Kategorie: Mein Glauben

  • Schatten, Bilder, Realität

    Denn das Gesetz ist ein Schatten des zukünftigen Guten, aber nicht das Bild der Dinge selbst …

    Hebräer 10:1

    Seht zu, dass ihr alles nach dem Muster macht, das euch auf dem Berg gezeigt wurde.

    Hebräer 8:5, Exodus 25:40

    Erinnerst du dich an das Gleichnis der Höhle von Platon? Darin begnügten sich die Menschen mit den Schatten der Dinge, die andere hinter ihnen her trugen, und liessen sich gerne in einer Höhle einschliessen, anstatt das Echte in vollkommener Freiheit zu sehen und zu berühren.

    Die Bibel sagt uns, dass Platon hier an etwas dran war. Der Hebräerbrief spricht sogar von drei statt von zwei Ebenen: Schatten, Bild und Wirklichkeit.

    Der Autor des Hebräerbriefs informiert uns darüber, dass der alte Bund ein Bund der Schatten der kommenden guten Dinge war. Aber er oder sie teilt uns auch mit, dass wir jetzt das Bild der Dinge im neuen Bund haben.

    Aus dem, was ich gerade gesagt habe, können sich zwei Fragen ergeben:

    Sie? Warum nennst du den Autor des Hebräerbriefs einen Er oder eine Sie?

    Wir wissen nicht, wer den Hebräerbrief geschrieben hat, und eine der Theorien geht davon aus, dass Priscilla es war. Dafür gibt es gute Gründe, und das wollte ich nur einwerfen.

    Die zweite Frage könnte lauten:

    Moment mal, haben wir nicht das Echte?

    Wenn wir ein Bild statt eines Schattens haben, werden die Dinge klarer. Wir sehen viel mehr Details. Aber trotzdem ist das Bild zweidimensional und es fehlen noch zwei oder mehr Dimensionen, um real zu sein. Und selbst wenn es ein Film, ein Hologramm, ein geschnitztes Bild oder irgend etwas Drei- oder gar Vierdimensionales wäre, wäre es immer noch nicht das Echte.

    Wenn wir über diese Aussage nachdenken, wird es klar: Wir haben es nicht erreicht. Wir sind nicht durchgebrochen.

    Lass mich ein Beispiel geben:

    Wenn du schwanger bist, gibt es Hoffnung, die Erwartung eines Babys.

    Es gibt Schatten, die sich in einem sich verändernden Körper, einem wachsenden Bauch ausdrücken, und sogar davor gibt es hormonelle Veränderungen und mehr.

    Sobald wir eine Schwangerschaft vermuten, sehnen wir uns nach Bildern. Das Erste könnte an der Grenze zwischen Schatten und Bild liegen: der Schwangerschaftstest. Ultraschallbilder liefern viel klarere Bilder, aber es ist kein Baby, das wir sehen. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes die Echos eines Babys, die sichtbar gemacht werden.

    Erst mit der Geburt wird das alles Wirklichkeit.

    Bleibt es dabei? Auf keinen Fall. Die Eltern sehen das Potenzial ihres Babys und stellen sich die Zukunft vor, für die das Baby selbst im Moment nur ein Schatten ist.

    Sie werden sehen, wie ihr Baby läuft, und die gesunden Beine des Babys sind ein Schatten dafür. Sobald das Baby anfängt, zu krabbeln und sich sogar an Möbeln hochzuziehen, wird dies zu einem Bild, und das Bild wird mit den ersten Schritten langsam zur Realität. Diese zeigen, dass das Gehen ein kontrolliertes Fallen ist. Das Bild wird täglich schärfer und rückt bald in den Hintergrund, weil es zur Routine geworden ist.

    Neue Schatten werden wichtig.

    Das Gleiche passiert in unserem Glaubensleben.

    Das birgt eine Gefahr: Wenn wir die Schatten oder Bilder mit der Realität verwechseln, klammern wir uns an sie und kommen nicht weiter oder wachsen.

    Wir können uns mit den Schatten zufriedengeben, wie die Menschen in Platons Allegorie. Oder wir können stolz darauf sein, dass wir zu den Bildern vorgedrungen sind und dort kampieren.

    Das passiert in allen Bereichen: Die linke Hemisphäre unseres Gehirns liebt Modelle und Karten. Aber sie neigt dazu, sich mit ihnen zu begnügen und sie für real zu erklären.

    Vielleicht habe ich einen entscheidenden Vorteil gegenüber den meisten Menschen. Ich habe eine Aphantasie, kein inneres Auge.

    Ich sehe nichts, wenn du mir sagst, dass ich an einen Apfel denken soll. Manche Menschen sehen den Schatten eines Apfels, andere sehen ein ziemlich lebhaftes Bild oder sogar eine Szene wie ein Video.

    Dieser Schatten oder dieses Bild prägt ihr Verständnis von einem Apfel tief in ihr Weltmodell ein. Das funktioniert nicht nur mit Äpfeln, sondern mit allem, was wir uns im wahrsten Sinne des Wortes vorstellen können, mit allem, von dem wir uns ein Bild machen können.

    Wenn ich keine visuelle Darstellung von Dingen im Kopf habe, die sich beim Nachdenken über etwas hervordrängt, bin ich viel weniger an das gebunden, was dieses Ding ausmacht.

    Das Gleiche gilt für Geräusche, Geruch, Geschmack und Berührung. Wie die meisten meiner Leserinnen und Leser wissen, konnte ich etwa drei Jahrzehnte lang weder riechen noch schmecken, bevor das wiederhergestellt wurde.

    Seit ich riechen und schmecken kann, hänge ich viel mehr an bestimmten Dingen als früher. Ich bekomme Heisshunger, wenn ich an einer Bäckerei vorbeigehe oder über einen Markt schlendere.

    Ich kann mir nur vorstellen, wie schlimm es werden würde, wenn ich etwas riechen könnte, nur weil ich daran denke. Reden wir über Spekulatius, ein gewürztes Gebäck, das um Weihnachten herum gegessen wird. Ich weiss nur, dass eine Packung davon auf dem Schreibtisch meiner Frau liegt, und ich komme normalerweise nur in Versuchung, wenn ich sie beim Vorbeilaufen sehe.

    Ich denke, ein inneres Auge, Nase, Zunge, Ohr und so weiter zu haben, lässt sich direkt in Pfund und Kilogramm messen.

    Das Gleiche gilt für unsere Überzeugungen.

    Wenn jemand einen Dämon gesehen hat, fällt es ihm schwer, die Existenz von bösen Wesen infrage zu stellen. Das Gleiche gilt, wenn jemand ein lebhaftes Bild von einem Dämon entwickelt hat.

    Wenn jemand ein Modell des Himmels hat und bewusst oder unbewusst einige Bilder, Gerüche, Geschmäcker, erwartete Berührungen und Töne damit assoziiert, ist es schwieriger, loszulassen.

    Aber nicht nur das. Wenn du dich an Situationen zurückerinnern kannst, in denen du über das Konzept des Himmels oder der Hölle unterrichtet wurdest und dir den Prediger deines Vertrauens vorstellst, der es dir in anschaulichen Bildern erzählt hat, machen es diese Darstellungen schwerer, loszulassen.

    Die Bibel zeigt uns, dass wir als Menschheit und als Einzelpersonen über Schatten und Bilder hinauswachsen sollen. Wir sollen die Dinge nach dem Muster erschaffen, das Gott uns zeigt.

    Unsere Fähigkeit, das zu sehen und zu verstehen, was für uns eigentlich unverständlich ist, wächst mit der Erfahrung und Reife. Das bedeutet, dass wir zu dem Muster, das uns gezeigt wurde, zurückkehren und unsere Darstellung anpassen müssen, wenn wir mehr begreifen.

