Kategorie: Väter und Söhne

  • Mentoring

    Ich schreibe euch Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist.

    1. Johannes 2:13 (Lutherbibel (2017))

    Ein grosses Thema in gewissen Kreisen der Kirche ist Mentoring, meist geistliche Vaterschaft genannt. Hier eine kleine Aufarbeitung dazu.

    Ich möchte drei Beispiele nennen, alle nicht aus dem christlichen Bereich.

    Henry David Thoreau, der amerikanische Dichter und Schriftsteller, hat in Ralph Waldo Emerson einen Mentor gefunden, der ihn unter seine Fittiche nahm. Emerson engagierte ihn sogar als Hauslehrer für seine Kinder und führte ihn in seinen Kreis von Künstlern und Philosophen ein.

    Als Thoreau aber die Notwendigkeit sah, einen, wie wir heute sagen würden, minimalistischen Lebensstil in der Abgeschiedenheit seiner Hütte zu leben, liess ihn Emerson gehen, ohne die Beziehung aufzugeben.

    Diese Beziehung war fruchtbar, und Thoreaus Werk kaum möglich ohne das Mentoring, das er von Emerson erhalten hatte, und den Halt, den er aus der Beziehung zog.

    Ganz anders war die Beziehung zwischen Vinzent Willem van Gogh und Gaugin. Van Gogh wurde sozusagen als Ersatz seines totgeborenen Bruders geboren und erhielt auch dessen Namen. Er hatte sein Leben lang Schwierigkeiten, seine Identität zu finden, und er war mehr als froh, als ihn Gaugin unter seine Fittiche nahm.

    Anders als Emerson aber reklamierte Gaugin alle Erfolge van Goghs als die Resultate seiner Schulung, und als van Gogh sich künstlerisch emanzipierte, hielt Gaugin ihn dadurch klein und abhängig. Die Beziehung der beiden war hierarchisch. Als van Gogh auf dem Land eine Schule eröffnete, war nicht er der Leiter, sondern Meister Gaugin.

    Die dritte Mentorbeziehung, auf die ich kurz eingehen möchte, ist die Beziehung zwischen Calr Gustav Jung und Sigmund Freud. Freud war Jungs Mentor, bis die beiden sich inhaltlich zerstritten. Eine Krise folgte für Jung, aus der er gestärkt und eigenständig herauskam, obwohl er sich von Freud trennen musste.

    Wir haben hier drei Verläufe:

    • positives Mentoring, bei dem der Mentor das Wachstum und den Weggang des Schützlings unterstützte.
    • negatives Mentoring, wo der Mentor allen Erfolg für sich beanspruchte und den Schützling nicht wachsen lassen konnte, was zur Selbstverstümmelung und zum Selbstmord des Schützlings führte.
    • Mentoring, das zerfiel und so den kreativen Prozess und das Wachstum beim Schützling auslöste.

    In hierarchischen Systemen wird Mentoring leider oft gehandhabt wie zwischen van Gogh und Gaugin.

    In Systemen mit einer absoluten Wahrheit ist die Folge des Wachstums des Schützlings oft, dass die Beziehung zerbricht und erst dadurch weiteres Wachstum möglich wird.

    Ganz selten finden wir Mentoringbeziehungen wie zwischen Thoreau und Emerson.

    Van Gogh war überzeugt, in seinem Mentor eine wohlwollende Person gefunden zu haben. Seine Identitätsschwierigkeiten waren sehr einfach auszunützen.

    Oft allerdings ist es nicht die fehlende Identität, sondern gerade die Erstarkung dieser Identität, die zum Bruch führt. Es braucht einen selbstsicheren Mentor ohne Minderwertigkeitskomplexe, damit ein Schützling seine Identität entwickeln kann. Ansonsten erwartet der Mentor vollständige Unterordnung und wünscht sich eine Kopie seiner selbst.

    Letzteres wird er aufs heftigste Verneinen, und gleichzeitig mit dem Hinweis auf Paulus fordern: Imitiert mich, hat Paulus gesagt.

    Jedes Gespräch wird damit beginnen, dass der Schützling an seine Schwächen oder Fehler erinnert wird, um die Hierarchie zu festigen. Dann wird immer wieder darauf hingewiesen, wieviel man bereits für den Schützling getan hätte, und wo er ohne den Mentor wäre.

    Doch nennen wir es beim Namen. Das ist kein Mentoring, das ist Missbrauch.

    Ich selber hatte einen Vater, der uns verliess, als ich das Wort Nein aussprechen konnte. Er war zwar physisch noch da, lebte aber sein eigenes Leben. Als ich 13 war, ging er tatsächlich weg.

    Später kam ich in ein katholisches Internat. Die Patres hiessen zwar Väter, waren es aber nicht.

    In meinem Auslandjahr erlebte ich einen Gastvater, der mich ausschloss aus seiner Familie, weil ich nicht seinen Regeln folgte, einen, der sich selbst aus der Familie ausgeschlossen hatte, weil sie ihn hassten, und einen, der mich liebte, aber die Beziehung zerfiel, als er sein Coming Out hatte.

    Als ich mich entschloss, meinen Pastor zu fragen, ob er mein geistlicher Vater würde, tat ich dasselbe, was van Gogh mit Gaugin tat. Heute bin ich überzeugt, dass Väter Söhne zeugen, nicht Söhne Väter auswählen, aber auch, dass die Hierarchie auf diese Beziehung keinen Einfluss haben sollte. Man sollte sich nicht einen Mentor aussuchen, der gleichzeitig das Gefühl hat, der Vorgesetzte zu sein.

    Ich hatte das Bedürfnis nach einer väterlichen Stimme und Stütze, und die Lehre in der Gemeinde war, dass, wer wirklich vorankommen wollte mit Gott und es Ernst meinte mit dem Glauben, jemanden hätte, der „in sein Leben sprechen dürfte“.

    Ich erlebte eine Mentoringbeziehung, wie sie van Gogh erlebte. Zum Glück erlebte ich auch den Streit, den Jung mit Freud hatte, und ich glaube, dass ich stärker und freier aus der Sache raus kam.

    Jung war Persona non grata in der Psychoanalyse nach diesem Vorfall. Genauso fühle ich mich, ausgeschlossen von der Gemeinde, meiner Beziehungen beschnitten, und kein Wort mehr von meinem Mentor. Funkstille bis auf wenige Kontakte mit Menschen, die vorher schon selber auf der Kippe standen.

    Doch über die Jahre zeigte sich der Beitrag von Jung. Ich hoffe, ich habe noch die Zeit, die Kraft, die Gesundheit, und die Energie, meinen Dienst auf Erden zu vervollständigen.

