immer noch daran glauben, dass es eine tonangebende erste Geige braucht, oder die mein Dirigentenpult selber eingenommen haben.

    Ich höre diese Kakophonie von Märschen und House und Techno und Pop und Volksliedern und Schlagern. Sie nennen es Anbetung, aber wen beten sie an? Wirkliche Anbetung ist es, einzustimmen in meine Musik, die ich für diese Zeit geschrieben habe, und nicht, die Melodien längst vergangener Zeiten zu verlängern.

    Ich händige die Notenblätter jetzt aus, und lasse Euch das Stück hören, damit Ihr davon ergriffen werdet, es nicht mehr lassen könnt. Vergesst alle andere Musik, vergesst alle anderen Aktivitäten. Badet einfach in meiner Musik, und dann, übt, damit Ihr bereit seid, wenn die Vorstellung beginnt.

    Ich liebe Euch, mein Orchester.