    Zu dem Muster zurückzukehren bedeutet nicht, dass wir uns auf die Darstellung oder die Erinnerung an das Muster beziehen, die wir vor unserem inneren Auge haben. Es bedeutet, das Muster selbst noch einmal durch eine neue Linse zu betrachten und zu verstehen.

    Lass los, was du zu wissen glaubst, vertraue auf deine Beziehung zu Gott und revidiere dein Weltbild auf der Grundlage einer tieferen Einsicht, die dir gegeben wurde.

    Schatten werden zu Bildern und dann zur Realität. Später wirst du erfahren, dass das, was für dich real war, ein Schatten von etwas viel Tieferem war.

    Und es geht von vorne los.

  • Hochbegabt und Christ

    Ja, das gibt es: hochbegabte Menschen, und sie können sogar eine Beziehung zu Gott haben.

    Aber hat die Bibel über sie nicht folgendes gesagt?

    Wo bleiben da die Weisen, die Schriftgelehrten, die glänzenden Redner? Gott hat sie zu Narren gemacht und ihre Weisheit als nutzlosen Unsinn entlarvt. (1. Korinther 1:20)

    Wo sind die Sophos, Graphos und Suzetetes? Die sich weise nennen, die Schreiber und Debattierer?

    Der Brief des Paulus geht an die Korinther. Das waren Griechen. Paulus bediente sich immer Bilder, die seine Leser verstehen konnten. Es geht hier also nicht um die Pharisäer, die Schriftgelehrten und die Rabbis, wie so oft vorgeschlagen.

    Viel eher geht es um die Philosophen, die Gelehrten und die Sophisten der Griechen. Es geht auch nicht primär um die Menschen in der Gemeinde, obwohl wir von manchen Theologen, Schriftstellern und Apologeten oft dasselbe sagen könnten:

    Obwohl die Welt von der Weisheit Gottes durchdrungen ist, konnten sie ihn durch ihre Weisheit nicht finden. (1. Korinther 1:21a)

    Und obwohl das so ist, habe ich es oft erleben müssen, dass diese Verse als Waffe gegen intelligente Menschen in der Gemeinde verwendet wurden.

    Im alten Griechenland hätte man mich wohl als Suzetetes bezeichnet, als einer, der ständig Fragen stellt und vieles hinterfragt. Auch einer guten Debatte gehe ich nicht aus dem Weg.

    Die Antwort, die ich meist bekam, war eine von zweien:

    „Gott hat uns nicht gebeten, das zu verstehen, er hat uns befohlen, das zu glauben.“

    Die Zweite?

    „Es steht geschrieben.“

    Dieser Aussage folgten ein paar Verse mit der gemeindekonformen Auslegung, welche dann bewies, dass der Fragende falsch lag. Alternative Auslegungen gab es nicht, denn so wurde das Gegenüber gelehrt und Verwirrung verhindert.

    Doch sagen diese Verse nichts über Intelligenz aus, höchstens über deren Verwendung. Intelligenz kommt in der Bibel nicht vor, jedenfalls nicht in Reinform. Weisheit ist etwas anderes.

    Gehen wir also für den Moment davon aus, dass es in der Gemeinde intelligente Personen geben kann.

    Was aber ist Hochbegabung?

    In den letzten Jahrzehnten wurde der Intelligenzbegriff auf verschiedene Gebiete ausgeweitet. Er gilt nicht mehr nur im intellektuellen Bereich, sondern es gibt emotionale, kreative, sensorische, physische und existenzielle Intelligenz.

    Ich benenne diese Bereiche lieber mit dem Begriff Kompetenz, weil Intelligenz sehr stark mit der intellektuellen Kompetenz verhaftet ist.

    In all diesen Bereichen gibt es Menschen, die eher unbedarft durchs Leben gehen: Ich selbst bin staksig und absolut sport-avers. Meine physische Kompetenz ist sehr unterdurchschnittlich, was man von einem Hochleistungssportler sicher nicht sagen kann.

    Ausgehend von der intellektuellen Intelligenz wurden nun grobe Kategorien geschaffen. Die reichen von eher unbegabt über normal begabt, milde, moderat, hoch, aussergewöhnlich bis zu profund.

    Wir könnten den einzelnen Kategorien für die intellektuelle Intelligenz jetzt IQ-Bereiche zuordnen, aber ich lass das für den Moment, denn für die anderen Kompetenzen gibt es keine solch genaue Metrik.

    Wichtig aber ist, dass die meisten Menschen linear denken, also Schritt für Schritt vorgehen. Mild und moderat begabte Menschen fassen mehrere Schritte zusammen und überspringen gewisse davon. Man sagt dem „skip thinking“. Ab der Hochbegabung allerdings wird nicht nur schneller, sondern qualitativ anders gedacht.

    Man nennt das „Meta-Denken“. Hier eine Definition von Jennifer Harvey Sallin von InterGifted:

    Meta-Denken besteht darin, einfache Muster in komplexen Informationen zu finden, Beziehungen zwischen verschiedenen, scheinbar unzusammenhängenden Aspekten zu erkennen und logische Diskrepanzen und praktische Probleme auf nichtlineare Weise zu entdecken und kreativ zu lösen.

    Beim Meta-Denken kann man über das eigene Denken nachdenken, über die Art und Weise, wie man lernt, weiss, sich erinnert und versteht, und man kann seine Gedanken auf das „grosse Ganze“ oder auf „nicht-lineare“ Visionen und Erkenntnisse anwenden.

    Ungefähr ein Hundertstel der Bevölkerung sind intellektuelle Meta-Denker.

    Ähnliche Kategorien gibt es für alle Kompetenzen, auch wenn sie von der Wissenschaft noch nicht so exakt erforscht wurden.

    Interessant für die Gemeinde ist vor allem auch die existenzielle Kompetenz. Sie umfasst die Bereiche Sinn, Werte, Ethik, Moral, ökologische Zusammenhänge und die Natur der Realität.

    Abgesehen von den ökologischen Zusammenhängen sind dies genau die Bereiche, mit denen sich Religion und damit auch das Christentum befassen. Sind also alle Christen existenziell begabt? Ist ein Pastor, der in der Bibel, einem komplexen Buch, gewisse Zusammenhänge und Muster entdeckt, also mindestens existenziell hochbegabt, ein existenzieller Meta-Denker?

    Leider funktionieren unsere Gemeinden heute nicht so.

    Lasst mich das an meiner eigenen Erfahrung deutlich machen: Unser Pastor hatte seine Überzeugungen durch seine Pastoren erhalten. Die Denomination, oder in unserem Fall, das apostolische Netzwerk wusste, wie die Bibel zu verstehen war. Abweichungen waren selten, und noch seltener gern gesehen.

    Ein Meta-Denker lässt es zu, vorgefasste Meinungen, auch Lehrmeinungen, zu hinterfragen, denn er weiss, dass die Bibel allein und eine Interpretation der Bibel auf keinen Fall das grosse Ganze darstellt.

    Nicht die Bibel ist das Wort Gottes. Gemäss der Bibel ist Christus das Wort Gottes.

    Sind dann wenigstens Theologen existenzielle Meta-Denker? Ihr ahnt es schon: in den wenigsten Fällen. Die heutigen theologischen Methoden und die Korsette der allgemein anerkannten Doktrin erlauben es den wenigsten, in diesen Kategorien zu denken.