    Mentoring ist eine wertvolle Sache, wenn es funktioniert. Aber es beinhaltet keine Hierarchie, keine Verdienste, keine Bedingungen, keine Rechte von Seiten des Mentors. Es ist ein Dienst.

    Ich wünsche einem jeden einen Ralph Waldo Emerson. Seit ich um seine Geschichte mit Thoreau weiss, bin ich stolz, denselben Vornamen zu tragen. Vielleicht darf ich ja für jemanden ein echter Emerson werden.

  • Geistliche Vaterschaft

    Ich schreibe an Timotheus, der mir ein richtiger Sohn geworden ist, weil ich ihn zum Glauben geführt habe. Gnade, Erbarmen und Frieden sei mit dir von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

    1. Tim 1:2

    Ich habe bereits viel über geistliche Vaterschaft geschrieben. Es ist Zeit, einen weiteren Blick auf dieses Modell zu werfen.

    Geschichtliche Verankerung

    Geistliche Vaterschaft wird von verschiedenen Geschichten in der Bibel abgeleitet. Es sind dies hauptsächlich Elia und Elisa sowie Paulus und Timotheus oder Titus.

    Elia beruft Elisa zu seinem Nachfolger. Später lernen wir, dass Elisa 20 Jahre lang Wasser über die Hände von Elia gekippt hat, das heisst, er hat ihm gedient. Erst nach dem Tod Elias erhielt Elisa von Gott die doppelte Salbung seines Vorgängers. Und erst Jahre später hören wir, dass er von den Autoritäten als Prophet anerkannt wurde.

    Paulus lernt Timotheus auf einer seiner Reisen kennen und nimmt ihn noch als Knaben mit sich. Timotheus ist also irgendwo zwischen 13 und 30 Jahre alt, als ihn Paulus kennenlernt, wohl eher am jüngeren Ende des Spektrums. Paulus führt ihn zum Glauben, attestiert aber seiner Mutter und Grossmutter bereits einen starken Glauben.

    Zu jener Zeit war die Bekehrung eine Sache des ganzen Hauses, nicht des Individuums. Bekehrte sich das Oberhaupt des Hauses, waren alle Christen. Was bedeutet das für die Aussage in unserem Vers, dass Paulus Timotheus zum Glauben führte? Hier sind mehrere spekulative Interpretationen möglich:

    • Timotheus‘ Vater hat sich nicht bekehrt. Daher wurde auch nicht er, sondern Mutter und Grossmutter als Vorbild genannt. Somit gilt Timotheus nicht als Christ.
    • Es geht hier um einen eigenständigen Glauben des Timotheus, der auch fern des Elternhauses überlebt.
    • Die Phrase „Glaubenskind“ spricht nicht von einem Bekehrungserlebnis, sondern von der Beziehung, die Paulus mit Timotheus hatte.

    Persönlich neige ich zu letzterem, und daraus leitet sich auch die Lehre der geistlichen Vaterschaft ab.

    Es ist so, dass viele Menschen geistliche Vaterschaft definiert sehen als Beziehung zu dem Menschen, der sie zum Glauben führte. Andere jedoch betonen, ausgehend auch von der Aussage des Paulus, dass wir viele Leiter, aber wenig Väter hätten, dass es um eine andere Beziehung ginge.

    Doch zuerst, warum nehme ich an, dass die ersten beiden Varianten eher unwahrscheinlich sind?

    Die Bibel kennt eigentlich keine Abhängigkeit meines Glaubens von der Familie. Richtig, wenn das Oberhaupt sich bekehrte, galt das Haus als christlich, denn dieser Glaube wurde von nun an im Haus gelebt. Jesus aber sprach selbst davon, dass er kam, um das Schwert zu bringen. Väter und Kinder würden sich entzweien. Timotheus war nicht Heide, nur weil sein Vater Heide war.

    Auf der anderen Seite war der Begriff des Individuums noch nicht geboren. Man war, was die Gemeinschaft, die Familie war, in der man sich befand. Darum war es notwendig, dass Timotheus beschnitten wurde. Er wurde von allen als Grieche, als Heide gesehen wegen seiner Abstammung, vor allem von den Juden.

    Insofern machte Timotheus tatsächlich einen Schritt in die Unabhängigkeit, in seine eigene Glaubensgeschichte, als er das Vaterhaus verliess, und sich einer neuen Gemeinschaft anschloss: der Reisegemeinschaft des Paulus. Und Paulus war der Patriarch dieser Gemeinschaft, definierte also ihren Glauben.

    Damit führen uns alle drei Punkte auf eine Beziehung hin: Timotheus verliess sein teilweise heidnisches, teilweise jüdisches Zuhause, seine glaubensmässig gespaltene Familie, und ging mit Paulus mit. Paulus investierte sich von nun an in Timotheus wie in einen Sohn.

    Titus scheint älter gewesen zu sein, als er zu Paulus stiess, und wir wissen wesentlich weniger über ihn und seine Beziehung zu Paulus. Wir wissen, dass Titus Grieche war, mit Paulus reiste, ihn später immer wieder aufsuchte, und dass er sich nicht beschneiden liess. Titus wird im Brief, den Paulus an ihn schrieb, auch Glaubenskind genannt. An anderen Stellen nennt ihn Paulus Bruder.

    Kind meines Glaubens

    Doch sehen wir uns diese Klausel „Kind meines Glaubens“ etwas näher an.

    Wir übersetzen pistis mit Glauben. Im Englischen werden dafür zwei Worte verwendet: faith und belief. Dabei bedient sich jeder Übersetzer, je nach seiner eigenen Theologie, an verschiedenen Stellen des einen oder anderen Wortes. Das zeigt uns, dass das Wort bereits sehr stark theologisch geprägt wurde.

    Wie stark? Könnte es sein, dass unsere Theologie sogar alttestamentlich geprägt ist und wir deshalb bei „Kind meines Glaubens“ sofort an richtigen und falschen Glauben denken, an die Übereinstimmung der Lehre und des Inhalts sowie der Formen und der Handlungen?

    Im alten Testament ging es um die Befolgung des Gesetzes in äusserlichen Handlungen, von denen man glaubte, dass sie Ausdruck der inneren Haltung seien. So wurde das Gemeinschaftsleben, das Leben des Einzelnen, und der Gottesdienst stark reglementiert.

    Die Geschichte Davids aber zeigt uns auf, dass nicht die Handlungen, sondern die Herzenshaltung wichtig sind. Paulus macht uns auch klar, dass das Gesetz uns nicht dahin geführt hat, eine gute Beziehung zu Gott aufzubauen. Keiner konnte es erfüllen.

    Eine der besten Begründungen für das Gesetz, welche ich gehört habe, lautet so:

    Gott sah, dass sie es so haben wollten, und darum liess er es zu, um ihnen aufzuzeigen, dass es so nicht funktioniert.

    Jesus zeigte uns auf, dass nicht die äusserliche Befolgung des Gesetzes wichtig war, sondern die innere Motivation, die dahinterstand.

    Wenn wir pistis mit Glauben übersetzen, stehen wir in der Gefahr, nicht mehr die Tätigkeit des Glaubens zu sehen, sonder das Glaubenssystem, nicht mehr die Motivation, sondern das Gesetz.

    So sehen wir in der Klausel „Kind meines Glaubens“ jemanden, der genau das Gleiche glaubte wie Paulus. Es geht um das Glaubenssystem des Paulus, welches dem Timotheus und dem Titus übergestülpt wurde. Die Beiden liessen sich willig darauf ein, sich extern bestimmen zu lassen.

    Wenn wir aber das Wort pistis als Tätigkeit sehen, ergeben sich zwei total andere Aspekte:

    Erstens wird die Investition sichtbar, die Paulus gemacht hat. Er hat für die Beiden und an die Beiden geglaubt. Und sie haben zweitens ihm geglaubt.

    Es geht um eine Vertrauensbeziehung. Pisteo, das Verb, von dem pistis abgeleitet ist, heisst überzeugen. Überzeugen kann ich durch Argumente, durch Vertrauen, durch Vorleben.

    Wenn Jesus sagt, dass er nichts tue, was er nicht den Vater tun sehe, dann kann die Motivation dafür sklavischer Gehorsam oder absolutes Vertrauen sein. Welches von beidem entspricht der Botschaft des Evangeliums mehr?

    Doch jetzt wird es interessant. Wenn die Klausel „Kind meines Glaubens“ also besser mit „Kind meines Vertrauens“ und nicht mit „Kind meines Glaubenssystems“ übersetzt wird, wer vertraut den nun?

    Es ist Paulus, der Vertrauen investiert. Natürlich wird dieses Vertrauen durch die Antwort darauf auch wieder genährt oder enttäuscht. Das Verhalten von Timotheus und Titus ist also wichtig, aber ausschlaggebend ist die Investition des Paulus.

    Paulus vertraut den Beiden, weil er sich in sie ausgegossen hat, und weil sie sich seines Vertrauens würdig erwiesen haben. Nicht, weil sie das Gleiche glaubten wie er. Nicht, weil sie sklavisch gehorsam waren und keine Fehler machten.

    Sehen wir dazu auch Jesus an. Er hinterliess einen unfertigen, fehlerbehafteten, ängstlichen und verängstigten Haufen. Er vertraute ihnen die Zukunft der Gemeinde, der Menschheit, der Schöpfung an. Er schenkte ihnen den Heiligen Geist, der sie leiten sollte. Auch hier zeigt sich sein Vertrauen, denn er wusste um unsere Schwierigkeiten, den Heiligen Geist wahrzunehmen unter all den anderen Stimmen und ihm zu vertrauen.

    Jesus heisst auch Ewigvater. Und doch nennt er uns Brüder, Schwestern, Mütter. Er sagt zum Vater, dass dieser ihm die Jünger anvertraut hätte. Und wieder finden wir das Wort Vertrauen.

    Kinder sind uns anvertraut. Sie gehören uns nicht. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist eine Vertrauensbeziehung, bei der Gott als Erster Vertrauen investiert, indem er uns seine Kinder anvertraut. Es geht nicht in erster Linie um Besitz oder Gehorsam. Es geht um Vertrauen.

    Weil Gott uns vertraut, investieren wir Vertrauen in andere, speziell unsere Kinder. Natürlich geht es dabei um ein wachstümliches, stufengerechtes Vertrauen.

    Wachstümliches Vertrauen

    Ich wurde vor ein paar Tagen zum zweiten Mal Grossvater. Nach unserem Enkel Caleb haben wir nun eine geliebte Prinzessin Amaeya Zadie.

    Sogar im Vergleich zu ihrem Bruder ist die Kleine absolut hilflos. Im Gegensatz zu manchem Tierkind braucht sie die Pflege und Unterstützung ihrer Eltern für eine lange Zeit. Während dieser Zeit lernt sie mehr und mehr, sich dem Leben selber zu stellen, und wird unabhängiger, aber nie total unabhängig.

    Was lernt ein Kind, ein Mensch denn so in seinem Leben?

    Während der ersten Zeit seiner Entwicklung ist Amaeya sehr verletzlich. Sie braucht ein sicheres Umfeld von Menschen, die sie bedingungslos lieben: die Familie und den erweiterten Stamm. Sie kann ja erst rudimentär kommunizieren – hauptsächlich durch Geschrei – und es braucht viel Zeit und Gemeinschaft, damit sich die Kommunikation entwickelt. Erste Gesten, Verhaltens- und Ausdrucksweisen bedürfen einer tiefen Beziehung, damit sie überhaupt verstanden werden.

    Zusätzlich kann Amaeya die Welt noch nicht erobern, ist sie doch noch nicht fähig, sich fortzubewegen.

    Aber als erstes ist es wichtig, dass sie überhaupt lernt, dass es verschiedene Dinge gibt. Sie muss und darf lernen, dass Mami nicht eine Erweiterung ihrer selbst ist, und dass ein Spielzeug nicht integraler Teil ihres Körpers ist. Wird einem Kind ein Spielzeug weggenommen, kann es durchaus das Gefühl haben, ein Teil seiner selbst zu verlieren.

    In dieser ersten Entwicklungsphase baut das Kind Vertrauen auf zu einem kleinen Umfeld und lernt in der Familie zu bestehen, seinen Platz zu finden.

    Caleb ist schon weiter. Er spricht, läuft, rennt, erkennt Personen, und gewöhnt sich daran, aus der Sicherheit seines Zuhauses die Welt zu erobern. Er weiss, dass er da sicher ist, wo ihn seine Eltern hingehen lassen – und probiert manchmal die Grenzen aus.

    Mami und Papi, aber auch andere Autoritätspersonen in seinem Leben wie die Leiterinnen der Kita haben auch schon in Regeln und moralisches Empfinden investiert. Caleb lernt, sich in Gemeinschaften einzugliedern, die grösser sind als seine eigene Familie. In dieser Phase lernt Caleb Gehorsam, Einordnung in eine Hierarchie, und zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden.