    Im Gegenteil. Die Gemeinde heute scheint sich an Schritt-Denker zu wenden, Menschen, die gern von jemand anderem erfahren, wie die Dinge sich verhalten. Und das umfasst die Lehrer genauso wie die Hörer. Es gibt sogar erschreckende Ergebnisse, die zeigen, dass der durchschnittliche IQ in den Gemeinden und Kirchen niedriger ist als in der Gesamtbevölkerung.

    Wie kann eine solche Gemeinschaft die Heimat sein für intellektuelle und existenzielle Meta-Denker? Kurz gesagt, sie kann es nicht, oder nur zum Schaden des hochbegabten Meta-Denkers.

    Wir kennen das von introvertierten Personen. Wenn sie sich zu lange an die im Allgemeinen extravertierte Gemeinde anpassen, werden sie krank. Das reicht vom Burn-out über Depressionen bis zu physischen Krankheiten, nämlich dann, wenn der Körper sich meldet und ganz einfach nicht mehr mitmacht.

    Die Anzeichen bei Meta-Denkern sind ähnlich. Hier sind es Boreout, Depressionen, Einsamkeit, Rebellion und physische Krankheiten.

    Ich selbst bin intellektuell und existenziell hoch+-begabt (hoch+ bedeutet im Bereich von hoch, aussergewöhnlich oder profund).

    Lange Zeit versuchte ich, die fehlende Herausforderung und die gesetzten Grenzen in der Gemeinde in meinem Beruf zu kompensieren. Für eine gewisse Zeit war das im intellektuellen Bereich auch möglich: als Programmierer und Softwarearchitekt, im Studium der Computerwissenschaften und der Mathematik.

    Doch zwei Dinge geschahen: erstens wurde die Informatik sogenannt „reif“. Das heisst, sie wurde langweilig. Standards, Best Practices, all das vermieste uns Meta-Denkern die Freude.

    Zweitens wurde mir aber auch ein schlechtes Gewissen gemacht. All das, was mich an der Informatik faszinierte, wurde in der Gemeinde als „alte Natur“, als „sich auf den eigenen Verstand verlassen“ und als weltliche Versuchung, und mein Spezialgebiet, die künstliche Intelligenz, sogar als Technologie vom Teufel verstanden.

    Introvertierten wird oft ein gutes Christenleben abgesprochen, da sie Schwierigkeiten haben, den Erwartungen an Gemeinschaftsleben, Evangelisation, und Ausdruck von Emotionen als Beweis der Hingabe gerecht zu werden.

    Meta-Denkern wird oft der Glauben abgesprochen.

    Solange wir in der Gemeinde Zweifel als das Gegenteil von Glauben betrachten, wird das so bleiben.

    Das Gegenteil von Glauben aber ist es, sich sicher zu sein. Glauben bedeutet, trotz Zweifel, trotz Unsicherheit, trotz Unbeweisbarkeit an etwas festzuhalten.

    Sich sicher zu sein schliesst Fragen aus, verhindert eine weitere Suche, und damit auch Wachstum.

    Sich sicher sein zu müssen, bedeutet, sich auf externe Quellen zu verlassen. Da jeder gesunde Mensch Zweifel hat und sich seiner mangelnden Kompetenz bewusst ist, den Glauben wirklich zu verstehen, verlässt man sich auf die Menschen, die Gott dazu gesalbt hat.

    Jetzt ist die Wahl wesentlich vereinfacht: Es geht nur noch darum, diejenigen gesalbten Personen zu finden, die wirklich gesalbt sind. Auch hier verlassen wir uns auf eine externe Quelle: Gott hat mich in diese Gemeinde geführt.

    Dass diese Aussage nur dann hinterfragt wird, wenn ich mit der Persönlichkeit oder der Lehre der Gemeinde nicht mehr einverstanden bin, deutet jedoch in den meisten Fällen darauf hin, dass wir uns doch eher eine Gemeinde ausgesucht haben, die uns gefiel.

    Doch zurück zum Zweifel. Zweifel als Wachstumshormon? Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch haben wir immer wieder ein Umdenken erlebt. Verse wurden neu interpretiert und es entstanden neue Strömungen. Ohne Zweifel an der Tradition ist dies gar nicht möglich, wie uns Luthers Leben eindrücklich zeigt.

    Genauso, wie ich überzeugt bin, dass die Gemeinde introvertierten Mitgliedern entgegenkommen, den erwarteten christlichen Lebensstil und die Angebote erweitern sollte, bin ich überzeugt, dass dies auch für Meta-Denker geschehen sollte.

    Streaming-Angebote erlauben es introvertierten Menschen, von zu Hause aus an der Predigt teilzunehmen, wenn die Energie nicht reicht.

    Die Erlaubnis, erst nach der oft lauten, überfordernden Anbetungszeit in den Gottesdienst zu kommen, ohne dafür schief angesehen zu werden, ist oft für Hochsensible wichtig.

    Gar nicht am Gottesdienst teilnehmen und der Predigt für Schritt-Denker folgen zu müssen, ohne in der nachfolgenden Gemeinschaftszeit im Dialog mit anderen tiefer gehen zu können, ist eine Erleichterung für Meta-Denker.

    Introvertierte werden andere Angebote der Gemeinde lieben, sei es die Betreuung einzelner Menschen oder interessante neue Angebote wie zeitlich abgesprochenes Gebet zu Hause, allein in der Synchronizität mit anderen.

    Meta-Denker lieben es, im Dialog mit anderen neuen Gedanken nachzugehen. Sie tauschen diese mündlich oder schriftlich aus und können die Gedanken anderer sowie die eigenen aperspektivisch, von verschiedenen Seiten und ohne Wertung betrachten.

    Ich denke an Kleinstgruppen, mit der Freiheit, weit über die Grenzen der anerkannten Doktrin und der erlaubten Themen zu sprechen, ohne Kontrolle, aber vielleicht mit der Beteiligung der Gemeindeleitung, und oft mit einer Reichweite über die Denomination hinaus.

    Die traditionelle Gemeinde hat es noch nicht gelernt, die verschiedensten Persönlichkeiten zu integrieren. Früher, als das Konzept der Persönlichkeit noch nicht allgemein bekannt war und ein Dasein hinter universitären und Klostermauern fristete, brauchte es dies auch noch nicht.

    Doch spätestens in der Reformation hat Gott uns gezeigt, dass wir Individuen sind, und in der Ausgiessung des Heiligen Geistes, dass wir verschiedene Persönlichkeiten haben.

    Gott selbst hat die Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet gelenkt. Er ist überzeugt, dass die Gemeinde, dass der Mensch reif genug ist, tiefer zu gehen.

    Es genügt heute nicht mehr, einer Gemeinschaft anzugehören, um geistlich zu wachsen, wie es vor der Reformation der Fall war. Wir dürfen eine individuelle Beziehung mit Gott haben. Genau so dürfen wir heute mit unserer Persönlichkeit, unserer Verschiedenheit, unseren Gaben dienen.

    Und die Gemeinde darf und soll auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen können, was sie auch kann, denn sie hat die dazu begabten Personen in ihren Reihen.

    Ich habe jetzt nicht über die kreative Kompetenz gesprochen. Auch da gibt es Meta-Denker. Vielleicht ist es an der Zeit, diese intellektuellen, kreativen und existenziellen Meta-Denker in die Gestaltung von Gemeinde, der Doktrin einzubeziehen.

  • Als neuroatypische introvertierte Person ein Buch schreiben

    Ich bin neuroatypisch, introvertiert, INTP, und ein Enneagramm 5. Das heisst, ich bin eine sehr private Person. Seit Jahren hatte ich die Idee, ein Buch zu schreiben. Nach allem, was ich in den letzten fünf Jahren erlebt habe, wusste ich, dass andere von meinen Erfahrungen und Ratschlägen profitieren würden.

    Aber meine grössten Fragen blieben: „Wie schreibe ich über mich selbst, ohne wie ein Narzisst zu wirken, ohne dass sich der Leser wie ein Voyeur fühlt, und teile doch die notwendigen Details meines Lebens, damit alles andere später verstanden werden kann? Und was noch wichtiger ist: Wie kann ich es der Öffentlichkeit zugänglich machen, wenn Fremde dann Dinge über mich erfahren, die ich für privat und persönlich halte?“

    Hier ist die Hintergrundgeschichte, wie ich es schliesslich geschafft habe!

    Kairos-Momente

    Kairos-Momente sind Momente des Durchbruchs, Momente, in denen eine Idee einfach reif ist; Momente, in denen die Dinge an ihren Platz fallen.

    Bei meinem Buchprojekt gab es ein paar davon.

    Frühe Versuche

    Mein Sohn hatte 2006 einen schrecklichen Autounfall in Kanada. Er lag einige Monate im Koma und war noch einige Monate in der Reha, bevor er nach Hause kam. Seine Genesung dauerte Jahre.

    Als Teil des Verfahrens mussten wir uns jedes Jahr mit Anwälten und Ärzten in Kanada treffen. In dieser Zeit entwickelte ich die Idee für ein Buch über all die Episoden, in denen wir unseren Sohn ein zweites Mal durch die Phasen der ersten Kindheitsjahre brachten.

    Es sollte drei Zwecken dienen: 

    • dass wir nicht vergessen, 
    • dass mein Sohn erfährt, was er nicht wusste, 
    • und dass andere davon profitieren können.

    Darin erkannte ich, dass ich SDAM hatte.

    SDAM

    Schwere Defizite im autobiografischen Gedächtnis (Severely Deficient Autobiographical Memory, SDAM) bezeichnen die lebenslange Unfähigkeit, sich lebhaft an vergangene persönliche Ereignisse aus der Ich-Perspektive zu erinnern oder diese wieder zu erleben.

    Ich weiss nur sehr wenig über meine Kindheit. Das meiste wurde mir von meiner Mutter erzählt. Das ist normal bei Episoden aus den ersten Jahren, aber für mich gilt das sogar für mein ganzes Leben.

    Als ich die Idee hatte, ein Buch zu schreiben, erinnerte ich mich an etwas, das ich vergessen hatte. In der Schule war ich ein produktiver Schreiber. Wenn ich etwas schreiben musste, bekam ich vorwiegend Noten ausserhalb der Skala (7 auf einer Skala von 6 oder A++) dafür, sodass andere eine Chance hatten, zu bestehen.

    Ich wollte vermeiden, dass ich die Episoden mit meinem Sohn vergesse!

    Autopsychotherapie

    Mir wurde gesagt, dass viele Psychotherapeuten ihre Patienten ermutigen, ein Buch über ihr Leben und das, was sie in der Therapie gelernt haben, zu schreiben.

    Das hat mir kein Therapeut gesagt, sondern ein Redakteur und Verleger. Er fügte hinzu, dass diese Bücher zwar für die Autoren von grossem Wert sind, aber in der Regel einfach nur schrecklich im Stil und langweilig für diejenigen, die nicht mit dem Autor verbunden sind.

    Das Schreiben dieses Buches war autopsychotherapeutisch.

    Aber ich bin nie über 20.000 Wörter denkwürdiger Erlebnisse hinausgekommen.

    Der zweite Versuch

    Im Jahr 2012 kam der Prozess rund um den Unfall zu einem formalen Abschluss. Für meine Frau und mich begann eine Zeit der Erholung, und das Buchprojekt wurde auf Eis gelegt.

    Sieben Jahre später begann ein weiterer komplizierter Prozess, der diesmal mich selbst betraf. Schwere gesundheitliche Probleme führten zu einer positiven Desintegration, die dazu führte, dass wir unsere Kirchenzugehörigkeit, unseren Job und die meisten Beziehungen verloren.

    In dieser Zeit entdeckte ich eine Reihe von Werkzeugen, die mir halfen, mich weiterzuentwickeln, von Persönlichkeitsanalysen wie CliftonStrengths und dem Enneagramm bis zu Spiral Dynamics und der Theorie der positiven Desintegration.

    Sie halfen mir, mit der Dekonstruktion und Rekonstruktion meines Glaubens umzugehen.

    Nachdem ich aus meiner Kirche rausgeworfen worden war, wusste ich, dass ich ein Buch schreiben musste, das meine Geschichte mit einer Einführung in die Werkzeuge, die mich durchgebracht hatten, verbindet.

    So entstand die Idee zu meinem Buch „Die ungefilterten Gedanken eines Pastors im Exil“.

    Mein Prozess des Schreibens

    Ich wollte drei Dinge verhindern:

    • das Projekt nicht zu Ende zu führen
    • oberflächlich und rein theoretisch zu sein
    • rückgratlos zu sein und nicht zu veröffentlichen

    Ich habe mir diesen massgeschneiderten Plan ausgedacht.

    Meine Blogeinträge sind in der Regel etwa 1000 Wörter lang, also wusste ich, dass ich ohne Probleme Beiträge dieser Länge schreiben konnte.

    Ich eröffnete ein Konto bei Substack, einer Plattform für Journalisten im Internet mit einer ausgeklügelten Paywall, die kostenlose Artikel mit bezahlten vermischt. Die bezahlten Artikel wurden meinen kostenlosen Abonnenten in Form eines Teasers mit einem Abo-Button per E-Mail zugeschickt.

    Ich plante grob eine Struktur für das, worüber ich schreiben wollte. Jedes Kapitel konzentrierte sich auf ein Werkzeug und enthielt acht Beiträge mit etwa 1000 Wörtern. Der erste Beitrag ist autobiografisch, die folgenden sechs befassen sich mit der Theorie und der letzte beantwortet eine von zwei Fragen, sodass die Idee für meine Leser in ähnlichen Situationen anwendbar ist.

    Die beiden Fragen lauten:

    Warum habe ich die Kirche verlassen? Die Analyse der Kirche würde Aufschluss darüber geben, warum sich eine Person in ihrer Situation unwohl fühlt.

    Wie könnte eine Kirche mit diesem Werkzeug aussehen? So konnte mein Leser sein mehrstufiges Ideal definieren.

    Schliesslich gab ich mir einen Veröffentlichungszeitplan. Jeden zweiten Tag würde ich einen neuen Artikel veröffentlichen. Der Tag dazwischen diente dazu, den Geist und die Seele nach passenden autobiografischen Episoden zu durchforsten.

    Ich gewährte zwei Abonnements für Leute, von denen ich Feedback wollte, und eine Person abonnierte, indem sie für den Zugang bezahlte. Drei weitere Leser folgten mir für der kostenlosen Sachen.

    Innerhalb von 116 Tagen habe ich 59 Artikel geschrieben. Mission erfüllt.

    Ich nahm auch an der Writing Master Class von Jan Provoost teil. Die Rückmeldungen haben mir viel Mut gemacht.

    Und dann verlor ich den Mut.

    Publizieren als Introvertierter

    Ich bin ein sehr zurückgezogener Mensch. Ich hatte aber über mich gelernt, dass ich kein Problem damit hatte, etwas öffentlich zu erzählen, wenn es einmal öffentlich war.

    Aber das hier war ein ganz anderes Kaliber. Dieses Mal würden Fremde intime Dinge über mich wissen.