    Später wird ihm klar werden, dass er zwar nicht egoistisch nur seine eigenen Ziele verfolgen kann, dass er aber als Individuum wertvoll ist, auch ausserhalb seiner Gemeinschaft und über die Rolle hinaus, die ihm die Gemeinschaft gibt. Er lernt es, sich selbst Ausdruck zu geben. Er wird mehr als ein Mitglied der Gemeinschaft. Er wird ein Individuum.

    Als Individuum wird er sich vielleicht für die Gemeinschaft als Ganzes, für die Menschheit einsetzen, eine soziale Verpflichtung weit über die Grenzen der Familie oder der Interessengemeinschaft hinaus entwickeln und empfinden. Er wird den göttlichen Funken in einem jeden Menschen und in der Schöpfung entdecken und wertschätzen.

    Und dann wird ihm klar, wie wichtig all das ist, und wie jede Situation alle seine erlernten Fähigkeiten beansprucht.

    Wie steht es nun mit dem Vertrauen, das seine Eltern in ihn investieren?

    Anfänglich vertrauen sie hauptsächlich darauf, dass dieses kleine Menschlein sie liebt. Sie werden Amaeya noch eine ganze Weile nichts anvertrauen oder sie alleine ausser Hörweite lassen.

    Später wird dieses Vertrauen wachsen. Die Reaktionen von Amaeya und Caleb bestimmen die Geschwindigkeit des Wachstums und den Umfang des Vertrauens genau so wie die Persönlichkeit ihrer Eltern mitbestimmend sind. Das gilt übrigens ab einem gewissen Zeitpunkt auch umgekehrt.

    Regeln, Moral, Gehorsam sind Werkzeuge in diesem Prozess, und nicht Ziel. Ziel ist ein vertrauenswürdiger, lebensfähiger, reifer, selbstbestimmter, gemeinschaftstauglicher Mensch.

    Geistliche Vaterschaft

    Genau so ist es im geistlichen Bereich. Die Vertrauensbeziehung sollte wachstümlich sein.

    Geistliche Vaterschaft wird nun in verschiedenen Denominationen und Kirchen unterschiedlich verstanden. Dies geht von „das ist die Person, durch die Du zum Glauben gekommen bist“ bis zu hierarchischen Modellen wie in der katholischen Kirche, wo jeder Priester und Mönch Vater genannt wird, oder im Shepherding Movement, wo ein geistlicher Vater fast absolute Autorität über seine geistlichen Kinder hatte.

    Im kirchlichen Bereich stellt sich ein weiteres Problem: wir können Beziehungen wie Vaterschaft nur in dem Modell, in der Weltanschauung, auf der Entwicklungsstufe leben, in der wir selber angekommen sind. Denn wie der einzelne Mensch, so haben auch Gemeinschaften und die Gesellschaft ein wachstümliches Interpretationsmodell der Welt.

    Ist eine Gemeinde nicht über die Stufe hinausgewachsen, in der sie Moral, Ethik, Hierarchie, Ordnung und Gehorsam als Wichtigstes Lernziel definiert und Glaube als Zugehörigkeit zu einem Glaubenssystem sieht, dann werden auch die Beziehungen unter diesen Richtlinien und Gesichtspunkten gelebt. Die Vater-Sohn-Beziehung wird demnach nicht über das System des Gehorsams und der gemeinsamen Doktrin, bestimmt durch den Vater, hinauswachsen.

    Das hat zur Folge, dass Söhne, welche weitergehen wollen als ihre Väter, dies nur auf eine Art tun können, welche die Väter als Rebellion und Verrat verstehen. Leider wird so das gegenseitige Vertrauen zerstört.

    Im alten Testament wurde Elisa erst mündig, als Elia starb. Paulus konnte Timotheus und Titus bereits in die Reife führen, während er noch lebte. Heute gelingt dies nur in wenigen Fällen. Warum?

    Im alten Testament lebten die Israeliten unter dem Gesetz. Ihre Gesellschaft war auf dem Weg, Moral, Ethik, Regeln und Ordnung zu lernen. Die Leiter waren oft recht autokratisch unterwegs, und so aus die Propheten. Ein nächster Wachstumsschritt war erst möglich, wenn die alte Generation ausgestorben war.

    Paulus lebte in einer Gesellschaft, in der sich Moral, Ethik, Regeln und Ordnung durchgesetzt hatten, wenn auch nicht ausschliesslich. Der Vorteil, den Paulus hatte, lag also bei ihm selbst, nicht bei seinen Söhnen. Er hatte gelernt, dass er nicht das Mass aller Dinge war. Seine Söhne allerdings wuchsen nicht über die Stufe hinaus, in die Paulus selbst gewachsen war. Darum konnten sie mit Paulus koexistieren. Sie hatten nicht nur die gleichen Werte, sondern auch die gleiche Weltanschauung. Gehorsam und Moral, Hierarchie waren ihnen wichtig. Weiter konnten sie zu ihrer Zeit nicht gehen.

    Heute wachsen wir Menschen weiter. Wir sind Kinder der Aufklärung, der Wissenschaft, der Technik, und deren Folgen. Wir kennen die Folgen von sogenannt gottgegebenen Hierarchien mit all den Auswirkungen. Wir möchten weiter wachsen. Aber solange das weder die Systeme noch die Väter zulassen, haben wir ein Problem.

    Elisa wurde von Gott in ein neues System geführt. Es beinhaltete Einordnung und Unterordnung, Moral und Ethik, Regeln und Ordnung. Darum diente er Elia ein Leben lang.

    Wir werden in neue Systeme eingeführt. Sie beinhalten eigenständiges Denken, Wissenschaft, Erfolgsstreben oder inklusive Denken, subjektive Wahrheitsbegriffe oder integrales Denken und aperspektivische Weltanschauung. Das Wachstum hat sich beschleunigt. Während Elisa den nächsten Schritt des Wachstums lernte, indem er wartete, lernen wir, indem wir weitergehen.

    Leider empfindet das die alte Weltanschauung als Verrat. Was viele davon abhält, den nächsten Schritt zu tun. So versteinern Systeme, geben Menschen auf, wird die Gemeinde irrelevant. So entstehen tausende von Denominationen. Es wird ein System, welches Wachstum bringen sollte, zu einem System der Trennung.

    Wenn wir lernen, Glauben nicht mit einem System, einer Doktrin gleichzusetzen, sondern mit gegenseitigem Vertrauen, dann ist es möglich, diese Grenze zu überwinden.

  • Das Ziel

    Der Geist selbst gibt Zeugnis zusammen mit unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind.

    Römer 8:16

    Johannes vom Kreuz (1542-91) war ein Karmelitermönch im Orden von Teresa von Avila.

    Er formulierte das Ziel Gottes mit dem Menschen so:

    Was Gott erstrebt, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er Gott von Natur ist.