    Ich kämpfte sehr mit mir selbst. Ich wusste, dass ich den üblichen Weg über einen Verlag nicht gehen konnte, denn ich erinnerte mich an die Worte dieses Lektors: autopsychotherapeutisch, aber meist schlecht geschrieben und langweilig.

    Ich wusste, dass ich aufgegeben hätte, wenn ich ein paar Ablehnungen bekommen hätte.

    Natürlich kam mir das positive Feedback meiner Leser auf Substack und im Schreibkurs zugute.

    Ich kopierte alle Texte zur Überarbeitung in Scrivener, schrieb ein paar mehr und erstellte automatisch ein E-Book.

    Ich war bereit, es meiner Frau zum ersten Mal zu geben. Sie ist eine begeisterte Leserin, liest aber normalerweise vor dem Schlafengehen; dafür ist mein Buch nicht gedacht. Sie fand es schwer zu lesen und kompliziert, aber sie liebte es, so viele neue Dinge über mich zu erfahren.

    Ehepartner von introvertierten Menschen mit SDAM haben Schwierigkeiten, ihre Partner kennenzulernen.

    Eines Tages erinnerte ich mich daran, dass man mit Scrivener auch Kindle-E-Books erstellen kann, und ich schaute mir das Self-Publishing bei Amazon an.

    Ich fand heraus, dass es verdammt einfach war und in weniger als einer Stunde erledigt war. Der Prozess umfasst:

    • Eingabe der Metadaten für das Buch
    • Hochladen deines Textes im ePub- oder PDF-Format
    • Entwerfen einer Hülle mit dem Tool von Amazon
    • Festlegen eines Preises

    Sobald das E-Book fertig war, konnte ich mit wenig Aufwand ein Softcover und ein Hardcover hinzufügen.

    Und nun begannen die schwierigsten 72 Stunden. So lange braucht Amazon, um eventuelle Urheberrechtsprobleme zu prüfen und das Buch an alle Geschäfte weltweit zu verteilen.

    Ich fügte eine „Author Central“-Seite hinzu und machte einige enthusiastische Posts auf Facebook (wo ich keine Freunde habe), Twitter (mit 30 Followern), Instagram (hier habe ich 89 Follower) und LinkedIn (ein Netzwerk von 14).

    In den Facebook-Gruppen habe ich nicht gepostet, weil ich das für selbstherrlich und für alle anderen als für die Klasse der Schriftstellerinnen und Schriftsteller unpassend fand.

    Und dann habe ich auf den ersten Verkauf gewartet. Bis heute habe ich 23 Exemplare verkauft. Laut Statistik sind das etwa 9 % der durchschnittlichen Verkaufszahlen während der Lebensdauer eines Buches, aber ich strebe mehr an.

    Ich habe zwei Kundenrezensionen gesammelt, beide fünf Sterne, auf Deutsch. Ich kenne fast alle Leser persönlich. Ich fühle mich wohl mit diesem langsamen Prozess, da er mir Zeit gibt, mich anzupassen, und gleichzeitig enttäuscht.

    Amazon

    Was liebe ich am Self-Publishing auf Amazon? Abgesehen von der verblüffend einfachen Erstveröffentlichung kann ich jederzeit neue Versionen hochladen, die dank Print-on-Demand innerhalb von 72 Stunden die Grundlage sowohl für das E-Book als auch für die gedruckte Version bilden. Und ich muss die erste Auflage nicht vorfinanzieren.

    Englische Version

    Nachdem ich den ersten Verkauf und die erste Kundenrezension erhalten hatte, machte ich mich daran, das Buch ins Englische zu übersetzen.

    Ich habe das Buch mit DeepL übersetzt, einer phänomenalen Übersetzungssoftware, und das sage ich als jemand, der Computerlinguistik studiert hat.

    Dann habe ich das Buch bearbeitet und den Stil an meinen eigenen angepasst.

    Anschliessend benutzte ich Grammarly und LanguageTool, um Grammatik- und Stilprobleme zu erkennen, und den Hemingway-Editor, um übermässig komplizierte Sätze und zu viele Adverbien zu entdecken.

    Es dauerte einen Monat, bis ich bereit war, meine erste Version des englischen E-Books und Softcovers hochzuladen.

    Meine ersten beiden Leser, gute Freunde, gaben mir Feedback zu meinem Englisch, und ich erstellte eine korrigierte Version. Sie zeigt zwar immer noch, dass sie von einem Autor stammt, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, ist aber viel besser.

    Ich habe eine Website eingerichtet, auf der du einen Auszug lesen, PDF- und ePub-Versionen direkt kaufen oder deinen Amazon-Shop aufrufen kannst, um Kindle- und Printversionen zu kaufen.

    Sie heisst pastorinexile.com.

  • Sinn im Leben

    So schuf Gott den Menschen als sein Ebenbild, als Mann und Frau schuf er sie.

    1. Mose 1:27

    In den letzten Tagen erhielt ich einen Newsletter von A.J. Drent, einem Psychologen, der im Bereich Persönlichkeittypologien mit dem MBTI unterwegs ist.

    Der Text bezieht sich auf ein Papier „The Three Meanings of Meaning in Life„, in dem Frank Martela und Michael Steger behaupten, dass ein Schlüsselaspekt des Sinns im Leben ein Gefühl der Kohärenz ist. Laut den Autoren ist Kohärenz das kognitive Element der Bedeutungsbildung, ein Versuch, unsere Lebenserfahrungen „sinnvoll“ zu machen. Für die meisten von uns wird dies durch Selbsterzählung erreicht, indem die verschiedenen Stränge unseres Lebens zu einem sinnvollen Ganzen verwebt werden.“

    Die drei Bedeutungen sind nach Ansicht der Autoren:

    • Kohärenz
    • Zweck
    • Bedeutung

    Ich finde Kohärenz am interessantesten. Um zu beschreiben, wofür es steht, lassen Sie mich das Papier zitieren:

    Sinn im Leben wird oft damit in Verbindung gebracht, dass Menschen die Welt verstehen und sie verständlich und kohärent machen. Dies wird oft als kognitive Komponente des Sinns im Leben bezeichnet, bei der es darum geht, „die eigenen Lebenserfahrungen zu verstehen“ (Reker & Wong, 1988, S. 220). Das Leben ist kohärent, wenn man in der Lage ist, verständliche Muster darin zu erkennen, um die Ganzheit verständlich zu machen. Mit anderen Worten, Bedeutung als Kohärenz wird als „das Gefühl angesehen, dass seine Erfahrungen oder das Leben selbst Sinn machen“ (Heintzelman & King, 2014b, S. 154).

    Persönlich glaube ich, dass wir Probleme bekommen, wenn unsere externen Erfahrungen und unsere interne Wiedergabe der Welt nicht mehr kohärent sind. Die Welt ergibt für uns (im Extremfall) keinen Sinn mehr, und wir müssen reagieren, um das Gleichgewicht, die Bedeutung und die Mittel der Sinnbildung wiederherzustellen. Ich nenne diesen Zustand oder Prozess den Zerfall.

    Wir können leicht Parallelen zu den Ebenen von Dabrowskis Modell der positiven Desintegration ziehen: Der Weg von I nach II führt zu einer solchen Inkohärenz. Ähnliches gilt für den Veränderungsprozess gemäss Spiral Dynamics.

    Offensichtlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen: die Erfahrungen, die die Inkohärenz verursachen, zu negieren, weg zu erklären und zurück zu gehen in Level I, ins primäre Alpha zu integrieren. Oder wir können unser Weltmodell anpassen, um es besser an die Realität anzupassen und die Reise durch die Ebenen zu beginnen.

    Wir befinden uns daher in unserem positiven Zerfall auf der Suche nach einer besseren Erzählung. Ich weiss, dass dies ein großes Unterfangen ist.

    Ich habe bereits früher über den Weg des Wandels und die Erfahrungen geschrieben, die diese Veränderung in meinem Leben bewirkt haben. Gleichzeitig ist es wichtig zu teilen, wie ich die Welt jetzt ausdrücklich anders sehe und wie ich sie verstehe, da dies für andere hilfreich sein könnte.

    Ich werde mal meine Geschichte erzählen, und hoffe, da dies keine einfache Frage ist, dass ein Beispiel Ihrem eigenen Denkprozess hilft.

    Wenn ich mir das Leben ansehe, kann ich Entwicklung und Wachstum als die grundlegenden Faktoren erkennen, ganz gleich, ob wir die Evolution der Arten bow. die Schöpfung, die Entwicklung des Bewusstseins, oder eine einzelne Pflanze, ein Tier oder einen Menschen betrachten.

    Die grosse Frage für mich ist, ob es in all dem einen Zweck gibt, der tiefer ist als das blosse Überleben des Individuums oder der Art durch Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen. Ich persönlich glaube, dass es das gibt.

    Wie Sie aus anderen Beiträgen wissen mögen, war ich viele Jahre Pastor und Lehrer einer Freikirche, und ich glaube immer noch an die christliche Erzählung, wenn auch nicht in der Interpretation, wie sie normalerweise dargestellt wird.

    Ich glaube, dass der evolutionäre Prozess ein Ziel hat, das in der Bibel beschrieben wird: Gott will Gemeinschaft mit seiner Schöpfung haben. Besonders die christliche Erzählung drückt dies wunderschön aus: Wir wurden nach dem Abbild Gottes geschaffen.

    Übrigens gilt das in beide Richtungen: Wir haben Gott auch nach unserem Abbild geschaffen.

    Ich sehe eine Parallele dafür in unserem eigenen Leben. Wir sind sowohl nach dem Bild unserer Eltern gemacht, haben aber auch unser eigenes Bild von unseren Eltern, das sich im Laufe unseres Lebens ändert. Alle unsere drei Kinder kamen, nachdem sie uns in ihren Teenagerjahren nicht verstanden hatten, zurück, um uns später für das zu danken, was wir waren.

    Einmal erwachsen, sind unsere Kinder in vielerlei Hinsicht wie wir geworden und in all ihrer Individualität zu dem Modell herangewachsen, aus dem sie entstanden sind. Und ich glaube, dass dies sowohl unser Ziel als Individuum als auch als Menschheit ist.

    Der elterliche, erzieherische Plan, den Gott hat, kann in unserer persönlichen Vergangenheit und unserer Geschichte als Menschheit gesehen werden, und das gibt uns eine Ahnung, wohin die Zukunft führen könnte.

    Für mich scheint es, als ob Gott immer wieder neue Themen einführt, die wir lernen können, wann immer wir dazu bereit sind. Bereit in dem Sinne, als dass wir bisher Gelerntes als Fundament soweit integriert haben, die Fähigkeit entwickelt haben, komplexer zu denken, und bereit sind, der Inkohärenz unserer Erfahrungen mit unseren Erklärungen der Welt zu begegnen. Kurz gesagt: bereit zum Zerfall. Loslassen, um das Neue zu erfassen.

    Lassen Sie mich Ihnen einige der Schritte zeigen, die wir alle und die Menschheit als Ganzes durcharbeiten:

    • Wir entwickeln Bewusstsein. Dennoch konzentrieren sich unsere Bedürfnisse noch auf das Überleben.
    • Wir lernen, uns innerhalb einer Familie oder eines Stammes richtig zu verhalten und einzugliedern, einer Gruppe von blutsverwandten Menschen, die uns im Allgemeinen lieben.
    • Von dieser Sicherheit aus beginnen wir, die Welt zu erkunden. Wir entwickeln Entschlossenheit und entdecken unsere eigene Stärke. Wir brechen aus und beginnen, Hierarchien basierend auf dem Recht des Stärkeren aufzubauen. Wir entwickeln ein Ego.
    • Wir erkennen die negativen Auswirkungen unseres egoistischen Verhaltens und die Notwendigkeit, die Diktatoren im Zaum zu halten. Wir entwickeln Regeln, die nicht vom König gegeben werden, da Könige sich normalerweise nicht an ihre eigenen Regeln halten, sondern von einer höheren Instanz. Dies führt zu Monotheismus, gottgegebenen Hierarchien, Moral und Ethik und Gruppen, die wie Nationalstaaten oder Institutionen auf gemeinsamen Interessen basieren.
    • Wir entdecken den Wert des Einzelnen und beginnen, unserer Individualität meist innerhalb der Grenzen des gelehrten moralischen und ethischen Rahmens Ausdruck zu verleihen, z.B. in der Wirtschaft. Dies führt auch zum Hinterfragen gottgegebener Erklärungen für die Welt und damit zur Wissenschaft. Wir sehen die Welt nur als materialistisch und alles wird möglich.
    • Wir erleben die Grenzen dieses Machbarkeitsdenkens in dessen Folgen: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Einkommensschere, usw. Wir wollen uns auf einer noch grösseren Ebene als Institutionen oder Nationen integrieren und beginnen, die Welt als Ganzes zu betrachten.

    Aber bisher kämpfen wir immer gegen die vorherigen Entwicklungsschritte:

    • Diese traditionellen Institutionen mit all ihren Regeln halten unser Forschen und Streben zurück.
    • Ihre Systeme von Richtig und Falsch schliessen aus, wer anders denkt.
    • Die Menschen, die denken, dass alles machbar sei, zerstören unseren Lebensraum.

    Um nur einige Beispiele zu nennen, wie die einzelnen Stufen über die anderen denken.

    Es ist ein weiterer Schritt, diese Weltanschauungen zu integrieren und zu sehen, wie jede jeweils einen Beitrag zu komplexen Lösungen leisten kann.

    Das ist meine Erzählung über die Welt. Was bringt es in mir hervor?

    Sie sagt mir, ich solle geduldig mit Menschen sein, die eine bestimmte Weltanschauung haben, da sie bis zu einem bestimmten Punkt in ihrem Leben gewachsen sind.

    Sie sagt mir, dass jeder Grund hat zu glauben, was er glaubt, und dass jeder etwas zum Ganzen beizutragen hat.

    Sie gibt mir eine Sprache, mit verschiedenen Menschen in verschiedenen Stadien zu sprechen, nicht nur aufgrund ihres Alters (wir sprechen nicht mit Kleinkindern wie mit Teenagern), sondern auch aufgrund ihres mentalen Modells der Welt.

    Das hat in mir Hoffnung geweckt und mir Sinn gegeben. Es hat mir ermöglicht, Menschen mit einem bestimmten Weltmodell zu verstehen, das mir selber oft als eher inkohärent und viel zu einfach erscheint.

    Ich habe mit mir selbst und (den meisten) Menschen um mich herum Frieden geschlossen, seit ich diese Weltanschauung angenommen habe.

    Was meinen eigenen Zweck bei all dem betrifft: Ich werde den Menschen helfen zu wachsen und sie an dem Ort treffen, an dem sie sich befinden, nicht an dem Ort, an dem ich mich befinde. Ich werde ihnen hoffentlich helfen, die nächsten Schritte zu sehen.

    Menschen zu helfen, wie Gott zu werden, ist ziemlich wichtig, nicht wahr?