    Weisungen 2,27

    Gott möchte, dass wir teilhaben an dem, was er in der Dreieinigkeit erfährt und ist. Er möchte, dass wir zuwendungs- und liebesfähig, wahr und kreativ sind wie Gott.

    Der Mensch wird an Gott selber teilnehmen, zugesellt der Heiligsten Dreifaltigkeit, mitwirkend deren Werke.

    Geistlicher Gesang 39,6

    Was für eine Vision. Grössenwahnsinn? Ich denke nicht. Überheblichkeit? Nicht einen Moment.

    Warum sage ich dies?

    Wir Menschen möchten, dass unsere Kinder erwachsene Menschen werden. Wir möchten, dass sie zu selbständigen, lebens- und liebesfähigen Geschöpfen nach unserer eigenen Art werden. Wir möchten, dass sie ihre Begabungen, ihre Stärken in die Gemeinschaft einbringen dürfen, und so die Zukunft kreativ mitgestalten können.

    Warum nehmen wir an, dass Gott Kinder schafft, für die er plant, dass sie ihn eine Ewigkeit anbeten werden? Die gegenseitige Würdigung, das beidseitige Lob ist Teil einer jeden gesunden Vater-Kind-Beziehung, aber nur absolut traditionelle, patriarchalische, und, verzeih die Wortwahl, narzisstische Menschen sehen Lob als eine Einbahnstrasse vom Kind zum Vater.

    Gott hat Wesen, die ihn anbeten. Wir nennen sie Engel. Oft wurde die Unterscheidung gemacht, dass wir Gott freiwillig anbeten sollen, aus Liebe und Glauben, während die Engel diese Wahl nicht haben.

    Und doch gibt es in der biblischen Lehre Engel, welche gefallen sind. Sie haben sich gegen Gott entschieden. Das sagt mir, dass Engel einen freien Willen haben. Der freie Wille ist Voraussetzung für Liebe. Klar, sie wissen, dass Gott existiert, brauchen also keinen Glauben. Und doch haben die gefallenen Engeln geglaubt, dass der Teufel siegen könnte gegen Gott.

    Das Argument der freiwilligen Anbetung scheint logisch also nicht haltbar–sofern wir an der Existenz von Engeln und Dämonen und deren Herkunft festhalten wollen. Doch das ist ein anderes Thema.

    Freiwillige Anbetung aus Liebe und Glaube greift also zu kurz als Erklärung dafür, dass Gott die Menschen seine Kinder nennt.

    Oft habe ich mir überlegt, ob wir Menschen uns mehr für unsere Kinder wünschen als Gott für seine Kinder. Ein eigentümlicher Gedanke, ich weiss. Ich habe noch viele davon.

    Gott hat uns den Wunsch ins Herz gelegt, dass unsere Kinder uns ähnlich werden. Wir wünschen uns für unsere Kinder nur das Beste. Er hat uns auch den Gedanken gegeben, dass wir in unseren Kindern auf eine gewisse Art auch weiterleben.

    Früher hat sich das ganz praktisch gezeigt, wenn der Vater dem Sohn sein Geschäft übergeben hat, und der Sohn schon als kleiner Junge den Vater imitiert hat mit dem Werkzeuggürtel um die Hüften.

    Heute sind unsere Wünsche oft auf einer Metaebene. Wir möchten, wie gesagt, dass unsere Kinder ihr volles Potenzial für sich selbst und die Gesellschaft entfalten können.

    So auch Gott. Er nennt uns Kinder, weil er das Potenzial in uns sieht, dass wir ihm in Teilhabe gleich werden, wie er von Natur aus ist.

    Was also ist dieser Unterschied, der sicherlich besteht?

    Schauen wir uns Adam an. Geschaffen direkt von Gott, hatte er keinen irdischen Vater. Er war von Natur aus Mensch. Wir, als seine Nachkommen, haben Teil am Menschsein durch Geburt. Doch sind wir anders als Adam? In den meisten Aspekten nicht.

    Gott nennt uns Kinder. Oft nennt er uns auch Söhne. Ein Sohn in der jüdischen Tradition ist ein Kind, welches mit 30 zum Teilhaber erklärt wurde. Der Vater nahm seinen Sohn mit 30 in die Tore der Stadt zu den Ältesten und sagte: Dies ist mein Sohn, an dem ich Freude habe. Hört auf ihn.

    Ab diesem Zeitpunkt war das Wort des Sohnes gleich viel Wert wie das Wort des Vaters. Und bitte vergebt mir die leider historisch korrekte patriarchalische Sichtweise.

    Gott nennt uns Kinder. Söhne „in the making“.

    Denn alle, die durch den Geist Gottes Igeleitet werden, die sind Söhne Gottes.

    Römer 8:14

    Sich durch den Geist Gottes leiten zu lassen, erlaubt es uns nach dieser Aussage von Paulus, bereits hier auf Erden Söhne Gottes zu sein.

    Was heisst nun die Aussage „durch den Geist Gottes geleitet“.

    Ein Kind wird vom Vater und der Mutter geleitet. Ihre Stimme, und manchmal auch die Hand, geben vor, und das Kind reagiert mit mehr oder weniger Gehorsam.

    Ein erwachsener Sohn, eine erwachsene Tochter auf der anderen Seite wird durch den Geist des Vaters und der Mutter geleitet. Es sind dies die Prinzipien, welche sich verfestigt und den Sohn , die Tochter geprägt haben durch Erziehung und Vorbild.

    Wie sagt es Paulus: Wir aber haben das Denken Christi. Jesaja sagt es anders: Ich will aber einen anderen, einen neuen Bund mit Ihnen schliessen, bei dem ich mein Gesetz in ihre Herzen schreiben werde.

    Beide Worte, die hier mit Denken oder Herz übersetzt werden, beinhalten Denken, Fühlen, Wollen, Sein, Leben, unser Innerstes. Unser Menschsein.

    Wer kennt nicht die innere Stimme, die uns zurechtweist. Bei manchen tönt sie sogar wie die Stimme der Mutter. Oft nennen wir diese Stimme das Gewissen, und nur allzu oft nennen wir sie das Reden des Heiligen Geistes. Und manchmal ist das sogar wahr, den auch der Vater eines erwachsenen Sohnes hört nicht auf, mit diesem Sohn zu sprechen, auch wenn es häufiger Ratschläge sein werden als Ermahnungen.

    Jeder Mann ist immer Sohn – ausser, im menschlichen Sinne gesprochen, Adam, der als Mann und nicht als Junge geschaffen wurde. Das Bild von Gott dem Vater mit uns als Kindern spiegelt wunderbar diese Beziehung wieder. Gott war schon immer, und wir werden für immer sein.