  • Ist Gott beweisbar

    Seit Erschaffung der Welt haben die Menschen die Erde und den Himmel und alles gesehen, was Gott erschaffen hat, und können daran ihn, den unsichtbaren Gott, in seiner ewigen Macht und seinem göttlichen Wesen klar erkennen. Deshalb haben sie keine Entschuldigung dafür, von Gott nichts gewusst zu haben.

    Römer 1:20

    Ist das so? Ist Gott in seiner Schöpfung sichtbar? Sichtbar für den, der an ihn glaubt, ist er sicherlich. Aber ist er sichtbar über jeden Zweifel hinaus?

    Eine andere Frage: ist es überhaupt wünschbar, dass Gott über jeden Zweifel hinaus sichtbar ist in der Natur?

    Wäre Gott beweisbar, wäre Glaube dann noch notwendig?

    Nehmen wir Schach als Beispiel. Wenn es einem Computer gelingt, ein zwingendes Schach zu konstruieren, d.h. eine Zugfolge für jede mögliche Position auf dem Brett, die zwingend zum Gewinn des Spiels führen würde, dann wäre Schach kein Spiel der Könige mehr. Es würde auf die Ebene von Tic-Tac-Toe reduziert, wo jemand nur gewinnen kann, wenn der Gegner einen Fehler macht.

    Wäre Gott beweisbar, käme dies einem zwingenden Schach gleich. Nur Verschwörungstheoretiker würden ihn ablehnen, einfach weil sie alles ablehnen, was beweisbar richtig ist, und vieles mehr.

    Darum wird die Wissenschaft nie einen Beweis für die Existenz Gottes finden. Es wird immer mehr Theorien geben, wie die Welt ohne Gottes Eingreifen entstanden ist. Eine Theorie ist übrigens in der Wissenschaft die bis jetzt beste Erklärung für etwas, welche Gültigkeit hat, bis sie widerlegt wurde. Es ist nicht nur so eine Theorie im landläufigen Sinne.

    Muss die Evolutionstheorie stimmen? Nein. Aber die Schöpfungsgeschichte kann auch nicht bewiesen werden, weil plausible Alternativen bestehen.

    Es gibt diesen Witz bei Mathematikern, bei dem in einem Beweis als Schritt 2 steht: und hier geschieht ein Wunder. Die Antwort des Professors darauf: hier müssen Sie etwas genauer werden.

    Wie steht es jetzt mit Wundern im Alltag: der Glaube an die Existenz Gottes, die Überzeugung, dass alles Gute von Gott kommt, die Aufforderung, dass wir dankbar für Gottes Wirken sein sollen, sowie die Erwartung von Wundern lässt uns immer wieder Dinge als Wunder bezeichnen, die uns geschehen.

    Das reicht vom freien Parkplatz vor dem Einkaufszentrum bis hin zur Totenauferstehung.

    Ersteres ist ein Affront für viele: sollte sich Gott mehr darum kümmern, dass ich nicht zu weit laufen muss, bis ich meiner Konsumsucht frönen kann, als um den Hunger, die Verfolgung und den Krieg, dem so viele ausgesetzt sind?

    Auf der anderen Seite, um beim Beispiel zu bleiben, hat es in der Nähe der Ladentür mehrere Parkplätze, und einige davon sind besetzt von Leuten, die nicht an die Existenz von Gott glauben. Gott lässt also seine Sonne scheinen über Gläubigen und Ungläubigen, oder die Parkplatzvergabe ist kein Wunder.

    Alle Arten von Wundern sind schon Menschen widerfahren, die nicht an Gott glaubten, bis hin zur Totenauferstehung.

    Warum? Weil Gott sonst beweisbar wäre. Eine empirische Untersuchung würde feststellen, dass der Glaube an den Gott der Christen und nur der zu übernatürlichen Phänomenen führt. Somit wäre zwar nicht die Existenz Gottes bewiesen, aber die Wirksamkeit des Glaubens an ihn, und damit würde jeder vernünftige Mensch glauben.

    Zurück zum Beispiel aus der Mathematik, dem Beweis mit dem Wunder in Schritt 2.

    Warum sollte ich mit dem Beweis überhaupt beginnen? Ich könnte doch gerade so gut sagen, dass der ganze Beweis ein Wunder sei.

    Warum sollte ich die der Formel zugrunde liegende Beobachtung überhaupt untersuchen? Sie könnte doch einfach ein Wunder sein.

    Warum sollte ich überhaupt Fragen stellen? Es ist doch einfach alles ein Wunder.

    Warum sollte eine Erklärung nicht grundsätzlich falsch sein, weil sie Gott aus der Gleichung nimmt?

    Warum sollte Wachstum und Fortschritt nicht einfach den Wundern Gottes überlassen werden, ohne dass wir danach forschen oder suchen?

    Und doch sagt Gott, dass es seine Ehre sei, etwas zu verstecken, und unsere, danach zu suchen.

    Es kommt auf die Brille an, die wir bei dieser Suche tragen.

    Haben wir eine Brille, die hinter allem Gott sieht, dann stehen wir in der Gefahr, keine Fragen mehr zu stellen. Wir haben unsere Erklärung gefunden.

    Haben wir eine Brille, die für Gottes Wirken unempfänglich ist, stehen wir in der Gefahr, ihn zu verpassen.

    Was also ist eine produktive Herangehensweise an dieses scheinbare Problem?

    Zu wissen, dass Gott nicht beweisbar ist, heisst, jede Antwort zu hinterfragen, die die Aussage beinhaltet: und hier geschieht ein Wunder.

    Nicht auszuschliessen, dass Gott die ordnende und wachstümliche, ja sogar erhaltende Kraft hinter allem Geschehen ist, und nicht aufzugeben, die Schönheit seiner Schöpfung zu preisen.

    Unsere Suche dadurch zu motivieren, diese Schönheit aufzufinden, von dieser Ordnung zu profitieren, an diesem Wachstum aktiv und co-kreativ teilzunehmen.

    So werden wir nie stehen bleiben, weil es immer noch mehr zu entdecken gibt, und werden die Ehrfurcht nie verlieren.

    Doch was machen wir? Wir begeben uns in einen Kleinkrieg zur Verteidigung unserer Wunder. Sei es die Schöpfung der Physiosphäre, sei es die Evolution der Biosphäre, ja sogar das Wachstum der Noosphäre.

    Wir bestehen darauf, dass die Physiosphäre, die physische Welt, in sechs Tagen geschaffen wurde, und möchten dies in Lehrstoff unserer Schulen verankert sehen.

    Wir bestehen darauf, dass die Biosphäre, alle Lebewesen, von Gott direkt geschaffen wurden.

    Und wir sprechen dem Menschen ab, dass sich sein Bewusstsein weiterentwickelt, Die so genannte Noosphäre beschreibt diese Evolution des menschlichen Bewusstseins und ihr Einfluss auf die Geschichte.

    Wir treten in eine Zeit ein, in der sich der Mensch bewusst ist, dass sich alles entwickelt. Er beginnt, diese Entwicklung bewusst mitzugestalten. Bis jetzt war er zwar Handelnder in der Entwicklung, ab jetzt ist er Mitgestalter.

    Nicht an dieser Mitgestaltung teilzunehmen, bedeutet, nicht in Gottes Plan weiter zu gehen. Wir sind berufen, mit Christus zu regieren. Regieren heisst aktiv gestalten zum Besten aller Beteiligten.

    Wir sind gesetzt mit Christus um zu regieren. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber ihre Reichweite wird erst jetzt allmählich klar.

    Nehmen wir unsere Verantwortung wahr, oder verharren wir im alten Muster, dem Versuch, das Unmögliche zu schaffen: Gott zu beweisen?

  • Wie wir zu Gott kommen

    Ich sage euch aber.

    Matthäus 5:28

    Jesus zeigt in der Bergpredigt eines seiner Muster auf, wie er lehrt. Er sagt den Menschen, wie sie die Schrift auslegen, um sie dann zu korrigieren. Ihr sagt …, ich aber sage Euch.

    Hat Jesus dieses Muster auch an anderen Orten verwendet, ohne uns explizit darauf aufmerksam zu machen? Hat er darauf vertraut, dass sein bibelfestes Publikum die Parallelen kennt und erkennt? Ich bin davon überzeugt.

    Salomo hält bei der Einweihung des Tempels eine Predigt. Dort zeigt er uns auf, wie wir zu Gott zurückkommen.

    Wenn sie gegen dich sündigen – denn welcher Mensch wäre ohne Sünde? –, dann wirst du zornig sein über sie und sie ihren Feinden ausliefern, die sie in ein fremdes Land verschleppen, es sei nah oder fern. Doch vielleicht wenden sie sich in ihrem Exil voller Reue wieder zu dir und sagen: ›Wir haben gesündigt, wir haben Böses getan und schlecht gehandelt.‹ Wenn sie sich dann von ganzem Herzen und von ganzer Seele im Land ihrer Feinde, die sie gefangen nahmen, wieder dir zuwenden und zu dem Land hingewandt beten, das du ihren Vorfahren geschenkt hast, und zu dieser Stadt, die du erwählt hast, und zu diesem Haus, das ich zur Ehre deines Namens gebaut habe, dann höre ihre Gebete im Himmel, wo du wohnst. Verhilf ihnen zu ihrem Recht und vergib deinem Volk, das gegen dich gesündigt hat und dir untreu war. ... Lass deine Augen für die Bitten deines Dieners ... offen sein.
    
    1Kö 8:46-50.52

    Das ist unsere Theologie in einer einzigen Predigt zusammengefasst:

    • Wir sind alle Sünder und haben gesündigt, denn wir können nicht anders.
    • Darum ist Gott zornig und überlässt uns dem Feind.
    • Doch wenn wir uns bekehren, Busse tun, und uns ihm zuwenden (Neutestamentlich: das Werk des Sohnes annehmen), und in die Gemeinde (das Haus, das er erbaut hat) gehen,
    • dann erhört er unsere Gebete und vergibt uns.
    • Lass mich Dein Diener sein und Gnade erfahren, Herr.

    Das ist die frohe Botschaft, die wir verkünden.

    Und dann taucht Jesus auf. Er erzählt das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es hat sehr viele Parallelen zu der Geschichte oben. Der auffallendste Unterschied ist, dass Jesus über Individuen spricht, Salomo aber über das ganze Volk.

    Das ist allerdings gar kein Unterschied, wurden doch Individuen zur Zeit Jesu als Repräsentanten des Ganzen verstanden, da das heutige Verständnis eines Individuums noch nicht geboren war.

    So steht das Volk bei Salomo auch für den einzelnen Sünder, die Söhne bei Jesu auch für die Menschheit.

    Wie sieht nun die Geschichte aus, die Jesus uns erzählt:

    Ein Sohn will seine eigenen Wege gehen und verlangt daher sein Erbe vom Vater. Der ist nicht zornig über dieses Ansinnen, sondern teilt sein Vermögen auf und lässt den Sohn noch bei sich wohnen, bis er seinen Anteil zu Geld gemacht hat.

    Der Sohn geht freiwillig in ein fremdes Land und verprasst sein Erbe.

    Dort kommt er zu sich selbst und entschliesst sich, seinen Vater um Vergebung und eine Anstellung als Diener zu bitten.

    Der Vater geht auf sein Ansinnen überhaupt nicht ein. Er freut sich einfach, dass sein Sohn zurück ist, zeigt ihm, dass er immer noch Sohn ist, und feiert ein Fest.

    Der ältere Sohn war auf dem Feld, und wurde zornig, als er erfuhr, dass der Vater seinen Bruder so ohne grosses Trara hereingelassen hat und ihn sogar feiert. Er bleibt draussen, ist also auch ferne, weil seine Massstäbe und religiösen Regeln dem Handeln des Vaters widersprechen, der Vater also in seinen Augen unverzeihliche Kompromisse eingeht.

    Der Vater zeigt dem Älteren, dass ihm immer alles gehörte, was der Vater hatte, der Vater also eigentlich nie fern war. Und doch hatte sich der Ältere wie ein Diener benommen. Nach Lukas 15:11-32.

    Legen wir das mit der Methode „Ihr sagt …, ich aber sage Euch“ aus.

    Ihr sagt, dass Gott ist, wie Salomo es beschrieb. Dass er zornig auf Euch Sünder ist und Ihr ihn beschwichtigen müsst, damit Ihr wenigstens seine Diener sein könnt.

    Ihr sagt, mit den Pharisäern, dass es Busse braucht und Wiederherstellung, damit Ihr wenigstens Gottes Diener sein könnt, und dass Gott keine Kompromisse macht in seiner Gerechtigkeit.

    Ich aber sage Euch, dass der Vater Euch schweren Herzens ziehen liess, denn Liebe hält nicht zurück. Es wäre kontraproduktiv gewesen, Euch aufzuhalten, als Ihr gehen wolltet. Seither aber wartet der Vater auf Euch, darauf, dass Ihr aus der Illusion erwacht, dass Euch nicht alles gehört, was dem Vater gehört und Ihr seine Kinder seid. Er nimmt Euch auf, ohne Fragen zu stellen, bedingungslos.

    Paulus hat das erkannt. Er nennt uns Kinder des Lichts, die nicht schlafen, und die anderen Kinder der Dunkelheit, die schlafen. Und dann sagt er:

    Er starb für uns, damit wir, ob wir nun wachen oder schlafen, mit ihm leben.

    1. Thes 5:10

    Es kommt nicht darauf an, ob wir schlafen oder wachen, wir leben mit ihm.

    Ist das das echte Evangelium? Wir kommen nicht zu ihm durch Busse und Umkehr, sondern waren nie fern? Erwachen heisst nicht, zu ihm zu kommen als Diener und ewiger Anbeter. Erwachen heisst sich bewusst zu werden, dass wir ihn nie verlassen haben – und er uns auch nicht. Wir sind seine Söhne.

    Eine kleine chassidische Erzählung dazu:

    Es war ein König mit einem wunderbaren Königreich ohne Mangel. Doch das Getreide war verseucht, und es liess die Bewohner vergessen, wer sie waren und wer ihr König war. Der König fragte seine Berater, was er tun solle. "Iss von dem Getreide", sagten sie. "Dann wirst Du zwar auch vergessen, wer Du bist. Darum mach zuerst ein Zeichen auf Deine Stirn. Wenn Du es siehst, nachdem Du alles vergessen hast, wirst Du Dich auf die Suche machen, wie es da hin kam. Und wenn Du es weisst, kannst Du Deinen Untertanen helfen, dasselbe herauszufinden."

    Genau das hat Jesus getan. Er wurde Mensch, hatte jedoch das Zeichen seiner Geburt, die Prophetien, die Zeugnisse z.B. seiner Eltern. Er wuchs, er suchte, er fand, und zeigte uns, wie wir finden können. Und das wir sind wie er.

    Was ist nun der Zweck davon, wach zu sein? Es erlaubt mir, ohne Angst und Sorgen zu leben. Und es bringt mich in die Position, anderen ein Leben in dieser Ruhe zu ermöglichen. Ein Leben zu Hause beim Vater bei vollem Bewusstsein.