    Warum lassen wir uns beschränken auf den billigen Abklatsch, den wir als unsere Zukunft sehen? Eine Ewigkeit anzubeten wie die Engel, nur dass unser Einstand schwieriger war, weil wir im Glauben und nicht im Schauen begannen?

    Das Ziel zu kennen, und die Werkzeuge erhalten zu haben, diesen Weg zu gehen, ist alles, was wir benötigen. Das Ziel ist, in Teilhabe Götter zu sein, in perfekter Einheit. Das Werkzeug ist, das Denken Christi auszuleben, den neuen Bund im Herzen zu haben und danach zu handeln.

    Es geht nicht ewig um Gehorsam und Sündlosigkeit, sondern um Wachstum, und Gehorsam und Sündlosigkeit sind Werkzeuge dazu. Es geht nicht um Moral und Ethik, sondern um Liebe, und Moral und Ethik sind ein Anfang. Es geht nicht ums Zuschauen und Bewundern, sondern um Teilnahme.

    Oder wie gesagt wurde: Clean up, Wake up, Grow up, Show up.

  • Imitieren

    Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi!

    1Kor 11:1

    Paulus ruft uns immer wieder dazu auf, ihn zu imitieren. Sei es im Umfeld der Rücksichtnahme auf andere und der persönlichen Freiheit, wie in diesem Kontext, oder wenn es um die Freiheit vom Gesetz geht (vgl. Gal 4:12).

    Oder wie wäre es mit 1Kor 4:16? Hier wird es allgemein. Paulus ist der Vater der Gemeinde in Korinth. Sie haben zwar viele Lehrer, wie z.B. Apollos, Priscilla und Aquila, und jetzt auch Timotheus, aber nur wenige Väter – und dazu zählt sich Paulus als Gründer der Gemeinde.

    Schränkt er hier ein, was wir imitieren sollen an ihm?

    Mitnichten.

    Seinem Sohn Timotheus sagt er sogar, dass er alles, was er gehört und gelernt habe, weitergeben soll (vgl. 2 Tim 1:13-14;2:2-3).

    Viele sehen in Paulus eine speziell dazu berufene Person mit dem Auftrag, einen grossen Teil des Neuen Testaments zu schreiben. Und das stimmt. Nur: Paulus selbst wusste das nicht. Was er sein wollte, ist ein Vorbild für die Christen seiner Zeit.

    Er beschränkt seinen Rat, ihn zu imitieren, nicht auf Pastoren, andere Apostel, Leiter oder Älteste. Er spricht jeden Leser seiner Briefe an. Nur die direkten Worte an Timotheus dürfen als an Leiter gerichtet interpretiert werden. Das Spezielle an ihnen: die Aufforderung, das Gelernte an fähige Menschen weiterzugeben.

    Wir alle sind also dazu berufen, so zu leben, wie Paulus es getan hat. Leiter sollen zusätzlich weitergeben, was sie wissen. Allerdings gilt dies wiederum nicht nur für Leiter, denn er gibt den Auftrag auch an z.B. ältere Frauen, welche jüngere Frauen dazu anleiten sollen, einen göttlichen Lebensstil zu verfolgen (vgl. Tit 2:3-6).

    Es gibt speziell berufene und begabte Menschen, die den Auftrag haben, andere in die Reife zu führen (vgl. Eph 4:11-16). Die Salbung ihres Amtes erlaubt es ihnen, gerade den Lehrdienst, aber auch das Mentoring effektiver und mit Autorität zu verfolgen.

    Sagen wir es noch anders: jeder Christ hat seine Einfluss-Sphäre (vgl. 2 Kor 10:13). Innerhalb dieser hat er die Autorität, zu wirken und durch seinen Einfluss Veränderung herbeizuführen.

    Wir sind geleitet durch den Geist Gottes (vgl. Rom 8:14), innerhalb der Parameter des Wortes (vgl. Joh 14:26).

    Paulus hat nun, unter der Leitung des Heiligen Geistes, die Schriften des alten Testaments z.T. allegorisch ausgelegt. Viele Bibellehrer weisen darauf hin, dass Paulus das durfte wegen seiner speziellen Berufung. Ich glaube, dass wir das ebenfalls dürfen, wegen unserer Berufung, Paulus zu imitieren.

    Die Autorität der Schriftauslegung des Paulus umfasst seine ganze Einfluss-Sphäre: die ganze Christenheit. Unsere Autorität umfasst unsere Einfluss-Sphäre, sei dies die Familie, die Gemeinde, oder auch nur unser eigenes Leben.

    Paulus hat sich darauf berufen, seine Botschaft von Jesus direkt bekommen zu haben. Trotzdem hat er sie den anderen Aposteln zur Begutachtung vorgetragen (vgl. Apg 15) und war nie allein unterwegs. Wir tun gut daran, Väter und Begleiter einzubinden, damit wir nicht „abspacen“ und die Parameter der Bibel verlassen.

    Vor allem aber ist es wichtig, die Stimme des Heiligen Geistes zu hören.

    In diesem Rahmen hat die Exegese durchaus ihren Platz. Was sagt der Text, auf den der Heilige Geist den Finger legt, im ursprünglichen historischen und textuellen Rahmen aus? Unterstützt der Text, was ich neu darin zu erkennen glaube? Unterstützen die Prinzipien der ganzen Bibel es? Gibt es andere Verse, die es mir erlauben, den Gedanken im Wort zu verankern? Welche Grenzen legt die Bibel auf die Interpretation, die ich neu mache?

    Ein Bild, eine Allegorie, ein Gleichnis hat immer seine Grenzen, innerhalb derer es hilfreich ist. Wird das Bild zu weit getrieben, entstehen Verwirrung oder Irrlehren.

    So stehen z.B. der neutestamentliche Apostel und Prophet in einer ähnlichen Beziehung zueinander wie der alttestamentliche König und Prophet. Macht und Autorität sind nicht in einer Person vereint, sondern verteilt. Ein System von Checks und Balances. Wird das Bild zu weit getrieben, entsteht ein autoritäres System, in dem Apostel sogar fast über Leben und Tod entscheiden (vgl. Shepherding Movement).

    In einem entsprechenden Rahmen von Check and Balances, geistlicher Vaterschaft, unter der Autorität des fünffachen Dienstes werden die Grenzen der Exegese gesprengt.

    Es ist nicht mehr nur wahr, was in der Bibel steht – wir sind nicht geleitet vom Wort, welches uns der Heilige Geist erklärt -, sondern was im Rahmen der Bibel Leben bringt – wir sind geleitet vom Geist innerhalb der Parameter der Bibel.

    Das Perfekte (vgl. 1 Kor 13:10) ist nun nicht die Bibel, sondern das Wort Gottes, also Jesus Christus (vgl. Joh 1:14) selbst und wachstümlich manifestiert in Christen bis hin zu den reifen Söhnen Gottes (vgl. 1 Joh 2:12-14, Röm 8:19).

    Imitieren wir also Paulus in allen Aspekten, im entsprechenden Rahmen.

  • Bin ich Besitz oder anvertraut?

     

    Doch noch während er das sagte, glitt eine helle Wolke über sie, aus der eine Stimme zu ihnen sprach:»Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich meine Freude habe. Hört auf ihn.« Mat 17:5

    Adoption oder Emanzipation.

    Ich möchte zuerst etwas über die ursprüngliche Bedeutung dieser beiden Worte sagen. Natürlich werden die Worte heute nicht mehr so verwendet, aber erlaube mir doch, es hier einmal zu tun.

    Emanzipation kommt aus dem Lateinischen, genauso wie Adoption. Emanzipation ist zusammengesetzt aus ex, manus, capere. Mancipatio ist der Übergang einer Sache in den Besitz eines anderen und heisst wörtlich „mit der Hand nehmen, fassen, erbeuten“. Emancipatio heisst nun „aus der Hand entlassen“ und wird als Formel gebraucht, wenn ein Sohn oder Sklave aus der Autorität, aus dem Besitz eines Vaters oder Meisters entlassen wird. Im Speziellen kennzeichnet es die Entlassung des Sohns aus der väterlichen Gewalt.

    Adoption wiederum ist zusammengesetzt aus ad und optare. Es bedeutet eigentlich hinzuerwählen. Natürlich ist die heutige Adoption in diesem Bedeutungsfeld durchaus ersichtlich, erwählt man doch jemanden zu seiner eigenen Familie hinzu. Dieser Vorgang wurde im Latein aber mit affiliare beschrieben, zum Sohn, zur Tochter machen. In der jüdischen und griechischen Tradition war die Adoption durchaus etwas anderes. Ein Vater erwählte seinen Sohn und fügte ihn zum Kreis der Männer in Autorität hinzu.

    Ein Vater nahm seinen Sohn mit 30 mit in die Tore der Stadt und sprach vor den Ältesten die Adoptionsformel: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Freude habe. Hört auf ihn.“ Kommt Dir das bekannt vor?

    Mit dieser Handlung stellte der Vater den Sohn auf die gleiche Autoritätsstufe, die er selber inne hatte. Das Wort des Sohnes war gleich viel wert wie das des Vaters.

    Wenn wir uns jetzt den Unterschied betrachten, ist dieser ziemlich gross.

    Ausgangslage einer Emanzipation ist ein Besitzverhältnis. Ich gehöre als Sohn dem Vater genauso, wie ein Sklave ihm gehört. Die Emanzipation entlässt mich nun aus diesem Verhältnis in die grosse Freiheit, die Unabhängigkeit. Meine Beziehung zum Vater wird gelöst, ich stehe ab sofort allein und muss für mich selbst aufkommen.

    Auf der anderen Seite die Adoption. Sie sagt nichts über das Verhältnis zwischen Sohn und Vater aus, ausser dem, worauf wir aus der Handlung zurückschliessen können: der Vater vertraut dem Sohn seine ganzen Besitztümer an, gibt ihm das Recht, mit der gleichen Autorität darüber zu entscheiden, wie er selber. Das braucht ein Vertrauensverhältnis. Der Vater kennt auch seine Aufgabe: den Sohn dahin zu bringen, dass er entscheidungsfähig und vertrauenswürdig ist. Also in die Reife. Und nach dem Akt lässt er ihn nicht allein, sondern nimmt ihn als gleichberechtigten Partner in die Beziehung auf.

    Der verlorene Sohn hat sich emanzipiert, und auf sich gestellt, schrecklich versagt. Der Vater hat ihn adoptiert, als der Sohn zurückkam, und ihm mit dem Ring das Zeichen der Autorität gegeben.

    Denn in sehnsüchtigem Verlangen wartet die Schöpfung auf das Offenbarwerden der Söhne und Töchter Gottes. … Doch nicht nur dies; nein, auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe empfangen haben, auch wir seufzen miteinander und warten auf unsere Anerkennung (Adoption) als Söhne und Töchter, auf die Erlösung unseres Leibes. Röm 8:19.23

    Viele definieren unsere Lebensübergabe als Adoption durch Gott. Doch hat er uns da nur das Recht gegeben, seine Kinder zu heissen. Und andererseits sind wir, wie das Gleichnis des verlorenen Sohnes zeigt, Kinder Gottes. Auch beim Gleichnis der hundert Schafe ist das eine, das davon läuft, dennoch eines seiner Schafe. Wir werden also nicht im heutigen Sinne adoptiert, d.h. der Familie Gottes hinzugefügt, obwohl wir nicht dazu gehören. Nein, wir sind Kinder Gottes in Rebellion, und er respektiert unseren freien Willen. Auf unsere Bitte hin nimmt er uns aber gerne wieder auf.

    Aus den Versen im Römer sehen wir noch etwas anderes. Paulus spricht im zweiten Teil in der ersten Person Mehrzahl. Wir. Paulus war zu diesem Zeitpunkt Christ, das wird wohl niemand bezweifeln. Wenn er also, mit uns, noch auf diese Adoption zur Sohnschaft (huiothesia Strongs g5206) wartet, dann muss die Adoption etwas anderes sein als die Bekehrung.

    Das griechische Wort huiothesia bestätigt, was ich vorher gesagt habe. Huios ist der reife, erwachsene Sohn, und tithemi heisst einsetzen. Paulus wartet mit uns auf den Zeitpunkt, da wir als Söhne in Autorität eingesetzt werden. Er bringt dies in Zusammenhang mit der Erlösung unseres Leibes.

    • Wir wissen, dass wir gerettet sind – unser Geist wurde im Moment unserer Bekehrung gerettet.
    • Wir wissen, dass wir ständig gerettet werden – wir erarbeiten täglich die Rettung unserer Seele und lernen, anders, göttlich zu denken, zu fühlen, zu wollen.
    • Und wir wissen, dass wir in der Zukunft gerettet werden – d.h. unser Leib. Doch nicht alle werden sterben, sondern einige werden verwandelt werden beim Klang der letzten Posaune.

    Die letzte Posaune. Ich sehe diese nicht als Posaunenklang bei der Entrückung, sondern vielmehr als letzte Phase meiner persönlichen Entwicklung. Genau so, wie Jesus verklärt wurde, wartet die ganze Schöpfung darauf, dass die Söhne Gottes hervorkommen. Hier auf Erden.

    Was wünschst Du Dir mehr: unabhängig zu sein, oder aufgenommen und in Autorität eingesetzt zu werden? Was wählst Du: Emanzipation oder Adoption?

    Für mich ist die Antwort klar. Statt im Schweinestall der Unabhängigkeit bin ich lieber mit Jesus gesetzt zur Rechten Gottes als Priester und König. Eigentlich eine einfache Entscheidung.

    Ich sehe die Adoption als den Abschluss eines Prozesses.

    Aus Sicht des Vater ist es so, dass er einen Sohn gezeugt hat in der vollen Absicht, ihn dereinst zu adoptieren. Sein ganzes Handeln als Vater ist auf diesen Zeitpunkt ausgelegt, und auf den Preis, den er dahinter sieht: eine Beziehung reifer Persönlichkeiten aus freiem Willen, in gegenseitigem Respekt. Daher wird der Vater viel in die Entwicklung seines Sohnes investieren, unter anderem auch den Schmerz, loszulassen, Verantwortung zu übergeben, Fehler zuzulassen. Und doch sieht er den Sohn schon als das, was er einmal sein wird.

    Aus Sicht des Sohnes ist es ein Durchlaufen eines Prozesses vom Kind unter der Hand des Vaters, zum Jüngling mit Teilverantwortung für sein Leben, zum Sohn. Und der Verpflichtung, selber Vater zu werden.

    So gesehen verhindert die Emanzipation eine Adoption. Sie ist eine feige Flucht aus dem vorgesehenen Prozess, entweder durch den dedizierten Sohn oder den Vater.

    Eine Adoption braucht Mut.

    Hast Du diesen Mut?

  • Die Wiederherstellung des fünffachen Dienstes

    Da fragten ihn die Jünger:»Warum sagen denn die Schriftgelehrten, dass zuerst Elia kommen muss? « Jesus antwortete:»Es stimmt, Elia kommt, und er wird alles wiederherstellen. (Mat 17:10-11)

    Gott hat einen Plan. Wir wissen aus der Bibel, dass er einen guten Plan hat für unser Leben (Jer 29:11) – nicht nur als Individuen, sondern auch als Gemeinschaft, ja sogar als Menschheit.

    Schliesslich hat er uns nach seinem Ebenbild geschaffen. Und dies, obwohl er wusste, was danach – in den ersten Tagen unserer Existenz – geschehen würde.

    Er hat einen Plan, alle Dinge wieder herzustellen.

    Es ist interessant, dass Jesus gerade im Zusammenhang mit Elia über die Wiederherstellung aller Dinge sprach.

    Weshalb?

    Ausser in den Büchern Könige und Chronik wird Elia im Alten Testament nur im Propheten Maleachi (Mal 3:23-24/4:5-6) erwähnt. Auf diese Stelle beziehen sich die Leute, welche Jesus fragten: Muss nicht erst Elia kommen?

    In Maleachi wird gesagt, dass Elia kommen wird, um die Herzen der Väter den Söhnen und die Herzen der Söhne den Vätern zuzuwenden – weil sonst Gott kommen und die Erde der Zerstörung preisgeben muss.

    Die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen – so scheint es – ist zentral. Und das ist gut nachvollziehbar. Gott ist ein Vater mit einem Sohn, und er ist ein Sohn mit einem Vater. Diese Beziehung besteht schon seit Ewigkeiten.

    Die Beziehung zwischen Vater und Sohn modelliert demnach die älteste und wichtigste Beziehung, die es gibt. Neben der Beziehung zum Heiligen Geist ist dies die einzige Beziehung, die vor der Schöpfung existierte, nota bene.

    Diese Beziehung ist so wichtig, dass Gott die ganze Erde der Zerstörung preisgeben müsste, würde sie nicht wieder hergestellt.

    Eigentlich einleuchtend: ohne die Wiederherstellung unserer Beziehung zum himmlischen Vater ist ewiges Leben nicht möglich, sondern nur der zweite Tod, was wir gemeinhin Hölle nennen.

    Jakobus sagt uns, dass jemand nicht behaupten kann, dass er Gott liebe, den er nicht sieht, wenn er gleichzeitig die Brüder hasst, die er sieht. (Jak 4:20) Es ist viel einfacher, jemanden zu lieben, den man sieht, als jemandem, von dem man zuerst glauben muss, dass er überhaupt existiert.

    Da Gott uns kennt – ich meine, wirklich kennt -, weiss er, wie viel einfacher es für uns nach dem gleichen Prinzip ist, etwas von jemandem zu lernen, den wir sehen und anfassen können, als von Ihm.

    Er hat also seinen Sohn geschickt, um uns ein sichtbares Beispiel zu geben. Er hat ihn geschickt, um uns zu zeigen, wie wir ein Sohn sein können. So sagte Jesus:

    • Ich und der Vater sind eins (Joh 10:30)
    • Ich tue nichts, ausser ich sehe es den Vater tun  (Joh 5:17)
    • Wenn ihr mich gesehen habt, habt ihr den Vater gesehen (Joh 14:9)

    Gleichzeitig sollte uns nicht nur Jesus zeigen, wie der Vater ist, sondern auch, wie man ein Vater ist, ist doch einer seiner Namen Ewig Vater. (Jes 9:5)

    Und wie hat Jesus das getan? Er hat sich während der 3,5 Jahre seines Dienstes in Menschen investiert – ganz besonders in Zwölf: seine Jünger oder Apostel. Nach seinem Tod hat er ihnen, seinen Söhnen, die Verantwortung für die Gemeinde überlassen. Nicht ohne ihnen den Geist gegeben und sie für die Aufgabe ausgerüstet zu haben.

    Und er hat ihnen andere Menschen zur Seite gestellt, die ihnen bei dieser grossen Aufgabe halfen, die ganze Welt nicht nur mit der guten Botschaft bekannt, sondern sie zu Jüngern zu machen.

    Oder soll ich sagen: zu Söhnen? Denn wir haben das recht, Gottes Kinder zu heissen (Joh 1:12), aber nicht dort stehen zu bleiben. In seinem ersten Brief schreibt der Apostel Johannes an Kinder, Jünglinge, und Väter (1. Joh 2:12-14). Wir dürfen also aufwachsen, um nicht nur erwachsen, sondern selber wieder Väter zu werden. Das ist Teil des Auftrages, sie alles zu lehren, was Jesus den Aposteln beigebracht hatte. (Mat 28:20)

    Ich habe gesagt, dass Jesus die Apostel ausrüstete. Aber womit?

    Die Antwort dazu findest Du in meinem neuen eBook:

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